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"In Afrika hungert mehr als jeder Vierte"

Hüseyin Aydin: Ländliche Entwicklung und Ernährungssouveränität muss gestärkt werden

Hüseyin Aydin ist seit 2005 für DIE LINKE Obmann im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestages. Sein besonderes Augenmerk gilt dem afrikanischen Kontinent. Er hat auch die Konferenz »Krise der Politik – Politik der Krise in Afrika. Bedingungen und Perspektiven emanzipatorischer Politik in Afrika« mitorganisiert, die die Bundestagsfraktion DIE LINKE unter Mitwirkung der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 27. Juni in Berlin durchführt. Mit ihm sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Martin Ling.



ND: Die afrikanischen Banken sind in den Handel mit Schrottpapieren nicht involviert. Die Finanzkrise trifft den Kontinent trotzdem. Wie und warum?

Aydin: Die afrikanischen Banken sind in der Tat nicht in die globalen Finanzspekulationen verwickelt, da ihr Geschäft regional und auf die Kreditvergabe für reale Investitionen orientiert ist. Die durch die Krise verursachte globale Kreditklemme geht freilich nicht an Afrika vorbei: Internationale Banken ziehen Kapital ab, und zudem ist der Kreditzugang für afrikanische Banken schwerer und teurer geworden. Darauf sind sie aber angewiesen, weil sich ganz ohne Auslandskredite der innerafrikanische Geldkreislauf bisher nicht sicherstellen lässt.

Inwieweit schlägt die Finanzkrise realwirtschaftlich durch?

Gewaltig. Die Rohstoffnachfragen vor allem aus China und Indien, aber auch aus anderen Schwellen- und Industrieländern, sind stark eingebrochen und damit logischerweise die Preise und Einnahmen. Das hat bereits jetzt hunderttausenden Menschen die Lebensgrundlage entzogen. Allein in der Demokratischen Republik Kongo gingen im Bergbausektor bereits 300 000 formelle und informelle Jobs verloren. Der volkswirtschaftliche Schaden ist riesig.

Schon vor der Finanzkrise kam es in vielen afrikanischen Ländern in der ersten Jahreshälfte 2008 zu Hungeraufständen wegen immens gestiegener Nahrungsmittelpreise. Die Preise sind wieder gefallen, entspannt dürfte die Lage dennoch nicht sein, oder?

Keinesfalls. Weltweit stieg die Zahl der Hungernden auf rund eine Milliarde, auch in Afrika nimmt ihre Zahl zu. Laut der Welternährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO hungern dort derzeit 265 Millionen Menschen – mehr als jeder Vierte. Zwar sind die Preise gegenüber dem Höchststand 2008 gefallen, liegen aber teilweise noch deutlich über dem Niveau von vor wenigen Jahren. So gibt es keine wirkliche Entlastung für arme Haushalte, deren Einkünfte durch die Wirtschaftskrise zudem vielfach sanken. Das Problem wird verschärft durch die sogenannte neokoloniale Landnahme: Schwellenländer wie China, Südkorea oder Saudi-Arabien und private Firmen kaufen oder pachten Land in Afrika, um ihre eigene Bevölkerung und Wirtschaft mit Nahrung und Biotreibstoff zu versorgen. Das Land steht somit nicht mehr für die Nahrungsmittelproduktion für die afrikanische Bevölkerung zur Verfügung. Das birgt viel Konfliktstoff. So hat in Madagaskar die geplante Verpachtung von 1,3 Millionen Hektar Land an den südkoreanischen Konzern Daewoo den Sturz des Präsidenten Marc Ravalomanana eingeleitet.

Afrika war noch lange Zeit nach der Phase der Unabhängigkeit Selbstversorger in Sachen Lebensmitteln. Jetzt hängen fast alle Länder von Importen ab. Wie erklärt sich das?

Das liegt sowohl an der Schwerpunktsetzung der Länder selbst, wie mangelnden Agrarreformen, als auch an der Entwicklungszusammenarbeit. Seit den achtziger Jahren wurden städtische Zentren als Motor der industriellen Entwicklung in den Fokus gerückt. Die ländliche Entwicklung wurde demgegenüber stark vernachlässigt. Das führte dazu, dass selbst in Ländern mit großen fruchtbaren Flächen kaum Landwirtschaft betrieben wird, weil es beispielsweise trotz reichhaltiger Wasserquellen keine Infrastruktur für Bewässerungssysteme gibt. Eine positive Ausnahme ist Malawi, das über den eigenen Bedarf hinaus Lebensmittel produziert.

Wie lässt sich der Trend wieder umkehren?

Im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AWZ) gibt es angesichts der Nahrungsmittelkrise 2008 inzwischen einen Konsens, dass man die ländliche Entwicklung vorantreiben muss. DIE LINKE fordert darüber hinaus, dass zuerst der Agrarsektor entwickelt und die Ernährungssouveränität gesichert werden sollten und darauf aufbauend dann Industriesektoren entstehen können.

Das bedeutete eine gänzliche Abkehr von der bisherigen vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und den Geberländern geforderten Ausrichtung auf Agrarexporte und die so genannten Cash Crops (Geldfrüchte) ... Gibt es einen Meinungswandel in diese Richtung?

Zumindest in der Rhetorik. Bisher war die Entwicklungspolitik vor allem als Türöffner für die Märkte des Südens angelegt und setzte neoliberale Strukturanpassungsprogramme durch. Damit wurde viel zerstört. Das wird inzwischen selbst von Politikern anerkannt, die früher selbst dafür verantwortlich zeichneten. Bundespräsident Horst Köhler etwa, vormals IWF-Chef, gab in einem Gespräch mit den Obleuten des AWZ zu, dass die Strukturanpassungsprogramme Entwicklung in Afrika verhindert hätten Doch abgesehen von kosmetischen Änderungen lässt sich weder bei ihnen noch bei den Geberländern ein grundlegender Politikwandel erkennen. Dennoch gibt es ein Nachdenken in Richtung einer Entwicklung, die auf örtlichen Ressourcen aufbaut, lokale Kräfte stärkt und die dem Verkauf und der Verpachtung von Land an ausländische Investoren Einhalt gebieten sollte. Gegen die neokoloniale Landnahme hat sich auch Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul ausgesprochen.

Heidemarie Wieczorek-Zeul ist einerseits eine Fürsprecherin für den Süden, wenn es um den Abbau von Exportsubventionen geht, andererseits plädiert sie für die sogenannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen EPA, die die Liberalisierungsspirale weiterdrehen. Wie verträgt sich das?

Frau Wieczorek-Zeul hat ihre Position immerhin modifiziert. Vor drei Jahren wurde jede Kritik an den EPA als unbegründet zurückgewiesen. Inzwischen gesteht die Ministerin Korrekturbedarf ein. Offenbar haben die Beispiele, die klar belegten, dass Liberalisierung à la EPA Märkte im Süden zerstört und Entwicklung verhindert, bei ihr Wirkung gezeigt. Das ist ein Fortschritt. Von einem Durchbruch für eine zukunftsfähige Handels- und Entwicklungspolitik kann man freilich nicht sprechen.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Juni 2009


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