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Gelockerte Fesseln und Plünderökonomie

Schlaglichter auf 50 Jahre Unabhängigkeit in Afrika

Von Werner Ruf *

Teil I: Die Kontinuität des französischen Einflusses

Zum 14. Juli 2010, dem französischen Nationalfeiertag, hatte Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy die Staatschefs aus 14 afrikanischen Ländern – allesamt frühere französische Kolonien – eingeladen. Und alle kamen, meist in Begleitung ihrer Gattinnen, bis auf Laurent Gbagbo aus Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste), wo Frankreich mit der Opération Licorne (Operation Einhorn) seit 2002 Akteur in einem Bürgerkrieg auf der Seite der Gegner Gbagbos ist. Doch auch seine Soldaten durften zum 50. Jahrestag der »Unabhängigkeit« ihrer »Republiken« gemeinsam mit denen der 13 anderen Staaten auf den Champs Elysées in Paradeuniform defilieren. Sarkozy – schwer angeschlagen durch eine massive Korruptionsaffäre und sonst eher wegen rassistischer Äußerungen bekannt (noch als Innenminister beabsichtigte er, die Pariser Vorstädte »mit dem Kärcher vom Pack« zu säubern, Ende Juli 2010 trat er mit der Forderung an die Öffentlichkeit, bei schweren Straftaten sollte französischen Bürgern mit Migrationshintergrund die Staatsangehörigkeit entzogen und ihre Ausweisung verfügt werden) – wollte sich im Glanz des »postkolonialen Frankreich« sonnen und versuchte, aus dem Spektakel ein französisches Ereignis zu machen: Die schwarzhäutige Folkloretruppe sollte die exotische Kulisse liefern und Dankbarkeit signalisieren für die gloriosen Taten Frankreichs während und nach der Kolonialzeit. Fragen darf man sich allerdings, ob die versammelten Diktatoren, Menschenrechts- und Kriegsverbrecher und ihre »Elitesoldaten« ein sinnvolles und passendes Dekor für den Jahrestag der Erstürmung der Bastille durch das Volk von Paris abgaben.

1960: das afrikanische Jahr

Nicht nur die französischen Kolonien Dahomé (heute Benin), Elfenbeinküste, Gabun, Kamerun, Kongo-Brazzaville, Madagaskar, Mali, Mauretanien, Niger, Obervolta (heute Burkina Faso), Senegal, Togo, Tschad und Zentralafrikanische Republik, sondern auch die ehemals britischen Gebiete Nigeria und Uganda wurden 1960 »in die Unabhängigkeit entlassen«, wie es im offiziellen Sprachgebrauch heißt. Ghana hatte als erstes schwarzafrikanische Land schon 1957 seine Unabhängigkeit erhalten. 1960 wurden noch der ehemals belgische Kongo, heute Demokratische Republik Kongo, und Somalia unabhängig. Insgesamt also 18 Staaten, die noch im selben Jahr in die Vereinten Nationen aufgenommen wurden. Die Dekolonisation hatte offenbar weltweit Konjunktur – auch wenn der schlimmste Konflikt, der Unabhängigkeitskrieg in Algerien noch weitere zwei Jahre dauern sollte.

Die Aufnahme der 18 unabhängigen Staaten in die UNO blieb nicht ohne Folgen für die Abstimmungsverhältnisse in der Generalversammlung. Ihre Präsenz und ihre Stimmen waren ausschlaggebend dafür, daß das Prinzip der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien in der Resolution 1514 (14.12.1960) der Generalversammlung feierlich festgeschrieben wurde.

Zwei Grundsätze sollten dafür gelten: Erstens das Selbstbestimmungsrecht für alle fremd verwalteten Territorien: »Alle Völker haben das Recht der freien Selbstbestimmung. (…) sie bestimmen frei ihren politischen Status und verfolgen frei ihre ökonomische, soziale und kulturelle Entwicklung.« Und zweitens die Anerkennung der Integrität dieser Territorien: »In den noch unter Vormundschaft stehenden Territorien, in den nicht autonomen Territorien und in all den Territorien, die noch nicht zur Unabhängigkeit gelangt sind, werden unmittelbar Maßnahmen getroffen, um alle Gewalten an die Völker dieser Territorien zu übertragen (…), entsprechend ihrem Willen und ihren frei geäußerten Wünschen (…), um ihnen zu gestatten, völlige Unabhängigkeit und Freiheit zu genießen. (…) jeder Versuch, der darauf zielt, teilweise oder ganz die nationale Einheit und die territoriale Integrität eines Landes zu zerstören, ist unvereinbar mit den Zielen und den Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen.«

Damit war nicht nur das Recht auf Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien festgeschrieben, auch die Staatsgrenzen wurden für unantastbar erklärt, und zwar so, wie sie auf der Berliner Kongo-Konferenz 1884/85 von den Kolonialmächten mit Stift und Lineal gezogen worden waren – ohne Kenntnis und Rücksicht auf die in Afrika bestehenden politischen Formationen und Ethnien. Der Grundsatz der Unveränderbarkeit der aus der Kolonisation stammenden Grenzen wurde auch in der am 25. Mai 1963 gegründeten Organisation für Afrikanische Einheit (OAU)[1] zum Prinzip erhoben: Eine Änderung dieser Grenzen wurde damals als ein Präjudiz betrachtet, das, einmal durchbrochen, einen Flächenbrand für ganz Afrika hätte einleiten können.

Die Resolution 1514 war 1960 ein wichtiges Signal und Ordnungselement für die noch immer unter kolonialer Verwaltung stehenden Gebiete wie Angola, Moçambique, Nordrhodesien (Sambia), Südrhodesien (Simbabwe), West-Sahara, vor allem aber Namibia und Südafrika, das formell keine Kolonie war, in dem aber aufgrund der rassistischen weißen Herrschaft die schwarze Mehrheit keine politischen Rechte besaß. Massiv unterstützt wurde die Resolution damals von den USA. Dies mag auf den ersten Blick paradox erscheinen, entspricht jedoch der Freihandelslogik der Vereinigten Staaten: Die Kolonien waren eng an die »Mutterländer« gekoppelt, ihre Wirtschaft auf den metropolitanen Bedarf der Kolonialmacht ausgerichtet. Mit der Unabhängigkeit wurden ihre Märkte endlich auch den USA zugänglich.

Frankreichs ehemalige Kolonien

Für die ehemaligen Kolonien Frankreichs im Sahelgürtel hatte die fast großzügig konzedierte Unabhängigkeit gravierende Folgen: Frankreich schlug die gesamte Sahara, die bis dahin Teil der »Afrique Occidentale Française (AOF)« gewesen war, zu Algerien, das ja noch französisches Territorium war. Diese Grenzziehung, die bis heute Bestand hat, entzog den ehemaligen Kolonien Frankreichs im Sahelraum wichtige und ressourcenreiche Gebiete. Angesichts der Kritik der mehr »gemäßigten«, d.h. Frankreich ansonsten eher freundlich gesonnenen Führungen der Unabhängigkeitsbewegungen in diesen westafrikanischen Kolonien schlug Paris die Bildung einer gemeinsamen Organisation zur Nutzung der saharischen Ressourcen (Organisation Commune des Ressources Sahariennes, OCRS) vor, an der die Anrainerstaaten beteiligt werden sollten. Dabei ging es Frankreich letztlich um den alleinigen Zugriff auf die Ressourcen (vor allem Erdöl und Erdgas), aber auch um die Fortsetzung seiner Atomversuche im Raum von Reggane im heutigen Südalgerien.

Eine der vielen Ironien der Weltgeschichte ist es, daß die algerische Nationale Befreiungsfront (FLN), mit der Frankreich damals schon indirekt verhandelte, eine solche tendenzielle Internationalisierung der Sahara konsequent ablehnte, was eine Verlängerung des Krieges in Algerien um mindestens ein Jahr zur Folge hatte. Bezüglich der Atomversuche einigten sich jedoch Frankreich und die FLN darauf, daß diese noch fünf Jahre nach der Unabhängigkeit Algeriens mit katastrophalen Folgen für Menschen und Umwelt fortgesetzt werden konnten – ohne daß seitens der algerischen Führung auch nur ein Mindestschutz für die Bevölkerung ausgehandelt worden wäre. Erst 1967, fünf Jahre nach der algerischen Unabhängigkeit, verlegte Frankreich die Versuche nach Polynesien.

Die politischen Systeme, die aus dieser Dekolonisation der ehemaligen französischen Kolonien hervorgingen, stellten (bis auf Guinea) kein Problem für die weitere wirtschaftliche und militärische Präsenz Frankreichs dar. Ohne auf die einzelnen Staaten hier im Detail eingehen zu können, ist festzustellen, daß im Gegensatz zu den Staaten des Maghreb (die Protektorate Marokko und Tunesien wurden 1956 formal unabhängig, Algerien schließlich 1962) kaum widerständig organisierte Kräfte oder Parteien vorhanden waren, allenfalls gab es in der Regel kleine und angesichts einer kaum vorhandenen Industrialisierung wenig effiziente Gewerkschaften. Die durch den Kolonialismus verursachte Unterentwicklung, das Zuschneiden der jeweiligen Produktion auf die Bedürfnisse des »Mutterlandes«, die selektive Bildungspolitik zugunsten bestimmter Gruppen, die gute Zusammenarbeit zwischen den Behörden der – doch so säkularen – französischen Republik mit dem französisch dominierten Missionsorden der Weißen Väter sorgten für eine Kontinuität frankophoner und frankophiler Eliten: Der französisch-afrikanische Dichterfürst und das spätere Mitglied der Académie Française Léopold Sedar Senghor wurde erster Staatspräsident des Senegal, Felix Houphouet Boigny, ein ehemaliger Häuptling, der sogar kurze Zeit als Minister in Paris diente, wurde Staatspräsident der Elfenbeinküste. Moktar Ould Daddah, erster Staatspräsident Mauretaniens, der immerhin eine Tochter von Charles de Gaulle heiratete, war der erste Mauretanier mit einem französischen Universitätsabschluß.

In den Medien war die Zentralafrikanische Republik zeitweilig recht präsent. Als Präsident wurde 1960 der Frankreich genehme David Dacko eingesetzt, der von seinem Cousin Jean-Bédel Bokassa (mit französischer Unterstützung) 1966 weggeputscht wurde. Bokassa hatte es in der französischen Armee zum Feldwebel gebracht, erhielt Kriegsauszeichnungen und wurde 1951 sogar zum Mitglied der Ehrenlegion ernannt. 1976 ließ er sich zum Kaiser Bokassa I. ausrufen, das Land wurde umbenannt in Zentralafrikanisches Kaiserreich. Besonders enge Beziehungen pflegte Bokassa zum damaligen französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing, dem er erhebliche Mengen an Diamanten geschenkt haben soll. Zugleich war das Kaiserreich wegen seiner Uranlieferungen für das französische Atomprogramm wichtig. Die Uranvorkommen brachten ihm auch die Unterstützung der USA ein. Das Regime Bokassas war von unbeschreiblicher Brutalität; Folter unter Teilnahme des Kaisers und Hinrichtungen waren an der Tagesordnung. Zahlreiche Aussagen verweisen auf kannibalische Praktiken des Tyrannen. Dafür wurde er, nachdem sein Cousin Dacko (wohl abermals unter Mithilfe Frankreichs) 1980 erfolgreich gegen ihn geputscht hatte, in der Hauptstadt Ouagadougou in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Sein Exil verbrachte er in einem von Frankreich bereitgestellten Schloß an der Loire.

Das einzige Land aus der französischen Kolonialmasse, in dem der Versuch gemacht wurde, eine autarke Entwicklung in Gang zu setzen, ist Obervolta, seit 1984 Burkina Faso. Unter der Herrschaft von Thomas Sankara, der sich als Hauptmann der Armee 1983 an die Macht geputscht hatte, erlebte es einen einzigartigen Prozeß: Zusammen mit dem damaligen Präsidenten Jerry Rawlings von Ghana versuchte Sankara, ein planwirtschaftliches Entwicklungsprogramm in Gang zu setzen, das sich am kubanischen Modell orientierte. Geradezu legendär ist sein Kampf für ländliche Entwicklung, für Frauenemanzipation, gegen Hunger und Korruption sowie gegen Umweltzerstörung, Frauenbeschneidung und Polygamie. Durch Förderung der Rückkehr zum traditionellen Hirseanbau gelang es, kurzzeitig die eigene Bevölkerung aus heimischer Produktion zu ernähren. Auf ihn geht die Umbenennung des Landesnamens in Burkina Faso (Land der Unbestechlichen) zurück. Sankara war der einzige Politiker in der ehemaligen AOF, der radikal mit dem Kolonialismus brach. Am 15. Oktober 1987 wurde er von Blaise Campaore durch einen Militärputsch gestürzt und getötet. Viele Indizien deuten darauf hin, daß auch an diesem Staatsstreich die französischen Geheimdienste beteiligt waren. Sankara ist in Afrika bis heute ein Mythos.

Ein Sonderfall im ehemaligen französischen Kolonialreich in Afrika ist Guinea, das schon 1958 unabhängig wurde. Unter der Führung von Ahmed Sekou Touré, der seine politische Sozialisation in der Konföderation der Arbeiter Guineas, der guineischen Abteilung des französischen Gewerkschaftsbundes CGT erfahren hatte. Als Mitbegründer des Rassemblement Démocratique Africains (RDA, Afrikanischer Demokratischer Zusammenschluß) vertrat er das Land 1956 in der französischen Nationalversammmlung. Präsident Charles de Gaulle hatte 1958, also unmittelbar nach seiner erneuten Machtübernahme in der Folge des Putsches der französischen Armee in Algerien am 13. Mai 1958, das Konzept einer »französischen Gemeinschaft« entworfen, der auch alle Kolo­nien angehören sollten. Das Volk Guineas war das einzige, das diesem Gesetz nicht zustimmte und somit schon 1958 unabhängig wurde. Sekou Touré wurde zum ersten Präsidenten des Landes gewählt. Frankreich zog sich völlig aus Guinea zurück, eine starke Anlehnung an die Sowjetunion war die Folge. Trotz sozialistischer Rhetorik verkam das Land zu einer repressiven Diktatur, auch planwirtschaftliche Experimente führten eher zum Niedergang der Landwirtschaft als daß sie Fortschritte gebracht hätten. 1984 putschte das Militär, weitere Staatsstreiche folgten – Guinea scheint zurück zu sein in der afrikanischen »Normalität«.

Auf die Vorstellung weiterer Fälle soll hier verzichtet werden. Festzuhalten bleibt, daß Frankreich mit allen 1960 unabhängig gewordenen Staaten Militärabkommen geschlossen hat und in fast allen Garnisonen unterhält, die immer wieder an der Stabilisierung oder Destabilisierung der Regierungen beteiligt sind. Die Ausbildung afrikanischer Offiziere erfolgt noch immer vorzugsweise an französischen Militärakademien: Dies sichert die Kontinuität des französischen Einflusses an die Machtstrukturen in den ehemaligen Kolonien. Damit entpuppen sich die »Unabhängigkeiten« als neokoloniale Folgeunternehmen, die für die Kolonialmacht rentabler sind als der Kolonialismus, müssen doch die Ordnungs-, sprich Repressionsinstrumente nun aus dem Budget der Länder selbst finanziert werden. Dies entlastet nicht nur den Haushalt des »Mutterlandes«, es sorgt zugleich für Aufträge für die französischen Rüstungsindustrie.

La Françafrique

Dieses Unwort entstand aus der Kontraktion von »France« und »Afrique. Der Begriff bezeichnet bisweilen das frankophone Afrika, er steht aber auch für eine Besonderheit des postkolonialen französischen Systems und meint ein Geflecht von Kapitalinteressen und Spitzenpolitikern, in dessen Zentrum der französische Erdölkonzern Elf und eine Vielzahl von Skandalen stehen. Auch hier ist das Jahr 1960 von Bedeutung: Mit der Unabhängigkeit der afrikanischen Kolo­nien und der sich abzeichnenden Unabhängigkeit Algeriens rückte die Autonomie der Energieversorgung Frankreichs ins Zentrum des politischen Interesses, da die Verfügungsgewalt über die energetischen Ressourcen in Algerien und den an die Sahara grenzenden Sahelstaaten nicht mehr gesichert erschien. Parallel zur »Entlassung der afrikanischen Staaten in die Unabhängigkeit« wurde entsprechend einer Anweisung von Staatspräsident de Gaulle Elf-Erap geschaffen, in der mehrere Energieunternehmen in einer nationalen Erdölgesellschaft zusammengefügt wurden, deren Hauptaufgabe die Sicherung der Erdölvorkommen im Golf von Guinea und den ehemaligen Kolonien der AOF war. Es ging und geht bis heute um die Aufrechterhaltung der Dominanz Frankreichs in Afrika mit der Hilfe afrikanischer Alliierter und um die Schaffung einer nationalen Energieversorgung, die nicht unter fremder, also US-amerikanischer Kontrolle stehen soll. Ein weiterer Vorteil: Dieses Öl, das einen Großteil der Versorgung Frankreichs sichert, wird nicht in US-Dollar fakturiert. Und das Öl begann zu sprudeln in Tschad und vor den Küsten von Gabun, Elfenbeinküste, Kamerun und Kongo.

Das System der Françafrique ist perfekt: Die afrikanischen Potentaten und ihre engsten Mitarbeiter kümmern sich nicht darum, wieviel Öl auf ihrem Territorium oder in ihren Hoheitsgewässern gefördert wird: Elf bezahlt keine Gebühren oder Förderanteile an die Staaten, sondern transferiert Pauschalen direkt an die Potentaten und ihre Helfershelfer bzw. auf deren Schweizer Nummernkonten. Vieles deutet darauf hin, daß der französische Atomkonzern Areva bei der Uranförderung in Niger und in der Zentralafrikanischen Republik nach demselben Muster verfährt.

Elf und sein Geschäftsgebaren sind eng verbunden mit Pierre Guillaumat (1901–1991), Sohn eines Generals, von de Gaulle 1944 zum Direktor der Energiebehörde berufen. Als Direktor des Staatskonzerns Electricité de France (1954–1959) war er maßgeblich an der Entwicklung der französischen Atombombe beteiligt. Nach Schaffung der 5. Republik 1958 berief ihn de Gaulle zum Minister für Atomenergie. Er war zugleich der erste Generaldirektor von Elf-Erap, die sich nach verschiedenen Fusionen 1976 in Elf Aquitaine bzw. kurz Elf umbenannte. Guillaumat selbst stammt aus dem Geheimdienstmilieu, das de Gaulle während des Zweiten Weltkrieges aufgebaut hatte. Die Schlüsselfiguren des Konzerns rekrutierte er unter den Vertrauten aus dieser Zeit.

Wichtigster Partner von Guillaumat war Jacques Foccart, gleichfalls ein Mann aus dem Geheimdienstmilieu de Gaulles in der Zeit des Zweiten Weltkrieges. In den 1960er und 70er Jahren hielt »Monsieur l’Afrique«, wie er genannt wurde, alle Fäden der französischen Afrikapolitik in seiner Hand. Er galt als Freund des kongolesischen Präsidenten Mobutu Sese Seko, dessen Herrschaft der Entwicklungssoziologie den Begriff der Kleptokratie beschert hat. Foccart war verwickelt in die von Frankreich unterstützte Sezession in Biafra, in Waffenlieferungen an die ersten Kongo-Söldner wie Bob Denard, möglicherweise hatte er auch seine Hand im Spiel bei der Entführung des marokkanischen Linksoppositionellen Mehdi Ben Barka 1965.

Die Macht des Konzerns führte dazu, daß Elf geradezu zum Königsmacher in den Staaten der ehemaligen AOF wurde: Mit Hilfe Frankreichs wurde 1967 Omar Bongo als Präsident von Gabun installiert. Elf unterstützte Denis Sassou Nguesso, Präsident von Kongo-Brazzaville, der Präsident von Kamerun, Paul Biya, gilt als Statthalter von Elf. Ebenso wie die offizielle Politik Frankreichs spielt Elf auch eine Rolle bei den Wirren in Tschad, wo es in den 80er Jahren zu militärischen Auseinandersetzungen mit Libyen kam. Das Erdöl des Tschad wird zu großen Teilen mittels einer Pipeline über Kamerun an den Golf von Guinea gepumpt. Um Einfluß auf das ölreiche Land kämpfen derzeit weiterhin Frankreich, China und die USA. Für letztere spielt das Land im Rahmen des Aufbaus des neuen US-Oberkommandos für Afrika, AFRICOM, eine zentrale Rolle. Frankreich unterstützt militärisch den regierenden Diktator Déby und hat von 2007 bis 2009 eine europäische Interventionstruppe EUFOR mit Mandat des UN-Sicherheitsrats in den Tschad entsandt, an der unter französischer Führung 18 EU-Mitgliedsstaaten beteiligt waren.

Das System der Françafrique ist trotz zahlreicher Skandale, Verwicklungen in kriminelle Praktiken, illegale Waffengeschäfte etc. bis heute offenbar unverzichtbarer Teil der französischen Afrika-Politik, ja es scheint geradezu Teil einer französischen Staatsräson zu sein, die unabhängig von parteipolitischen Richtungen ist. Eine wichtige Rolle in diesem System spielte auch Jean-Christophe Mitterrand, Sohn des Staatspräsidenten François Mitterrand, der in zahlreiche Waffengeschäfte verwickelt war und dabei mit dem gaullistischen Rechtsaußen und früheren Innenminister Charles Pasqua zusammenarbeitete. Beide wurden inzwischen wegen eines kriminellen Waffenhandels mit Angola verurteilt.

Teil II: Wie ein Kontinent in Unterentwicklung gehalten wird

Die britische Kolonialpolitik unterschied sich grundsätzlich von der französischen: Während Paris seine Kolonien zentral von der Hauptstadt aus verwaltete, setzte Großbritannien auf das Prinzip der indirekten Herrschaft (indirect rule): Bestimmte Bevölkerungsgruppen wurden privilegiert und dienten gewissermaßen als Puffer zwischen der Kolo­nialmacht und ihrer Verwaltung und der Masse der Kolonisierten. Die Spätfolgen dieser Politik sind bis heute virulente ethnische und/oder religiöse Konflikte in den ehemals britischen Kolonien, die sich von Indien/Pakistan über den gesamten Nahen Osten, Zypern bis nach Afrika ziehen.

Geradezu exemplarisch gilt dies für Nigeria. Sowohl der Biafra-Krieg (1967–1970) wie die derzeitigen bürgerkriegsähnlichen Konflikte im Land sind Spätfolgen dieser Politik: Im von der Kolonialmacht als Bundesstaat konzipierten Nigeria dauerte eine auf demokratischen Wahlen basierende Herrschaft gerade einmal sechs Jahre, dann putschte sich im Januar 1966 eine Fraktion des Militärs an die Macht, die der (vorwiegend christlichen) Sprachgruppe der Ibo (auch Igbo) angehörte. Der neue Herrscher, General Aguiyi-Ironsi, löste die Föderation auf und erklärte Nigeria zum Einheitsstaat. Die Furcht vor einer Ibo-Hegemonie führte ein halbes Jahr später zum Gegenputsch von den Ethnien der Haussa und Fulani angehörenden Offizieren und zu Pogromen unter der Ibo-Bevölkerung. Daraufhin erklärte sich die ölreiche und von den Ibo dominierte Ostregion unter dem Namen Biafra für unabhängig. Der folgende fürchterliche Krieg, in den unterschiedliche auswärtige Mächte verwickelt waren (so wurde Biafra durch Frankreich unterstützt) endete drei Jahre später mit der bedingungslosen Kapitulation Biafras. Die ethnischen Rivalitäten werden noch durch die unterschiedlichen Ordnungsvorstellungen im Norden verschärft, wo ein sich immer weiter radikalisierender Islam herrscht, und im Süden wie im Osten, wo christliche Missionierung erfolgreich war. Der allgemeine wirtschaftliche Niedergang des Rentenstaates Nigeria leistet der religiösen Fanatisierung weiter Vorschub und fördert die Fragmentierung der Gesellschaft entlang ethno-religiöser Grenzen, die sich auch in der immer schnelleren Folge von Putschen und Staatsstreichen niederschlagen. Auch für Nigeria gilt, daß der Besitz der Staatsmacht den Zugriff auf die Erlöse des Öl- und Gasexports sichert.

Uganda wurde 1894 britisches Protektorat. Die Briten hatten König Buganda besiegt, machten ihn aber gleich danach (Uganda-Abkommen 1900) zum privilegierten Mithelfer bei der Ausdehnung des Protektorats auf andere Gebiete und statteten ihn mit weitreichenden Sonderrechten aus. Während also die monarchischen Strukturen im Süden des Landes befördert wurden, rekrutierte die Kolonialmacht hauptsächlich groß gewachsene Moslems aus dem Norden für Militär und Polizei. Die Rivalitäten zwischen katholischen und (konkurrierenden) Missionaren hatten dazu geführt, daß die Masse der Bauern und Armen katholisch waren, während die Herrscher (Chiefs) und die bessergestellten Schichten dem Protestantismus anhingen. Entlang diesen Linien bildeten sich politische Bewegungen/Parteien, die aber keinen Widerstand gegen die Kolonialmacht leisteten, sondern um deren Gunst rivalisierten. Daher gab es in Uganda auch keinen Unabhängigkeitskampf, der eine Identität hätte stiften können. Das Land verfiel bald nach der Autonomie für Jahrzehnte in eine bürgerkriegsähnliche Situation.

Somalia schließlich besaß nie eine festgefügte Einheit, sondern bestand aus einer Vielzahl von Clans. Während der komplizierten Kolonialgeschichte, in der sich Italien, Frankreich und Großbritannien um das Gebiet stritten und es aufteilten, verblieb schließlich ein Teil (die Region Ogaden) bei Äthiopien. 1960 wurden die unter britischer und italienischer Hoheit stehenden Teile zusammengeschlossen und in die Unabhängigkeit entlassen. Unter dem diktatorischen Präsidenten Siad Barre wandte sich das strategisch wichtige Land erst der Sowjetunion, dann den USA zu. Seit 1991 gilt Somalia als Prototyp des »zerfallenen Staates«.

Die ehemalige belgische Kolonie Kongo (Republik Zaire, heute: Demokratische Republik Kongo) war bis zum 29. Juni 1960 Privatkolonie des belgischen Königs. In keinem Land wütete der Kolonialismus so brutal wie hier. Der Fluch des riesigen Landes ist sein Rohstoffreichtum: Vor allem im Osten liefen gewaltige Vorkommen von Kupfer, Diamanten, Gold und Coltan. Die belgische Kolonialpolitik hatte den Einheimischen jede akademische Ausbildung verweigert – ausgenommen die zum Priester. Der erste, sozialistisch orientierte Ministerpräsident des Landes, Patrice Lumumba, von Beruf Briefträger, der in der belgischen Presse als Kommunist beschimpft wurde, nahm während der Unabhängigkeitsfeier am 30. Juni kein Blatt vor den Mund und kritisierte gegenüber dem anwesenden belgischen König Baudouin I. vehement die Kolonialpolitik als »erniedrigende Sklaverei, die uns mit Gewalt auferlegt wurde. (…) Wir haben zermürbende Arbeit kennengelernt und mußten sie für einen Lohn erbringen, der es uns nicht gestattete, den Hunger zu vertreiben, uns zu kleiden oder in anständigen Verhältnissen zu wohnen oder unsere Kinder als geliebte Wesen großzuziehen. (…) Wir kennen Spott, Beleidigungen, Schläge, die morgens, mittags und nachts unablässig ausgeteilt wurden, weil wir Neger waren. (…) Wir haben erlebt, wie unser Land im Namen von angeblich rechtmäßigen Gesetzen aufgeteilt wurde, die tatsächlich nur besagen, daß das Recht mit dem Stärkeren ist. (…) Wir werden die Massaker nicht vergessen, in denen so viele umgekommen sind, und ebensowenig die Zellen, in die jene geworfen wurden, (…) die sich einem Regime der Unterdrückung und Ausbeutung nicht unterwerfen wollten.«

Schon vor der Unabhängigkeit machte Moïse Tshombé, Protegé der belgischen Kolonialverwaltung, unter belgischer und US-amerikanischer Protektion den Versuch, den rohstoffreichen Osten – mit zumindest belgischer Unterstützung – abzuspalten. Dafür wurden damals schon weiße Söldner engagiert wie der mit dem französischen Geheimdienst paktierende Bob Denard und der ehemalige Oberfähnrich der Hitlerwehrmacht Siegfried Müller, genannt »Kongo-Müller«. Der damalige prowestliche Generalstabschef des Kongo und spätere langjährige Diktator Mobutu lieferte Lumumba an Tshombé in Katanga aus, wo er unter bis heute nicht ganz geklärten Umständen ermordet wurde. Der damalige UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld, der in Kongo vermitteln wollte, kam im September 1961 bei einem noch immer mysteriösen Flugzeugabsturz ums Leben.

Ende der Bipolarität

Der Zusammenbruch des Sozialismus und der Abschied der UdSSR aus der Weltpolitik blieben auch für die »Dritte Welt« und insbesondere für Afrika nicht ohne Folgen: Bis dahin war für beide Supermächte jedes Land der Welt »von strategischem Interesse«. Also war es wichtig, »befreundete« Regime zu unterstützen, sei es durch Wirtschafts-, Militär- oder Budgethilfe. Aufgrund geostrategischer Interessen verhielt sich die Sowjetunion in vielen Fällen ähnlich wie der Westen: Nicht die mehr oder weniger zur Schau gestellte ideologische Orientierung der »befreundeten« Staaten war ausschlaggebend, sondern die politische Verläßlichkeit der Partner. Nach dem Ende der Bipolarität bestand dieses Motiv nicht mehr, die nur aus politischen Gründen gewährte Unterstützung entfiel.

Daneben darf aber nicht übersehen werden, daß die jungen Staaten in der »Dritten Welt« ihrerseits durchaus den Versuch machten, mit der »Bewegung der Blockfreien« ihre Eigenständigkeit und Distanz von den Supermächten zu demonstrieren. Doch auch die Blockfreiheit war nicht unbedingt gleichzusetzen mit Neutralität zwischen den Blöcken: So war die (militärische) Unterstützung des Regimes in Angola durch Kuba durchaus auch im Interesse der Sowjetunion, wie die mehrmaligen Interventionen Marokkos im Kongo letztlich den westlichen Interessen dienten.

Somalia, das unter Siad Barre erfolgreich mal der einen, mal der anderen Seite zuneigte, war das erste Land, dessen »Staatlichkeit zerfiel«. Diese Kategorie ist so problematisch wie einst das Etikett »prokommunistisch«: Wollte man die effektive Kontrolle des Territoriums, eine einigermaßen funktionierende Infrastruktur, Erziehungs- und Gesundheitswesen zum Kriterium von Staatlichkeit machen, so wären wohl neben Somalia mindestens auch die Demokratische Republik Kongo, Elfenbeinküste, Mali, Niger, Nigeria und Tschad als zerfallende Staaten zu nennen. Aber sie erscheinen kaum auf den einschlägigen Listen, denn »Staatlichkeit« scheint so weit zu funktionieren, daß die wirtschaftliche Ausbeutung (wie das Erdöl im Niger-Delta und im Tschad oder das Uran in Niger) problemlos funktionieren, denn die Funktionsweise des Systems »Françafrique« gilt nicht nur für die ehemaligen französischen Kolonien, sondern genauso für Nigeria, wo man nur den französischen Energiemulti Elf durch den niederländischen Shell ersetzen muß. Staatszerfall kann für westliche Konzerne durchaus auch positive Seiten haben: Die Ausbeutung des Rohstoffreichtums östlich des Kongo-Flusses unter teilweiser Beteiligung der Herrscher in Ruanda und Uganda funktioniert umso besser, je weniger die Staatsführung in Kinshasa in der Lage ist, das Territorium zu kontrollieren. Insbesondere, wenn, wie im Falle von Joseph Kabila, ein Präsident »regiert«, der mit freundlicher Hilfe des Westens und der Absicherung einer eigens von der EU entsandten Truppe gewählt wurde. Durch solche Aktionen soll dem dortigen Regime ein demokratischer Anstrich verpaßt werden, in Europa selbst (und vor allem in Deutschland) wird dadurch die Akzeptanz von Militärinterventionen gefördert.

Wahlen als Farce

Geklagt wird in der westlichen Öffentlichkeit über Korruption, eingefordert wird »gute Regierungsführung«. Dabei wird geflissentlich über die Ursachen der Korruption hinweggesehen. Zu diesem System gehören immer zwei: einer, der (aktiv) besticht und einer, der sich (passiv) bestechen läßt. Es geht nicht darum, Rechtsstaatlichkeit, funktionierende staatliche Strukturen und eine hinreichende Infrastruktur zu schaffen, sondern um die Ausplünderung der Rohstoffe, die zum Fluch des Kontinents geworden sind. Wäre es den Staaten in Afrika gelungen, eine wirkliche funktionierende Staatlichkeit, souveräne und der Bevölkerung verantwortliche politische Systeme aufzubauen, könnte der Raubbau nicht vonstatten gehen.

Für die afrikanischen Akteure heißt dies: Von wenigen Ausnahmen wie Sankara in Burkina Faso abgesehen, ist die Übernahme der Staatsspitze Voraussetzung für persönliche Bereicherung; keineswegs dient sie der Entwicklung des Landes. Erst dieser Zusammenhang macht verständlich, weshalb die einzige funktionierende Struktur dieser Länder, das Militär, fast überall direkt oder indirekt an der Macht ist, weshalb ein Putsch den anderen zu jagen scheint, weshalb Ethnizität und kriminelle Herrschaft mit allen ihren fürchterlichen Folgen wie Massenmord und Vertreibung fast zwingende Folgen der Auseinandersetzungen um die Aneignung der Rente sind.

Stabilität oder Instabilität erscheinen, je nach Interessenlage, als zwei Seiten ein und derselben Medaille. Und Stabilität bedeutet oft nicht mehr als den Erhalt eines Machthabers, der den westlichen Interessen wohlgesonnen ist. Die Gegenleistung sammelt sich dann auf Schweizer Nummernkonten. Die von Zeit zu Zeit veranstalteten »Wahlen« taugen bestenfalls zum Selbstbetrug des Westens (oder der dortigen öffentlichen Meinung). Wahlergebnisse unter solchen Bedingungen geben nicht den tatsächlichen Ausdruck des souveränen Volkswillens wieder: Wo Staatlichkeit mehr oder weniger zusammengebrochen ist, wo es keine hinreichende Rechtsstaatlichkeit und keine reale Gewaltenteilung gibt, werden Wahlen zur Farce.

Im Fadenkreuz der Großmächte

Während Großbritannien gegenüber seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien relativ zurückhaltend agiert, sind Frankreichs Interessen nach wie vor manifest und werden notfalls auch mit militärischer Gewalt durchgesetzt. Der Kontinent ist wegen seines Rohstoffreichtums inzwischen ins Zentrum der Interessen der großen Mächte gerückt. China importiert 63 Prozent seines Erdölbedarfs aus Afrika, den größten Teil davon aus Sudan. Schon seit Jahren überwacht EUCOM, das für Europa zuständige US-Oberkommando in Stuttgart, durch Schiffspatrouillen im Golf von Guinea den Transport von Erdöl und -gas aus Angola, Nigeria und Äquatorial-Guinea. Die bereits erwähnte Intervention der EU im Tschad und die beiden Interventionen in der Demokratischen Republik Kongo verweisen mehr als deutlich auf den Willen der EU (und damit Frankreichs), auch militärisch eine aktivere Rolle auf dem schwarzen Kontinent zu spielen. Die wiederholten Hinweise des jüngst zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler auf die Bedeutung Afrikas gehören in diesen Zusammenhang.

Doch auch die Vereinigten Staaten von Amerika haben Afrika und seine Reichtümer neu entdeckt: Neben der Kontrolle des aufsteigenden Rivalen China und der Eindämmung von dessen in Afrika recht erfolgreicher Außenpolitik geht es um die Sicherung von Rohstoffen und die Kontrolle von Pipelines, die dem Zugriff des Rivalen entzogen werden sollen: Bereits unter US-Präsident William Clinton war die Diversifizierung der Ölimporte massiv vorangetrieben worden. Und der frühere stellvertretende Außenminister für Afrika, Walter H. Kansteiner, hatte bei einem Besuch in Nigeria im Juli 2002 unzweideutig erklärt, daß die Carter-Doktrin [2] nun auch für Afrika gelte, da afrikanisches Öl von strategischem Interesse für die Vereinigten Staaten sei. In der Tat werden nur noch in Afrika umfangreiche neue Lagerstätten entdeckt. Die USA planen eine Steigerung ihrer Öleinfuhren aus dem schwarzen Kontinent von derzeit etwa 13 auf rund 25 Prozent im Jahre 2013.

2007 war ein entscheidendes Jahr für das, was man überspitzt eine Neuaufteilung Afrikas nennen könnte: Am 6. Februar 2007 gab Präsident George W. Bush die Gründung eines eigenen Militärkommandos für Afrika bekannt und erklärte dazu: »Dieses neue Kommando wird unsere Sicherheit in Zusammenarbeit mit Afrika verstärken und helfen, neue Möglichkeiten zu schaffen, um die Fähigkeiten unserer Partner in Afrika zu unterstützen. Africa Command wird unsere Anstrengungen steigern, um zu helfen, Frieden und Sicherheit zu den Völkern Afrikas zu bringen und unsere gemeinsamen Ziele der Entwicklung, Gesundheit, Erziehung, Demokratie und wirtschaftliches Wachstum in Afrika zu fördern.« Afrika sei für die USA »von signifikanter strategischer und wirtschaftlicher Bedeutung«. Ganz im Sinne des sogenannten weltweiten Krieges gegen den Terror solle es darum gehen, »die Fähigkeit unserer afrikanischen Partner auszubilden, um Konflikte zu reduzieren, Sicherheit zu verbessern, Terroristen niederzukämpfen (defeat terrorists), regionale Antworten auf Krisen zu unterstützen«.

Die Bekämpfung von »Terroristen« fällt geographisch offensichtlich mit jenen Regionen zusammen, in denen es um die Sicherung energetischer Ressourcen und um die Pipelines geht, wie im Kaukasus, im Nahen und Mittleren Osten oder am Ausgang des Roten Meeres zum Indischen Ozean (Jemen). Im Falle Afrikas steht hierbei vor allem die Bekämpfung einer ominösen »Al-Qaida im islamischen Maghreb« im Zentrum, die besonders im Sahel-Raum ihr Unwesen treiben soll und Anlaß zur Gründung von AFRICOM gab, dessen Vorläufer die Pan-Sahel-Initiative von 2005 war.

Die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Think-tank der deutschen Außenpolitik, kommentierte den Aufmarsch der Großmächte anläßlich der Gründung von AFRICOM im Jahr 2007: »Verstärkte Anstrengungen im Rahmen der Terrorbekämpfung sind wohl nicht der Hauptgrund für die Einrichtung des AFRICOM. Vielmehr scheinen die Sorgen um die künftige Energieversorgungssicherheit und die Einschätzungen der Rolle Afrikas in diesem Kontext das wesentliche Motiv zu sein. (…) Andererseits könnte ein starkes amerikanisches Handlungsinteresse auch zu einer ausgeprägteren Orientierung der NATO auf diese Region führen, die wiederum in Konkurrenz zur Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) und zum EU-Battle-Groups-Konzept treten könnte. Damit ist nicht nur die Frage nach der Haltung anderer europäischer Staaten wie Frankreich aufgeworfen, sondern auch die Frage nach der deutschen Position in einem derartigen Konkurrenzverhältnis.«[3]

Perspektiven

Unter den Bedingungen der Kolonisation konnte in Afrika keine nennenswerte nationale Bourgeoisie entstehen, die Triebkraft für einen gesellschaftlichen Veränderungsprozeß hätte sein können. Allenfalls hatten sich – und das gilt bis heute – Spurenelemente einer Kompradoren-Bourgeoisie herausgebildet, die ihrerseits an der Rente partizipieren oder sich durch Import-Export-Geschäfte Profitmargen sichern konnte. Allenfalls gab es zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit einige Geschäftsleute und in bescheidenem Maße Grundbesitzer sowie eine Handvoll mehr oder weniger nach links tendierender Intellektueller. Gleichfalls gab es deshalb keine starken, in der Produktion verankerten Gewerkschaften. Die »Entlassung in die Unabhängigkeit« konnte also nicht Folge starker nationaler Befreiungsbewegungen sein, sondern ist gerade im Falle Frankreichs als »Transformation« seines afrikanischen Kolonialreiches zu verstehen. Die Bestrebungen nach Unabhängigkeit gingen eher von französisch gebildeten Intellektuellen aus, für die politische Unabhängigkeit zwar einen hohen symbolischen Stellenwert im Rahmen ihrer Vorstellungen von »Afrikanität« und »Négritude« (Senghor) hatten, keineswegs aber auf einen radikalen politischen, wirtschaftlichen oder gar identitären Bruch mit der Kolonialmacht abzielten.

Wichtiger Aufstiegskanal in den Ländern selbst war daher fast notwendigerweise das Militär. Es war die einzige hierarchisch strukturierte Kraft, die außerdem über ein Gewaltmonopol verfügte. Die Ausbildung an französischen Militärakademien bewirkte auch, daß der jeweilige einheimische Apparat über gute Beziehungen zu Militärs und hohen Staatsbeamten in Frankreich verfügte. Das Zusammenspiel von Militär und (ex-)kolonialem Verwaltungsapparat entwickelte sich so gewissermaßen naturwüchsig. Die Kombination aus Unterentwicklung und Rentenökonomie bedient beide Seiten des neokolonialen Herrschaftssystems: Den Konzernen, vor allem im Energiebereich (Erdöl, Erdgas, Uran), sichert sie billige Preise, den lokalen Statthaltern die Möglichkeit zur Aneignung der Rente.

Die wirklichen Probleme des schwarzen Kontinents liegen anderswo und können aufgrund der Plünderökonomie nicht angegangen werden: Millionen Menschen sterben jährlich an Malaria, AIDS und Durchfallerkrankungen (in dieser Reihenfolge). 82 Prozent der Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit lebte jeder zehnte Afrikaner in einer Stadt, heute ist es jeder zweite. Abholzung, exportorientierte, industrielle Landwirtschaft haben die Subsistenzproduktion und die lokale Nahrungsmittelproduktion zum Erliegen gebracht, Desertifikation ist die Folge. Verstärkt durch den Klimawandel, wurden viele Regionen unbewohnbar. Der Migrationsdruck auf die Städte, aber auch nach außen steigt. Die Elendsmigration in Richtung der Küsten alimentiert Banden von Menschenhändlern, Drogen- und Waffenschmugglern in der Sahara, die dann zu »Al-Qaida im islamischen Maghreb« hochstilisiert werden und als Vorwand für Militärinterventionen dienen. AFRICOM und die Interventionen der EU könnten die Vorboten einer neuen Art der Rekolonialisierung sein.

Fußnoten
  1. Die OAU, die schließlich 53 Mitgliedsstaaten zählte, bestand bis 2002, sie wurde von der Afrikanischen Union (AU) abgelöst.
  2. Im Zusammenhang mit der Erstürmung der US-Botschaft in Teheran und der Geiselnahme mehrerer Botschaftsangehöriger am 4. November 1979 verkündete der damalige Präsident James Carter am 23. Januar 1980 vor dem US-Kongreß: »Jeder Versuch einer fremden Macht, die Kontrolle über die Region am Persischen Golf zu erlangen, wird als Angriff auf die lebenswichtigen Interessen der Vereinigten Staaten angesehen. Jeglicher Angriff dieser Art wird mit allen Mitteln zurückgeschlagen werden, auch mit militärischen.«
  3. Kinzel, Wolf/Lange, Sascha: Afrika im Fadenkreuz der USA?, SWP-Aktuell 17, Berlin, März 2007, S. 4
* Werner Ruf ist emeritierter Professor für Internationale Politik an der Universität Kassel und Mitglied der AG Friedensforschung.

Dieser Beitrag erschien in zwei Teilen am 24. und 25. August 2010 in der "jungen Welt"



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