Die afrikanische Herausforderung
Eckpunkte einer strategischen Afrikapolitik - Ein neues Papier der Bundesregierung
Im April hat die Bundesregierung durch den Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, den ersten Teil eines Konzepts für eine neu Afrikapolitik vorgelegt. Wir dokumentieren die "Eckpunkte", die in ihrem analytischen Teil zu bemerkenswerten Erkenntnissen vordringen, im strategischen Teil aber relativ vage und allgemein bleiben. Zurecht überschrieb die Süddeutsche Zeitung einen Bericht über die Vorstellung des neuen Konzepts mit der Zeile: "Die Grünen setzen bei der Entwicklungshilfe auf neuen Pragmatismus und regionale Projekte". (SZ, 12.04.2001)
1. Afrika zu Beginn des 21. Jahrhunderts
Afrika zu Beginn des 21. Jahrhunderts heißt die Überwindung des Apartheidregimes und die Suche
nach einem Weg der nationalen Versöhnung in Südafrika, demokratischer Aufbruch und Kampf gegen
Korruption in Nigeria, vielversprechender demokratischer und ökonomischer Wiederaufbau in
Mosambik, friedliche Umbrüche und Demokratisierungsprozesse z.B. in Benin, Ghana, Malawi, Mali,
Sambia, Senegal oder Tansania. Nie zuvor in der Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten wurden
soviel Reformen im politischen und wirtschaftlichen Bereich eingeleitet und durchgeführt wie im letzten
Jahrzehnt. 42 der 48 Staaten haben in den 90er Jahren Präsidentschafts- oder Parlamentswahlen
unter Beteiligung mehrerer Parteien abgehalten. In einigen Staaten konnten beeindruckende
Wachstumserfolge erzielt werden. So hatte beispielsweise Mosambik seit Ende des Krieges bis zur
Flutkatastrophe ein jährliches Wirtschaftswachstum von 5%, 1997/98 sogar von über 10%.
Afrika steht aber auch für unerträgliches Leid und menschliche Tragödien, die Verletzung der
Menschenwürde und fehlenden Zugang zu politischen, sozialen und wirtschaftlichen Rechten,
Flüchtlinge sowie die Zerrüttung von Staaten durch interne bewaffnete Konflikte.
Die Entwicklung in Afrika südlich der Sahara ist insgesamt negativer verlaufen als in anderen
Weltregionen. Dies hat sowohl externe wie interne Gründe. Die Hypotheken aus der Kolonialzeit -
z.B. die Konzentration auf wenige städtische Zentren und Eliten, die Missachtung des
Selbstbestimmungsrechtes, die Vernachlässigung von Investitionen in physische und soziale
Infrastruktur oder die Förderung einseitiger Produktionsstrukturen - erschweren eine breitenwirksame
Entwicklung und eine Integration Afrikas in den Weltmarkt. Die internationale Arbeitsteilung hat sich
seit der Kolonialzeit kaum verändert. Noch immer liefert Afrika im wesentlichen Rohstoffe und
Agrarprodukte und importiert Fertigprodukte. Der Anteil Afrikas südlich der Sahara am Welthandel ist
aufgrund der vorherrschenden Arbeitsteilung und der Verschlechterungen der Terms of Trade
gesunken. Diktatorische Regime und kleptokratische Eliten waren nach dem Ende der
Kolonialherrschaft häufig nicht an einer Trendwende interessiert. Sie führten unter anderem Namen die
Ausplünderung der Länder fort.
Chancen des neuen Jahrhunderts nutzen
Neben vielen Unsicherheiten bietet das neue Jahrhundert aber auch neue Chancen für eine bessere
afrikanische Zukunft. Vier Punkte möchte ich besonders hervorheben:
-
Wachsende politische Partizipation in vielen afrikanischen Ländern: Seit Beginn der 90er Jahre
konnten wir in vielen Staaten eine demokratische Öffnung, politische Liberalisierung und
Erhöhung der bürgerlichen Freiheiten beobachten. Dezentralisierungsansätze schreiten voran.
Dies erhöht die Chancen für größere Verantwortlichkeit der Regierungen und für einen neuen
Entwicklungsdiskurs.
- Wachsender Konsens über Entwicklungsziele und Reorientierung der internationalen
Zusammenarbeit: Durch das Ende des Kalten Krieges verlor Afrika für die großen Mächte seine
Bedeutung als strategisches Ziel und ideologisches "Schachbrett". Während dies auf der einen
Seite sinkende Ressourcenzuflüsse zur Folge hatte, fördert dies auf der anderen Seite eine
Reorientierung der internationalen Zusammenarbeit. Die Orientierung der gesamten
Unterstützung an den international vereinbarten Entwicklungszielen ist für die
Gebergemeinschaft Herausforderung und Chance zugleich.
-
Zunehmende Suche nach regionalen afrikanischen Ansätzen: Afrikanische Staaten haben
erkannt, dass viele Probleme nicht im nationalen Alleingang zu lösen sind, sie verstärken
daher regionale Kooperations- und Integrationsbemühungen. Die laufenden Bestrebungen einer
stärkeren wirtschaftlichen Kooperation, z.B. im südlichen Afrika, sind durchaus ermutigend.
Die Schaffung eines Konfliktlösungsmechanismus durch die Organisation für Afrikanische
Einheit löst zwar noch nicht die vorhandenen Konflikte, sie markiert jedoch den Beginn einer
ernsthaften Bearbeitung bereits ausgebrochener oder latenter Konflikte durch afrikanische
Staaten oder Staatengruppen.
-
Zunehmende Öffnung der Märkte der EU: Die EU muss den ärmsten Entwicklungsländern für
alle Waren - mit Ausnahme von Waffen - freien Zugang zu den europäischen Märkten
einzuräumen. Die rasche Umsetzung dieser Initiative ist ein wichtiger und längst überfälliger
Schritt auf dem Weg zu einer kohärenten Entwicklungspolitik.
Afrikas Herausforderungen
(1) Staatskrisen und bewaffnete Konflikte
Nahezu alle afrikanischen Staaten können - wie übrigens die Mehrzahl der Entwicklungs- und
Transformländer - als schwache Staaten bezeichnet werden. Die durch die Kolonialmächte willkürlich
festgelegten Grenzen und die dadurch entstandenen künstlichen Staatsgebilde erschweren immer
noch eine friedliche Entwicklung und die Ausbildung kollektiver Identitäten als Grundlage einer Nation.
Der Prozess der Staatsbildung ("nation building") und Demokratisierung ist noch jung und nicht
abgeschlossen, so dass interne Konflikte immer wieder auch gewaltsam ausgetragen werden.
-
Schwache und unterfinanzierte staatliche Institutionen sowie schlecht bezahlte
Staatsbedienstete tragen dazu bei, dass der Staat wichtige Staatsaufgaben für seine Bürger
und Bürgerinnen nicht - in angemessener Weise - erfüllen kann. Die Mehrheit der afrikanischen
Staaten fällt in die Kategorie der schwachen Staaten, in denen Konflikte aber nicht gewaltsam
ausgetragen werden.
-
Korruption und "governance"-Probleme verhindern eine effiziente, am Gemeinwohl orientierte
Nutzung knapper Ressourcen und erhöhen die Gefahr gewaltsamer Auseinandersetzungen,
wie der Fall Simbabwe zeigt.
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Viele junge Demokratien sind noch äußerst labil und erheblichen Belastungen ausgesetzt.
Demokratie muss in der Bevölkerung verankert werden. Wie der Fall Nigeria zeigt, kann
Demokratisierung kurzfristig zu einer Erhöhung der Instabilität führen, wenn aufgestaute
Konflikte offen ausbrechen. Auch ein Blick in die Geschichte Europas und Deutschlands zeigt,
dass die Verankerung der Demokratie ein langwieriger Prozess ist, der häufig nicht ohne
Rückschläge verläuft.
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Dort wo die Legitimität des Staates soweit erodiert ist, dass er seine Ordnungsfunktion nicht
mehr wahrnehmen kann, werden Konflikte gewaltsam ausgetragen. Finanziert und verlängert
werden kriegerische Auseinandersetzungen häufig durch die Ausplünderung von Rohstoffen,
wie z.B. Diamanten. Angola, Sierra Leone, die DR Kongo und der Sudan zählen zu den
Staaten, in denen der Staatszerfall weit fortgeschritten ist. Die Regierungen können große
Teile des Staatsgebietes nicht mehr kontrollieren. In Somalia hat die Regierung für ein
Jahrzehnt aufgehört zu existieren, man kann von offenem Staatszerfall sprechen. Ob die
gerade neu gebildete Regierung Somalias von allen anerkannt und damit Legitimität und
Handlungsfähigkeit erwerben wird, bleibt abzuwarten.
(2) Einkommensarmut und Ungleichheit
Auch in friedlichen afrikanischen Staaten konnte bisher meist keine nachhaltige Entwicklung und
Armutsminderung erreicht werden. Der Anteil der Afrikaner/-innen an den absolut Armen in der Welt
ist gestiegen. Es wird von einer "Afrikanisierung der Armut" gesprochen.
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290 Millionen Menschen, fast die Hälfte der Bevölkerung Afrikas südlich der Sahara lebt in
absoluter Armut. Die Zahl der absolut Armen (weniger als 1 US $ pro Tag) ist sehr viel stärker
gestiegen als in anderen Weltregionen (in Ostasien, im Nahen Osten und Nordafrika hat die
Zahl der absolut Armen dagegen abgenommen).
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Das jährliche pro-Kopf-Einkommen Afrikas südlich der Sahara ist niedriger als Ende der 60er
Jahre und mit 316 US $ (ohne Südafrika) das niedrigste der Welt.
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Einkommensungleichheiten zwischen und innerhalb der Länder sind groß (nur in Lateinamerika
sind sie noch größer). Das Pro-Kopf-Einkommen von Botswana oder Südafrika liegt bei 3600
bzw. 2880 US $, während das von Malawi oder Äthiopien bei 200 bzw. 100 US $ liegt. In
Südafrika haben die "oberen" 10% der Bevölkerung nahezu 50% des Einkommens, den
"unteren" Einkommensgruppen geht es hingegen nicht besser als den Menschen in den
Nachbarländern.
(3) Soziale Unterentwicklung
Geringe Bildung und schlechter Gesundheitsstand verursachen menschliches Leid und verhindern
zukünftige Entwicklung. Die meisten sozialen Indikatoren haben sich zwar auch in Afrika südlich der
Sahara verbessert, aber weniger stark als in anderen Weltregionen.
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20% der städtischen Kinder und 30-40% der Kinder im ländlichen Raum werden als
unterernährt eingestuft.
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Nur die Hälfte der afrikanischen Bevölkerung hat Zugang zu sauberem Trinkwasser, im
ländlichen Raum sogar nur ein Drittel. Während 99% der städtischen Bevölkerung Simbabwes
Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, gilt dies nur für 17% der ländlichen Bevölkerung im
Tschad. Durch die zunehmende Verstädterung und Slumbildung haben immer größere Teile
der städtischen Bevölkerung keine angemessene Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung.
Der Zugang zu Bildung hat sich verschlechtert und ist äußerst ungleich verteilt: Während sich
in allen anderen Weltregionen die Einschulungsrate verglichen mit 1980 erhöht hat, ist sie in
Afrika südlich der Sahara gesunken, für arme Mädchen im ländlichen Raum beträgt sie gerade
einmal 23%. Ein Viertel der Erwachsenen besuchten nie eine Schule, 34% aller Erwachsenen
und 53% aller Frauen gelten als Analphabeten.
(4) HIV/AIDS
Verschärft wird die Situation in vielen afrikanischen Ländern durch HIV/AIDS. In den am meisten
betroffenen Staaten stellt HIV/AIDS nicht nur eine gesundheitliche Krise, sondern eine
Entwicklungskrise dar. AIDS betrifft vor allem die erwerbstätigen und aktiven Jahrgänge. Dadurch wird
die gesamte wirtschaftliche und soziale Entwicklung beeinträchtigt.
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Es wird geschätzt, dass derzeit 23,3 Millionen Menschen in Afrika südlich der Sahara infiziert
sind (70% der weltweit Infizierten). 13,7 Millionen Menschen sind bereits an AIDS gestorben.
95% aller AIDS-Waisen, rund 10 Millionen, leben in Afrika. Täglich infizieren sich 15.000
Menschen neu. Bereits heute hat AIDS in einigen Ländern zu einer Senkung der
Lebenserwartung um mehr als 10 Jahre geführt.
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In den am stärksten betroffenen Ländern sind 25% des medizinischen Personals infiziert, noch
stärker betroffen ist der Erziehungssektor. Dies hat verheerende Auswirkungen auf die Qualität
und Quantität der ohnehin bescheidenen medizinischen Versorgung und der Schulbildung.
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Schätzungen gehen davon aus, dass wegen HIV/AIDS das Inlandsprodukt der betroffenen
Staaten jährlich um 1-2% niedriger ist als sonst möglich sein wird. Die industrielle Produktion
und Wettbewerbsfähigkeit werden beeinträchtigt. Bei einem Drittel aller von HIV/AIDS
betroffenen ländlichen Haushalte sinkt die landwirtschaftliche Produktion um 50% mit
katastrophalen Auswirkungen auf die familiäre und nationale Ernährungssicherheit.
(5) Marginalisierung im Welthandel, Verschuldung und Kapitalflucht
Afrikanische Staaten haben im Welthandel seit Ende der 60er Jahre verloren. Afrika südlich der
Sahara ist bislang der Verlierer der Globalisierung. Es gibt eine erhebliche Kapitalflucht aus
afrikanischen Ländern.
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Die landwirtschaftliche Entwicklung Afrikas wird durch Subventionen für die Landwirtschaft der
OECD-Länder (jährlich rd. 300 Mrd. US $, das entspricht dem Bruttoinlandsprodukt Afrikas
südlich der Sahara) behindert.
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Der Anteil Afrikas am Welthandel liegt unter 2%. Afrika war nicht in der Lage Produktion und
Handel zu diversifizieren, die Abhängigkeit von Rohstoffexporten ist nach wie vor sehr hoch.
Die Terms of Trade haben sich für Nichtölexporteure deutlich verschlechtert. Dies führte zu
erheblichen Einnahmeverlusten. Die jüngsten Ölpreiserhöhungen belasten die
nicht-erdölexportierenden afrikanischen Staaten ganz besonders, die Ölrechnung hat sich seit
1998 in vielen Ländern verdoppelt.
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Die Schulden beliefen sich 1999 auf 231 Mrd. US $, das entspricht 225% der gesamten
Exporteinnahmen. Der jährlich geleistete Schuldendienst lag für Afrika südlich der Sahara bei
15% der Exporteinnahmen, für einzelne Länder lag er noch wesentlich höher. Dies zeigt wie
dringend eine rasche und qualitative Umsetzung der erweiterten Entschuldungsinitiative und
Initiativen zur Vermeidung zukünftiger Schuldenspiralen sind.
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Es gelang bisher nicht, einheimische Ressourcen und vorhandenes afrikanisches Kapital als
primäre Quelle von Entwicklung zu mobilisieren. Schätzungen sprechen davon, dass in den
frühen 90er Jahren (neuere Zahlen liegen nicht vor) 40% des privaten Kapitals ins Ausland
transferiert wurden.
2. Prinzipien und Grundpfeiler einer strategischen Afrikapolitik
Deutsche Entwicklungspolitik versteht sich als Politik der Zukunftssicherung. Die
entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Afrika ist Ausdruck der Verantwortung, globale
Zukunftsrisiken zu mindern und die menschliche Sicherheit, im Sinne der erweiterten Definition von
Kofi Annan, zu erhöhen. Es gilt, der Marginalisierung Afrikas südlich der Sahara und einer weiteren
Verschärfung des Wohlstandsgefälles in der Welt, die zu neuen Konflikten führen würde,
gegenzusteuern. Es gilt, den Menschen Afrikas ein Leben in Würde zu ermöglichen und die
Verwirklichung ihrer Rechte zu befördern.
Aktive Afrikapolitik begründet sich auch durch eine werteorientierte Außen- und Entwicklungspolitik.
Deutsche Entwicklungspolitik ist der grenzüberschreitenden Förderung jener Werte verpflichtet, die
die normative Basis eines demokratischen Staates bilden, d.h. Schutz der Menschenrechte, der
politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte; Gerechtigkeit und
Grundbedürfnisbefriedigung; Frieden und Sicherheit. Afrika südlich der Sahara gilt es auf dem Weg
zur Verwirklichung dieser Werte zu unterstützen. Deutschland sollte die Chance zu einer echten
partnerschaftlichen Zusammenarbeit nutzen, die weit über eine - auch in Zukunft zweifelsohne
wichtige - Unterstützung zur Bewältigung von Katastrophen und Krisen hinausgeht.
Auch der umfassenden Sicherheit wegen sind die afrikanischen Länder wichtige Partner
Deutschlands. Ebenso wichtig wie die Unterstützung auf dem Weg aus der Armut zu wirtschaftlicher
und politischer Stabilität ist die ökologische Stabilisierung. Die Abholzung tropischer
Regenwaldgebiete in Afrika hat schon heute Rückwirkungen auf das Weltklima. Afrikanische Länder
benötigen unsere Unterstützung, wenn die - größtenteils armutsbedingte - Umweltzerstörung gestoppt
werden soll.
Gegenwärtig ist die Zusammenarbeit im Wirtschafts- und Handelsbereich mit Afrika südlich der
Sahara noch schwach ausgeprägt. Die Region südliches Afrika zeigt jedoch, dass auch in Afrika
attraktive Handelspartner zu gewinnen sind. Die Aussichten dafür sind umso besser, je eher es den
Ländern - auch mit externer Unterstützung - gelingt, aus der Rolle der krisenanfälligen
Rohstofflieferanten herauszuwachsen.
Ziele, Strategien und Mittelrahmen der Entwicklungspolitik
Ziel der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit Deutschlands mit Afrika südlich der Sahara ist die
nachhaltige Verbesserung der Lebenssituation der Menschen im Einklang mit den internationalen
Entwicklungszielen. Die Bundesregierung hat auf dem Millenniumsgipfel in New York erneut ihre
internationale Verantwortung bekräftigt. Deutsche Entwicklungspolitik mit Afrika südlich der Sahara ist
daher u.a. den folgenden international vereinbarten Zielen verpflichtet:
-
Halbierung des Anteils der in absoluter Armut lebenden Menschen und der Menschen, die
keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben bis 2015;
-
Universale Grundbildung für Jungen und Mädchen in allen Ländern bis 2015 und Überwindung
der Geschlechterungleichheit in Grund- und Sekundarbildung bis 2005 als Beitrag zum
"empowerment" von Frauen;
-
Senkung der Sterblichkeitsraten bei Säuglingen und Kindern unter 5 Jahren um zwei Drittel und
Verringerung der Müttersterblichkeit um drei Viertel bis 2015;
-
Eindämmung der weiteren Ausbreitung von HIV/AIDS, Malaria und anderen Krankheiten bis
2015 und spezielle Unterstützung für AIDS-Waisen;
-
Umsetzung nationaler Strategien für eine nachhaltige Entwicklung in allen Ländern bis 2005.
Der Aktionsplan "Cities without Slums", der bis zum Jahre 2020 eine erhebliche Verbesserung der
Lebensbedingungen für Slumbewohner zum Ziel hat, wird in Zukunft auch für Afrika südlich der Sahara
an Bedeutung gewinnen.
Aufgrund der großen Unterschiede zwischen den afrikanischen Ländern gibt es keine "allein selig
machende" Strategie zum Erfolg. Selbst in Regionen, in denen sich die Länder zu einer
Entwicklungsgemeinschaft zusammengeschlossen haben, wie z.B. im südlichen Afrika in der
Southern African Development Community, gibt es große Unterschiede zwischen den Ländern. Die
Bedeutung einzelner Herausforderungen stellt sich beispielsweise für das Schwellenland Südafrika
anders dar als in Simbabwe, in dem sich Konflikte krisenhaft verschärft haben. Im ressourcenarmen
Binnenland Malawi stehen wiederum andere Probleme im Vordergrund. Dennoch gewinnt regionale
Kooperation in Zukunft an Bedeutung. Für die Formulierung des Entwicklungsweges gilt es daher
Dialogstrukturen für gegenseitiges Lernen zu etablieren und zwar sowohl zwischen Regierung und
Gesellschaft innerhalb eines Landes als auch zwischen afrikanischen Ländern sowie zwischen
afrikanischen Ländern, Geberländern und internationalen Institutionen.
Die deutsche Entwicklungspolitik unterstützt nachdrücklich den im Rahmen der internationalen
Entschuldunginitiative gefassten Entschluss, dass von den HIPC-Ländern umfassende nationale
Strategien zur Armutsminderung, unter Beteiligung der Zivilgesellschaft - und insbesondere auch von
Frauen - erstellt werden, die die Grundlage für die Entschuldung, aber auch für alle
Unterstützungsmaßnahmen der internationalen Gebergemeinschaft bilden sollen.
Aus dem vorgenannten ergeben sich die folgenden Prinzipien für die deutsche Politik:
-
Ausgangspunkt deutscher Unterstützung sind nationale Entwicklungsstrategien und
-anstrengungen (in IDA-Ländern nationale Strategien zur Armutsminderung); dem Dialog und
Austausch mit Staat (Regierung, Parlamente) und Gesellschaft
(Nichtregierungsorganisationen, Frauen, Unternehmern) kommt eine zentrale Rolle zu.
"Ownership", Partizipation, Transparenz und Partnerschaft sind für die Zusammenarbeit von
zentraler Bedeutung.
-
Die deutsche Unterstützung ordnet sich gleichzeitig in den internationalen Kontext ein und
orientiert sich an international vereinbarten Entwicklungszielen. Koordinierung und Abstimmung
mit anderen Gebern sind dabei wesentliche Voraussetzung.
-
Die Wirksamkeit der Unterstützung wird erhöht durch Konzentration auf ausgewählte
Kooperationsländer und die Fokussierung der Zusammenarbeit auf wenige Schwerpunkte.
Zusätzlich zur staatlichen Entwicklungszusammenarbeit ist die nichtstaatliche
Entwicklungszusammenarbeit für Afrika südlich der Sahara von hoher Bedeutung. Gerade bei der
Förderung demokratischer Strukturen, der Stärkung gesellschaftlicher Gruppen, der Dezentralisierung,
der Konfliktschlichtung oder der Unterstützung sozialer Dienste leisten Nichtregierungsorganisationen
eine wertvolle Arbeit. Eine sachgerechte Arbeitsteilung zwischen den Trägern staatlicher
Entwicklungszusammenarbeit und Nichtregierungsorganisationen, wie den Kirchen, politischen
Stiftungen und sonstigen privaten Trägern, hat sich bewährt und wird insbesondere bei der
Unterstützung der Erstellung und Umsetzung der nationalen Strategien zur Armutsminderung
fortgeführt werden.
Die bilaterale deutsche Entwicklungspolitik ist nicht isoliert zu sehen, vielmehr ist eine ganzheitliche
Betrachtung der internationalen Unterstützungsleistungen erforderlich. Von besonderer Bedeutung
sind dabei die Politik der EU und der Weltbank, die von deutscher Seite aktiv gestaltet und
mitfinanziert werden. Durch verbindliche Vereinbarungen zur Armutsbekämpfung, die Stärkung des
politischen Dialogs, die Einigung auf eine verantwortungsbewußte Regierungsführung ("good
governance"), die Errichtung WTO-konformer Handelsregelungen mit einem regionalen Ansatz, eine
strategischere Ausrichtung und Konzentration auf prioritäre Bereiche sowie effizientere
Finanzierungsinstrumente sollen zukünftig bessere Ergebnisse der Zusammenarbeit erzielt werden.
Bei einer Gesamtbetrachtung darf die in Köln 1999 beschlossene, erweiterte Entschuldungsinitiative
für die ärmsten und höchstverschuldeten Länder mit einer Gesamtentlastung von 70 Mrd. US $ nicht
fehlen. 30 afrikanische Länder können sich für diese Entschuldungsinitiative qualifizieren. Bis Ende
Dezember 2000 ist für 22 hochverschuldete arme Länder in den Direktorien von Weltbank und IWF die
Entscheidung über die Entschuldung im Volumen von ca. 34 Mrd. US-$ getroffen worden. 18 der
Länder mit einem Entschuldungsvolumen von rd. 25 Mrd. US-$ liegen in Afrika (Benin, Burkina Faso,
Gambia, Guinea, Guinea Bisseau, Kamerun, Madagaskar, Malawi, Mali, Mauretanien, Mosambik,
Niger, Ruanda, Sambia, Sao Tomé und Principe, Senegal, Tansania, Uganda). Zusammen mit den
sonstigen praktizierten bilateralen Schuldenerlassen des Pariser Clubs und dem angekündigten
zusätzlichen Erlass von Schulden aus der Entwicklungszusammenarbeit wird sich der Schuldenstand
dieser Länder insgesamt um ca. zwei Drittel reduzieren. In Verbindung mit den
Armutsbekämpfungsstrategien der Länder kann der neue finanzielle Spielraum für Bildung und
Gesundheit, Familienplanung und AIDS-Bekämpfung genutzt werden.
Handlungsebenen der Entwicklungspolitik
(1) Verbesserung der Regierungsführung, Stärkung der Demokratisierung und
Dezentralisierung, Achtung der Menschenrechte
Entwicklungspolitik muss zur Bildung eines starken, leistungsfähigen und effizienten Staates und
demokratischen Staates beitragen. Das bedeutet Befähigung des Staates, damit dieser seine
Kernaufgaben wahrnehmen kann, wie z.B. Gewährung von Sicherheit, Schaffung von Rechtssicherheit
und eines sozialen marktwirtschaftlichen Regelwerks sowie die Bereitstellung einer sozialen und
physischen Basisinfrastruktur. Gleichzeitig müssen weitere Schritte in Richtung "good governance"
und Demokratisierung ergriffen und unterstützt werden.
Es gibt zwar kein universal gültiges Demokratiemodell, aber in jeder Gesellschaft müssen die
wesentlichen demokratischen Grundsätze der politischen Beteiligungsmöglichkeiten der Bevölkerung
und der Schaffung von Rechtssicherheit sowie die Achtung der Menschenrechte gewährleistet
werden. Die deutsche Entwicklungspolitik wird Maßnahmen zur Stärkung demokratischer Strukturen
und repräsentativer Parlamente, zur Dezentralisierung und Selbstverwaltung sowie zur Stärkung der
Zivilgesellschaft fortführen. Denn eine Gesellschaft, die es ihren Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht,
ihre Interessen zu artikulieren und in den politischen Prozess angemessen einzubringen, besitzt die
besten Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben sowie eine nachhaltige und
breitenwirksame Entwicklung. Hierzu gehört auch die Herausbildung einer freien Presse, einer
unabhängigen Justiz und eines funktionierenden Rechtssystems, die Förderung von
Menschenrechtsorganisationen sowie eine rechtsstaatliche Einbindung der Sicherheitsorgane.
Demokratisierung heißt auch, die Verbesserung der Position der Frauen in der Gesellschaft, damit sie
ihre Rechte wahrnehmen, ihre sexuelle Selbstbestimmung verwirklichen, sich zunehmend in
politische und gesellschaftliche Prozesse einmischen und Entscheidungen mitbestimmen können
("empowerment").
Viele Konflikte in Afrika haben ihre Ursache darin, dass Eliten einzelner Minderheiten die Macht zum
Nutzen ihrer Klientel ausnutzen und andere Ethnien ausschließen, benachteiligen und
marginalisieren. Die ethnisch-klientelistische Politik hat wesentlich zur Verschärfung ethnischer
Spannungen beigetragen. Die Dezentralisierung staatlicher Macht erlaubt die Erhaltung der Identität
einzelner Ethnien und ihre verantwortliche Einbeziehung in die Gestaltung lokaler und regionaler
Aufgaben. Dies kann beispielsweise in Gemeinderäten oder Dorfkomitees geschehen.
Dezentralisierung und Selbstverwaltung erlauben Bürgerinnen und Bürgern mehr Mitwirkung und sind
so Merkmale einer demokratisch organisierten Gesellschaft. Die Entwicklungszusammenarbeit
unterstützt solche demokratischen Mechanismen.
(2) Krisenvorbeugung und Krisenfolgenbeseitigung
Innerer und äußerer Frieden bilden die Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung und
Armutsminderung. Dabei gilt, dass Konflikte nur von den Gesellschaften selbst bewältigt werden
können. Afrikanische Regionalorganisationen können jedoch ihre Rolle bei der Krisenvorbeugung und
friedlichen Konfliktbearbeitung noch weiter ausbauen. Die internationale Gemeinschaft kann die
nationalen und regionalen Bemühungen auf den unterschiedlichsten Ebenen unterstützen. Vor der
Ausarbeitung von Ansätzen zur Konfliktvorbeugung, - lösung und -bewältigung muss jedoch eine
Analyse ihrer Ursachen, einschließlich der eventuell von außen wirksamen Kräfte erfolgen. Die
deutsche Entwicklungszusammenarbeit wird daher auch auf ihre möglichen konfliktrelevanten
Wirkungen überprüft.
Ungleicher Besitz und Zugang zu Ressourcen, wie z.B. fruchtbares Land oder Wasser, und Macht
sind häufig Ursache von gewaltsamen Konflikten in Afrika. Hier kann das gesamte
entwicklungspolitische Instrumentarium eingesetzt werden, um Ungleichheit zu verringern (z.B. durch
Unterstützung von Landreformen), armutsorientiertes nachhaltiges Wachstum zu fördern und
Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen, auch von Minderheiten, sicherzustellen.
Sicherheitsvorsorge bedeutet, eine Entwicklungspolitik zu betreiben, die Konflikten vorbeugt, indem
sie dem Übel entgegenwirkt, wo es entsteht. In diesem Sinne ist - wie die Weizsäcker-Kommission
richtig feststellt - alle Entwicklungspolitik zugleich Sicherheitspolitik.
Entwicklungspolitik trägt zum einen dazu bei, Konfliktursachen zu mindern, sie stärkt andererseits die
gesellschaftlichen Mechanismen und Kräfte, die den friedlichen Interessenausgleich fördern, u.a.
durch den Aufbau von Dialogstrukturen zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen
und die Förderung friedensorientierter Kräfte ("Friedensallianzen"). Friedens- und Konfliktforschung
müssen gestärkt, internationale Bildungspolitik, Auswärtige Kulturpolitik und Medienpolitik müssen
auf den Abbau von Feindbildern, interkulturellen Dialog und friedliche Konfliktlösungsbemührungen
ausgerichtet werden.
Ordnungskräfte haben eine wichtige Funktion zur Wahrung der inneren Sicherheit. In manchen
Ländern sind Militär und Polizei jedoch eher Ursache gesellschaftlicher Instabilität: Nicht selten
werden Menschenrechtsverletzungen gerade von Ordnungskräften begangen. Die Schulung von Militär
und Polizei in Bürgerrechts- und Menschenrechtsfragen ist unabdingbar. Vor allem nach dem Ende
von Bürgerkriegen besteht die Gefahr, dass sich ehemalige Angehörige der militärischen
Bürgerkriegsparteien in bewaffnete Banden verwandeln, die die Stabilität des Friedens erneut
gefährden. Ein wichtiger Bereich ist deshalb die Unterstützung der Demobilisierung von Soldaten und
Kombattanten und ihre Reintegration in das zivile und wirtschaftliche Leben, z.B. durch
Ausbildungsprogramme, beschäftigungsintensive Projekte und Kredite für Existenzgründungen.
Deutschland sollte neben der Unterstützung afrikanischer Vermittlungsbemühungen (z.B.
Unterstützung eines speziellen Sekretariats der Intergovernmental Authority on Devolopment (IGAD)
zur Konfliktbeilegung im Sudan durch deutsche Entwicklungszusammenarbeit), einer verstärkten
EU-Diplomatie und der Initiativen im Rahmen der Vereinten Nationen stärker als in der Vergangenheit
die Rolle eines ehrlichen Maklers zwischen Konfliktparteien übernehmen. Die Schaffung des Zivilen
Friedensdienstes als gezieltes entwicklungspolitisches Instrument zur Versöhnung und
Vermittlungsarbeit in den Partnerländern ist ein Gemeinschaftswerk zwischen staatlicher und
nichtstaatlicher Seite. Die Mittel für den Zivilen Friedensdienst, der in Afrika gegenwärtig in Guinea
Bisseau, Mosambik, Simbabwe, Sudan, Südafrika, Tschad und Uganda eingesetzt wird, sind deutlich
gestiegen.
Aber die internationale Gemeinschaft kann noch mehr tun. Eine glaubwürdige Haltung in der
Konfliktprävention- und -bewältigung erfordert die grundsätzliche Bereitschaft zur Entsendung von
Friedensmissionen nach Afrika. Eine Optimierung des VN-Frühwarnsystems und
Standby-Vereinbarungen mit den Mitgliedsstaaten könnten eine zügige Entsendung von
Friedenstruppen unterstützen. Bislang haben mehr als 80 Länder - darunter auch Deutschland,
bedauerlicherweise jedoch nicht die USA - angeboten, verbindlich und auf Dauer Truppenteile für
Friedensmissionen als "stand-by-forces" bereitzuhalten. Die G8-Länder müssen bereit sein,
friedenserhaltende - und ggfs. auch friedensschaffende - VN-Missionen finanziell und personell
adäquat zu unterstützen. VN-Missionen müssen darüber hinaus mit einem angemessenen (ggfs.
robusten) Mandat ausgestattet werden, damit sie ihre Aufgaben erfüllen können. Internationale
politische Initiativen, die die gewaltsame Austragung von Konflikten erschweren müssen fortgeführt
und umgesetzt werden, wie z.B. die Antipersonenminenkonvention, die Bekämpfung der Anhäufung
und Verbreitung von Kleinwaffen sowie die Zertifizierung von Diamanten. Die Industrieländer sind
aufgefordert, ihre internationale Verantwortung wahrzunehmen und die Quellen der Kriegsfinanzierung
zum Versiegen zu bringen.
Arme Bevölkerungsgruppen sind auch in Friedenszeiten extremen Risiken und Unsicherheiten
ausgesetzt, die ihre Lebensgrundlage immer wieder in Frage stellen. Risikomanagement ist daher ein
wesentliches Element armutsorientierter Politik. Diese muss sowohl Vorsorgemaßnahmen zum
Abbau der Risiken als auch Sicherungsnetze zur Krisenbewältigung - auf Makroebene und auf
individueller Ebene - umfassen (z.B. Arbeitsbeschaffungsmassnahmen, Krankenversicherung,
Mikrofinanzierungsprogramme).
Zudem müssen die Voraussetzungen für schnelleres und effektiveres nichtmilitärisches
Krisenmanagement der EU geschaffen werden. Das jüngste Beispiel zur Bewältigung der
Flutkatastrophe in Mosambik zeigte, dass der gebündelte Einsatz von militärischen und
nicht-militärischen Kräften, von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren schnelle und wirksame
Hilfe bei der Linderung der humanitären Not und beim Wiederaufbau leisten kann. Zivile
Krisenbewältigungskapazitäten müssen weiter ausgebaut werden. Nach dem Ende einer akuten Krise
ist es Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit, den Übergang von der Überlebenshilfe zum Aufbau
langfristiger Strukturen in Richtung auf einen nachhaltigen Entwicklungsprozess zu unterstützen.
(3) "Investitionen" in die Menschen und Förderung sozialer Grunddienste
Ohne entscheidende Fortschritte in diesem Bereich kann Armut nicht nachhaltig verringert werden.
Afrika könnte die soziale Entwicklungskrise in einer Generation lösen, wenn die Ressourcen für
Gesundheit und Bildung erhöht und - noch wichtiger - die verfügbaren Mittel so eingesetzt werden,
dass das Angebot an Basisgesundheitsdiensten und Grundbildung wirksam verbessert und die
Diskriminierung von Mädchen und Frauen abgebaut werden würde. Eine Dezentralisierung der
staatlichen Dienstleistungen weg von schwachen zentralistischen Institutionen hin zu
eigenverantwortlichen, lokalen Institutionen ist eine wichtige Voraussetzung zur Erhöhung der
Wirksamkeit der Bildungs- und Gesundheitsausgaben. Entwicklungspolitische Maßnahmen in diesen
Bereichen werden mit hoher Priorität unterstützt.
(4) Bekämpfung von HIV/AIDS
Im Gegensatz zu vielen anderen großen Gesundheitsproblemen wie Malaria oder
Atemwegsinfektionen, ist AIDS eine Krankheit, gegen die man sich durch Verändern von Verhalten
und Prävention (v.a. Benutzung von Kondomen) fast vollständig schützen kann. Doch wer in Armut
lebt und keine Zukunftsperspektiven sieht, wer nicht weiß, wovon er morgen leben soll, kümmert sich
heute nicht um Safer Sex.
Deshalb ist AIDS mehr als ein Gesundheitsproblem. Es ist ein soziales und politisches Problem. Der
grassierende AIDS-Tod löst Familien auf, führt zu wirtschaftlichem Niedergang, zum Zusammenbruch
staatlicher Strukturen. Letztlich ist AIDS daher ein Problem für Frieden und Sicherheit - nicht zufällig
war diese Pandemie ein Thema für den UN-Sicherheitsrat
Weil AIDS ein alle Bereiche betreffendes Problem ist, ist der Kampf gegen AIDS auch eine
Querschnittaufgabe der gesamten Entwicklungszusammenarbeit.
Und wir setzen uns dafür ein, dass das Tabu gebrochen wird, mit dem diese Krankheit in vielen
afrikanischen Gesellschaften immer noch belegt ist. Auf allen Reisen appelliere ich an die politischen
Führer in den betroffenen Ländern, dass sie Leadership zeigen. Denn Verschweigen der Krankheit,
der Ansteckungswege und der Schutzmöglichkeiten heißt Tod.
Dabei zeigt sich: Es gibt überall dort Hoffnung und positive Veränderungen, wo die politische Führung
das Schweigen bricht, wo Ursachen und Ausmaß von AIDS öffentlich gemacht werden, wo öffentliche
Kampagnen zur Prävention eingeleitet werden. In Senegal und Uganda beispielsweise konnten so die
Neuinfektionen drastisch reduziert werden.
Darüber hinaus wurde der Dialog und die Zusammenarbeit mit der deutschen Wirtschaft verstärkt mit
dem Ziel, dass diese ihrer internationalen Verantwortung gerecht wird und Medikamente zur
AIDS-Bekämpfung in Entwicklungsländer kostenlos abgibt. Außerdem werden verstärkt
Entwicklungspartnerschaften zwischen der deutschen Wirtschaft und der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit gebildet. Die Partnerländer werden beim Aufbau leistungsfähiger
Gesundheitssysteme und bei der Qualifizierung des Gesundheitspersonals unterstützt. Jeder Partner
engagiert sich auf dem Gebiet, auf dem er besonders kompetent ist, für das gemeinsame Ziel: Kampf
gegen AIDS.
Zur gezielten Bekämpfung der weiteren Ausbreitung von HIV/AIDS werden u.a. "social
marketing"-Projekte, d.h. die subventionierte und damit soziale Vermarktung von Kondomen,
gefördert.
Aus den vielen internationalen Initiativen, die von Deutschland mitgetragen werden, ist die aktive
Unterstützung der "Internationalen Partnerschaft gegen AIDS in Afrika" hervorzuheben.
(5) Stärkung der wirtschaftlichen Leistungskraft, Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und
Diversifizierung der Ökonomien
Hohe Kosten und Risiken belasten wirtschaftliche Aktivitäten und verhindern Investitionen
afrikanischer wie ausländischer Unternehmen und die Schaffung von Arbeitsplätzen, die notwendig
sind für ein armutsorientiertes Wachstum. Trotz der bisher eingeleiteten wirtschaftlichen
Reformprozesse sind weitere umfassende Reformen notwendig, die u.a. zur Verringerung der
Bürokratie und Korruption, zur Verbesserung der Infrastruktur sowie zu einem erhöhten Zugang zu
Finanzdienstleistungen und Informationen beitragen. Dabei müssen lokale Institutionen und der private
Sektor gestärkt werden. Deutsche Entwicklungszusammenarbeit kann die Partnerländern in all den
genannten Bereichen unterstützen. Zunehmend an Bedeutung wird dabei die Zusammenarbeit mit der
verfassten Wirtschaft und die Unterstützung im Rahmen des Programms
"Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft/PPP" erhalten. Dabei kommt es darauf an, dass
nicht nur moderne städtische Inseln geschaffen werden, die zwar in den Weltmarkt integriert werden,
aber keine Verknüpfung zum Hinterland haben. Vielmehr müssen eine breitenwirksame Entwicklung
angestoßen und Ungleichheiten abgebaut werden. Es müssen gleichzeitig wirtschaftliche
Möglichkeiten verbessert ("opportunity") und die Risikobelastung, v.a. von armen
Bevölkerungsgruppen, verringert werden ("security").
Das trifft ganz besonders für den Anpassungsprozess im Agrarsektor zu. Da in Afrika südlich der
Sahara noch zwei Drittel der Bevölkerung im ländlichen Raum lebt kommt der ländlichen Entwicklung,
der Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktivität und der Schaffung von Arbeitsplätzen in vor- und
nachgelagerten Bereichen der Landwirtschaft hohe Bedeutung zu. Aufgrund der jahrhundertlangen
Ausbeutung der Landwirtschaft ist diese immer noch unterkapitalisiert. Ein Ausbau der ländlichen
Finanzdienstleistungen ist daher dringend erforderlich. Ein höherer Anteil der öffentlichen Ausgaben
muss in ländliche Gebiete fließen. Die Reformen der vorherrschenden Agrarverfassungen müssen
gefördert und unterstützt werden, um ein Maximum der Potentiale der ländlichen Bevölkerung zu
mobilisieren. Bei der angestrebten Steigerung und Diversifizierung der landwirtschaftlichen Produktion
ist auf die ökologische Verträglichkeit zu achten. Frauen haben in Afrika erheblichen Anteil daran, das
Überleben der Familien zu sichern, Einkommen zu erwirtschaften und den Entwicklungsprozess zu
beschleunigen. Frauen und Männer müssen daher gleichberechtigt Einfluss auf die Gestaltung von
Entwicklungsvorhaben nehmen und daraus Nutzen ziehen.
Afrikanischen Staaten muss die Möglichkeit gegeben werden, die Chancen, die der Weltmarkt bietet,
zu nutzen. Dabei kann es aber nicht darum gehen, die Handelsliberalisierung blindlings
voranzutreiben. In vielen afrikanischen Ländern müssen die Voraussetzungen für eine erfolgreiche
Weltmarktintegration erst geschaffen werden. Deutsche Entwicklungszusammenarbeit unterstützt
daher interne Strukturveränderungen und den Aufbau geeigneter Institutionen, damit Handelschancen
auch wahrgenommen werden können. Partnerländer werden außerdem dabei unterstützt, dass sie
ihre legitimen Interessen in den Verhandlungsprozess der WTO einbringen können, d.h. u.a. auch die
Öffnung der OECD-Märkte für landwirtschaftliche Produkte und der Abbau von Exportsubventionen der
Industrieländer.
(6) Erhalt und nachhaltige Nutzung natürlicher Lebensgrundlagen
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser und der Erhalt von fruchtbarem Ackerland, Weideland und Wald
sind zentrale Punkte für eine nachhaltige armutsmindernde Entwicklung in Afrika. In einigen Ländern
führte fortschreitende Degradation landwirtschaftlicher Böden und von Weideland zu einer
dramatischen Verringerung landwirtschaftlicher Nutzfläche pro Kopf. Angepasste nachhaltige
Bewirtschaftungsformen und die Umsetzung der VN-Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung
und zum Erhalt der Bodenfruchtbarkeit in Trockenzonen - neben den Konventionen zum Klimaschutz
und zur Erhaltung der Artenvielfalt eine der drei internationalen Vertragswerke des Rio-Prozesses -
haben daher für Afrika hohe Priorität. Das Sekretariat der Konvention hat 1999 seine Arbeit in Bonn
aufgenommen und wir von der Bundesregierung besonders unterstützt. Der Afrika-Annex dieser
Konvention bietet einen klaren Bezugsrahmen für alle bilateralen Maßnahmen.
Rund 300 Millionen Afrikaner/-innen leben in einer wasserknappen Umgebung. Wasser ist knapp,
ungleich verteilt und ökologisch gefährdet. Neben der täglichen Gefährdung durch verschmutztes
Trinkwasser besteht die Gefahr von Dürrekatastrophen und von internen und internationalen Konflikten.
Grenzüberschreitender Zusammenarbeit zur Bewirtschaftung der knappen Ressource kommt daher in
Zukunft ebenso große Bedeutung zu wie der Unterstützung von Vorhaben, die der gesamten
Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser und eine hygienische Abwasserentsorgung
ermöglichen.
Die fragilen afrikanischen Ökosysteme erfordern darüber hinaus in besonderem Maße die Erhaltung
tropischer Regenwälder. Da die Zerstörung häufig armutsbedingte Ursachen hat und auf
Energiemangel zurückgeht, ist es wesentlich, dass in den Strategien zur Armutsminderung die
Prinzipien nachhaltiger Entwicklung verankert werden und die Ressourcenbasis auch für zukünftige
Generationen erhalten bleibt.
(7) Stärkung der Position von Frauen
In Afrika sind Frauen von Armut und Benachteiligung besonders betroffen. Die Rolle von Frauen in der
Zivilgesellschaft, ihre zentrale Rolle für Frieden und Entwicklung in Afrika kann nicht genug betont
werden. Während sie einen Großteil der Verantwortung und Arbeitsbelastung für das Überleben der
Familien tragen, haben sie häufige keinen eigenständigen Zugang zu produktiven Ressourcen oder
Einkommen und werden an politischen Entscheidungsprozessen nicht beteiligt. Es ist an der Zeit,
Initiativen und Politiken, die die Verbesserung der Position von Frauen in der Gesellschaft und die
Verwirklichung ihrer Rechte zum Ziel haben, zu ermutigen und systematisch zu unterstützen. Frauen
müssen die Möglichkeit bekommen, selbständig Einkommen zu erwirtschaften, damit sie ihre
eigenen Grundbedürfnisse sowie die ihrer Kinder besser erfüllen können. Sie müssen sich zunehmend
in politische und gesellschaftliche Prozesse einmischen und Entscheidungen mitbestimmen können.
Diesem Anliegen tragen wir im Rahmen unserer entwicklungspolitischen Arbeit Rechnung, z.B. durch
Unterstützung von Vorhaben zur Rechtsberatung von Frauen.
Während der Sondergeneralversammlung "Peking + 5" haben wir gemeinsam mit unseren Partnern
aus der EU die Verurteilung aller Formen der Gewalt gegen Frauen erreicht. Es wurde erneut
bestätigt, dass es für weibliche Genitalverstümmlung keine Rechtfertigung gibt. Andere Gewalttaten
gegen Frauen wurden erstmals als Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit unterstützt Regierungen und Frauen-Initiativen die entschlossen die
Genitalverstümmelung bekämpfen.
(8) Regionale Kooperation
Die Förderung der von afrikanischen Staaten selbst angestrebten stärkeren regionalen
Zusammenarbeit ist für dauerhaften Frieden und nachhaltige Entwicklung in Afrika von hoher
Bedeutung. Regionalintegration schafft ökonomische, politische und kulturelle grenzüberschreitende
Interessen, die auch das Interesse an einem friedlichen Miteinander stärken. Angesichts kleiner
Märkte in vielen Ländern kommt der regionalen Zusammenarbeit und wirtschaftlichen Integration eine
hohe Bedeutung für die zukünftige Entwicklung zu. Regionale Integration verbessert Standortfaktoren
für Investitionen und Handel. Dies wird gerade im Zuge fortschreitender Globalisierung immer
wichtiger. Die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und Nutzung knapper Ressourcen, wie
z.B. Wasser, kann nur im regionalen Kontext friedlich und dauerhaft geregelt werden. Internationale
Übereinkommen, wie z.B. die UN-Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung, können sinnvoll
und nachhaltig nur durch Erfahrungsaustausch und gemeinsame Anstrengungen der betroffenen
Staaten, wie z.B. der Sahel-Staaten, umgesetzt werden.
Unsere Entwicklungspolitik unterstützt die Regionalorganisationen beim Ausbau ihrer Kapazitäten zur
ökonomischen und ökologischen Kooperation sowie zur langfristigen Krisenvorbeugung und friedlichen
Konfliktbearbeitung zu unterstützen.
Schlussbetrachtung
Entwicklung heisst nicht, dass wir Entwicklungsrezepte exportieren. Entwicklung findet dann statt,
wenn die Handlungsmöglichkeiten aller Bevölkerungsgruppen - auch und insbesondere von Frauen -
erhöht werden, damit diese selbstbestimmt ihre Lebenssituation verbessern können. Nur in offenen
Gesellschaften ist dies wirklich möglich. Die deutsche Entwicklungspolitik genießt in Afrika ein hohes
Ansehen. Die Menschen erwarten von uns, dass wir ihre Eigenanstrengungen unterstützten. Wir sind
gefordert, nationale und internationale Rahmenbedingungen so zu beeinflussen, dass eine
menschliche, friedliche und gerechte Entwicklung auch für die Menschen in Afrika südlich der Sahara
möglich wird.
Quelle: Homepage des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Auch abgedruckt in der Zeitschrift E+Z, Jahrg. 42, Heft 5/2001.
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