Apokalyptischer Heiler
Afrika südlich der Sahara 2003: Vier Invasionen und ein Bush-Besuch
Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel, der Ende des vergangenen Jahre in der Tageszeitung "junge Welt" erschien.
Von Gerd Schumann
Ein Kontinent im Siechtum. Perspektivlos sammeln Hilfsorganisationen
Brosamen für Afrika. Die Hilflosen tun, was sie können: Das ist fast
nichts, wirkt aber gewissenberuhigend - ein wahrlich kostbares
Gefühl angesichts der dramatischen Situation, in der sich das
subsaharische Afrika befindet. Dort sterben derzeit drei Viertel der
weltweit 42 Millionen AIDS-Betroffenen, infiziert durch die
Verhältnisse, durch Elend, Hunger, Unwissenheit, unschuldig zum
Tode verurteilt schon im Kindesalter. Bis 2050 wird die Zahl der Toten
in den am stärksten betroffenen Ländern von bis heute 46 Millionen
auf 278 Millionen ansteigen, so die UN-Prognose. Alle acht
"Millenniums-Entwicklungsziele" der "Weltgemeinschaft" erweisen
sich als Worthülsen.
Die Mächtigen brauchen keine Antwort. Sie haben kein Problem. Mit
dem Ende des bipolaren Kräftefeldes schwand einerseits das
geostrategische Interesse des Imperialismus an Afrika, andererseits
lockerte sich der Zwang zur Aufrechterhaltung staatlicher Strukturen.
Das Jahr 2003 demonstrierte, wie die dritte Phase kolonialer
Ausplünderung aussieht: Der global agierende Imperialismus entsendet
- als Moralist getarnt und möglichst UN-gestützt wegen des
"Völkerrechts" - multinationale "Schutztruppen" überall dorthin, wo
es gefährdete Besitztümer zu sichern gilt. Das betraf neben den
ozeanischen Salomonen, auf denen im Juli eine australisch initiierte
Interventionstruppe landete, ausschließlich Länder der an
Bodenschätzen reichen Westküste Zentralafrikas, wo drei
Invasionsheere einfielen. Deren Ziele waren jeweils gleich. Ob unter
UN-Flagge wie ab Mai als MINUCI in Elfenbeinküste und ab Oktober
als UNMIL in Liberia; ob zwischen Juni und September als
französisch geführter EU-Armeeprobelauf mit neun europäischen
Ländern, darunter Deutschland, in der Kongo-Region Ituri (Operation
"Artemis") oder ob in deren direkter Folge als MONUC: Der
militärische Einsatz galt, wenn auch im Laufe der Geschichte
differenziert, im Kern der Wiederherstellung angestammter
Ausbeutungsverhältnisses aus der ersten Phase kolonialer Landnahme
durch Vasco da Gama, Philipp II., Ludwig XIV. und Horatio Nelson.
Nun also wieder auch bewaffnet vor Ort: In der Dekade zuvor hatten
Geldbündel oder Waffenladungen gereicht, um die Schatzkammern
des zentralen Westafrikas auszunehmen. So listete im Juli 2001 die
UNO 85 westliche Großkonzerne als die wichtigsten Profiteure im
Kongo-Geschäft auf. Die Ausrüstung von Söldnerheeren oder
offiziellen Armeen diverser westafrikanischer Regierender führte an
vielen Orten zu Mord und Totschlag in apokalyptischem Ausmaß und
in Folge zur Gefährdung der Handelsstrukturen. Nach der genozide
Züge tragenden Katastrophe im kongolesischen Nordosten verzichtete
die UNO in ihrem jüngsten Kongo-Bericht von Oktober 2003 auf eine
Nennung von Schuldigen: Zuviele westliche Völkermordcompanies
waren inzwischen in eine angestrebte "friedliche" Kolonialordnung
unter MONC-Kontrolle eingebunden.
Wenn es ums Geschäft geht, bleibt der Bock Gärtner. Und der Teufel
trumpft als Wunderheiler auf. Die selbst aus kolonialer Besitznahme
entstandene alleinige Supermacht der Gegenwart ließ ihren Präsidenten
fünf Tage im Juni durch das Afrika südlich der Sahara reisen,
verkündigend das Ende der drei großen apokalytischen Geißeln, die
den Kontinent plagen: AIDS, Hunger, Krieg. Auf zwei Stationen im
Süden kümmerte sich das erste republikanische US-Staatsoberhaupt,
das je afrikanischen Boden betrat, um die Interessen der
US-Pharmaindustrie im lukrativen Handel mit AIDS-Medikamenten.
Damit niemals mehr die südafrikanisch-botswanische Drohung
auftaucht, lebensverlängernde Präparate etwa lizenzlos herstellen oder
aus China importieren zu wollen. Außerdem sorgte sich George W.
Bush um seine Landwirtschaft und deren Getreideüberproduktion.
Unter dem Motto "Feed the world" vertrat er den ungehemmten
Import subventionierten wie genverseuchten US-Korns nach Afrika.
Auf daß lokale und regionale Nahrungsmittelproduktion beseitigt und
der lästige, genkritische EU-Konkurrenz aus dem Getreidefeld
geschlagen werde.
Natürlich trieb es den ehemaligen Ölmanager auch in die Nähe der
rohstoffreichen Gefilde zwischen Victoria-See und Westküste nach
Uganda und Nigeria, wo es ihm zum Abschluß nicht nur um das
schwarze Gold im Nigerdelta und unter dem Meeresboden der Bucht
von Guinea, sondern auch die Ausbildung nigerianischen Militärs
durch US-Spezialisten ging. Last but not least beendete George W.
Bush als Handelsreisender des militärisch-industriellen Komplexes
seine afrikanische Stippvisite. Mehr Waffen verkaufen, militärische
Loyalität und - wenn nötig - eigene Präsenz sichern durch Schaffung
neuer Stützpunkte von West nach Ost, von Lagos über Mogadischu
nach Dschibuti, so das erfolgreiche Rezept des einst bei der kolonialen
Landverteilung nicht vertretenen Amerikas der Freien und Tapferen.
In ihm historisch gewogenen Liberia ließ sich Bush lieber nicht sehen.
Zu gefährlich. Dafür landeten im Oktober US-Truppen als
UNMIL-Vorhut in diesem Land, das schon 1847 als einzige
afrikanische Quasi-US-Kolonie gegründet wurde und den
Neokolonialismus vorwegnahm - wenige schwarze Clans, aus den
USA reimportierte Sklaven, herrschten über die einheimische
Bevölkerung und verscherbelten die Rohstoffreichtümer, vor allem
Kautschuk. Wie das Coltan in Ituri, Diamanten, Tropenhölzer und
Gold.
"Don't forget Africa", lautete ab 1990 eine weitverbreitete Mahnung.
Damals war Namibia gerade als letzte Kolonie des Kontinents
unabhängig geworden. Euphorische Szenen spielten sich auf
Windhuks "Independance Avenue" ab, die nun nicht mehr
"Kaiserstraße" hieß. Doch lag auf den Feierlichkeiten bereits der
Schatten jenes weltweiten Zeitenwechsels, der alles andere als
antikolonial werden sollte. Vielmehr stellte sich die UNO-Resolution
435 zu Namibia historisch als bisher letzter Erfolg der unterdrückten
Völker weltweit heraus. Vergeßt Afrika nicht, also: Die Forderung von
damals klang 2003, da sich die neokoloniale Auseinandersetzung
zwischen Europa und den USA um ein Afrika in Agonie gewalttätig
andeutete, wie ein erbärmliches Flehen.
Aus: junge Welt, 29. Dezember 2003
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