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Afrikas Jahrhundert lässt auf sich warten

17 afrikanische Kolonien erlangten 1960 die formelle Unabhängigkeit / Der Kontinent ist nach wie vor Rohstofflieferant und selbst bei hohen Preisen fällt für die Normalbevölkerung wenig ab

Von Marc Engelhardt, Nairobi *

Afrika hat das erste halbe Jahrhundert seiner Unabhängigkeit schlecht genutzt. An die Stelle der Kolonialherren traten vielerorts noch brutalere einheimische Diktatoren. Der Westen trägt dafür Mitverantwortung. Heute gibt es Wachstum, doch oft auf Kosten der Menschenrechte.

Es sollte Afrikas Jahrhundert werden: Als 1960 siebzehn afrikanische Staaten in die Unabhängigkeit entlassen worden, war die Zeit der Kolonien endgültig vorbei - auch wenn es in einigen Ecken noch Jahrzehnte dauern sollte, bis die neue Realität von allen anerkannt wurde. Der brillante Redner Patrice Lumumba, der aus ärmlichen Verhältnissen 1960 zu Kongos Premierminister aufstieg, war eine der Gallionsfiguren des freien Afrikas. Er forderte, das Volk müsse vom kongolesischen Ressourcenreichtum profitieren - und wurde für diese angeblich sozialistischen Umtriebe nur Monate nach seiner Ernennung ermordet. Nicht nur der Geheimdienst der ehemaligen Kolonialmacht Belgien, auch die amerikanische CIA waren an der Hinrichtung und dem Putsch des späteren Alleinherrschers Mobutu Sese Seko beteiligt.

Brutaler als zu Kolonialzeiten

Lumumba blieb nicht das einzige Opfer. Der Ghanaer Kwame Nkrumah, Fürsprecher eines geeinten Afrikas, wurde 1966 - ebenfalls mit CIA-Hilfe - von der Armee gestürzt, als er auf im Ausland weilte. Auf die Visionäre folgten die Generäle und Potentaten: Idi Amin, der sich in Uganda damit brüstete, sich mit Menschenfleisch zu stärken; Kongos Mobutu, der seinen Staat in Zaire umbenannte und sich selbst ein Versailles im Dschungel errichtete, während sein Volk hungerte; der selbsternannte zentralafrikanische »Kaiser« Bokassa der Erste. Ihre selbst für Kolonialzeiten unglaubliche Brutalität wurde im kalten Krieg geduldet, weil sie den Einzug des Sozialismus verhinderten. In anderen Winkeln Afrikas finanzierten der Westen und der Ostblock jahrelange Stellvertreterkriege wie in Mosambik oder Angola. Als der kalte Krieg abrupt endete, stürzte ein Marionettenregime nach dem anderen. Zugleich offenbarten sich die Schulden, die mit Wissen der jeweiligen Schutzmächte angehäuft worden waren. Umstrittene »Strukturanpassungsprogramme« der Weltbank und des Internationalen Wärhungsfonds sollten in den 90er Jahren wirtschaftliche Nüchternheit propagieren, sorgten aber vor allem für Massenentlassungen und hohe Arbeitslosigkeit. Erst in den vergangenen Jahren mausert sich Afrika mehr und mehr zum wirtschaftlichen Hoffnungsträger: Das Wachstum liegt selbst in der derzeitigen Weltwirtschaftskrise noch bei mehr als fünf Prozent.

Wachstum auf Kosten der Menschenrechte

In vielen Ländern hat sich erstmals eine Mittelschicht etabliert. Doch die renommierte Mo Ibrahim Foundation warnt, dass der wirtschaftliche Aufschwung auf Kosten von Menschenrechten geschieht. In ihrem jüngsten Afrika-Index spricht die Stiftung von einer »demokratischen Rezession«. »Wir müssen aufpassen, dass die Regierungen die Grundrechte nicht aus den Augen verlieren«, warnt Tansanias ehemaliger Außenminister Salim Achmed Salim. »Eine einseitige Ausrichtung auf ökonomischen Aufschwung ist nicht nachhaltig, wie die Vergangenheit mehrfach gezeigt hat.«

Zahlen und Fakten: Dürftige Bilanz

17 afrikanische Staaten wurden 1960 unabhängig. 50 Jahre später gibt es in den wenigsten viel zu feiern:
  • In Kamerun regiert seit 28 Jahren Präsident Biya, der 2011 wieder antritt. Opposition und freie Presse haben es schwer.
  • In Senegal baut Präsident Abdoulaye Wade trotz Widerstands in der Bevölkerung seinen Sohn Karim als Nachfolger auf.
  • In Togo hat sich die Lage seit blutigen Unruhen 2005 entspannt.
  • Mali leidet unter dem Terror von Tuareg und islamistischen Gruppen im Norden des Landes.
  • Madagaskar hat sich vom Putsch 2009 noch nicht erholt - Demokratie ist nicht in Sicht.
  • Vor allem im Osten Kongos (Kinshasa) versetzen Rebellen und Milizen die Bevölkerung in Angst und Schrecken.
  • Somalia ist nach 20 Jahren ohne Regierung ein Land in Trümmern.
  • Benin gilt trotz Armut als eine der stabilsten Demokratien Afrikas.
  • Niger wird seit Februar von einer Militärjunta regiert, die Wahlen immer wieder verschiebt.
  • Burkina Faso, seit 23 Jahren von Blaise Compaoré regiert, ist eine der ärmsten Nationen.
  • Côte d'Ivoire ist seit einer Rebellion 2002 faktisch ein geteiltes Land, demokratische Wahlen finden nicht statt.
  • Tschad gehört trotz Ölreichtums zu den ärmsten Ländern, im Süden und Osten kämpfen Rebellen.
  • In der Zentralafrikanischen Republik kontrolliert die Regierung kaum mehr als die Hauptstadt Bangui.
  • Kongo (Brazzaville) und Gabun sind potenziell reiche Ölnationen, deren Bevölkerung verelendet.
  • In Nigeria gibt es an der Nahtstelle zwischen muslimischem Norden und christlichem Süden sowie im ölreichen Nigerdelta immer wieder Unruhen.
  • In Mauretanien, regiert von einem ehemaligen Putschisten, weiten militante Islamisten ihre Aktivitäten aus. CE


* Aus: Neues Deutschland, 13. Oktober 2010


Mehr Fluch als Segen

Afrika wird seines Reichtums nicht froh

Von Marc Engelhardt, Goma/Bangui **


Kein anderer Kontinent hat so reiche Rohstoffvorkommen wie Afrika. Doch wo sie abgebaut werden, verschlimmern sich für die Bevölkerung die Lebensumstände meist drastisch.

Rohstoffreichtum ist in Afrika fast immer mit Gewalt, Vertreibung und dem Reichtum Weniger verbunden - egal ob es sich um Coltan aus der Demokratischen Republik Kongo, Diamanten aus Simbabwe oder Öl aus Nigeria handelt. Für die Bewohner bleibt, wenn überhaupt, nur wenig. Louis Mokunga etwa verlässt sein Heimatdorf Bekaté im Süden der Zentralafrikanischen Republik stets früh am Morgen. In einem entfernten, mitten im Dschungel versteckten Flussarm steht er tagsüber bis zu den Hüften im Wasser, während er nassen Sand durch sein Metallsieb schüttelt. Irgendwo, das weiß Mokunga, sind hier Goldkörner verborgen. Doch wenn es Abend wird, geht er meist mit leeren Händen heim.

»Gold gibt es hier schon, das Problem ist: Wir haben kein Geld, um die nötige Ausrüstung zu kaufen«, sagt der fünffache Familienvater. »Was wir brauchen, ist jemand, der uns hilft, damit wir die Vorkommen in dem Flussarm hier wirklich ausbeuten können.« Doch private Investoren gibt es kaum, und die Regierung hat kein Geld. Obwohl in der Region rund um Bekaté die reichsten Goldvorkommen des Landes vermutet werden, sind die Lehmhütten hier mit Stroh gedeckt. Die Bewohner tragen Lumpen. Goldgraben ist kein einträgliches Geschäft. »In den offiziellen Ankaufbüros bekomme ich 1000 Francs für ein Gramm Gold, das sind etwa zwei Euro«, erklärt Mokunga. Den Gewinn machen Zwischenhändler in der Hauptstadt Bangui und die Käufer aus Europa oder dem Nahen Osten. Immer häufiger wird das Gold außer Landes geschmuggelt. Der Rohstoffhunger vor allem in China macht die Ausbeutung Afrikas zu einem immer lohnenderen Geschäft.

** Aus: Neues Deutschland, 13. Oktober 2010


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