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Gemeinsam gegen die Armut

Ist die Bildung der Vereinigten Staaten von Afrika bis 2015 ein realistisches Ziel?

Von Thomas Nitz *

Heute beginnt in Accra, der Hauptstadt Ghanas, der zweite Gipfel der Afrikanischen Union (AU) in diesem Jahr. Ganz oben auf der Tagesordnung steht die Verwirklichung eines Traums, den Afrika bereits seit seiner Unabhängigkeit träumt: die Gründung der Vereinigten Staaten von Afrika.

Die Afrikanische Union steht vor einer Woche der Wahrheit. Bis zum 3. Juli sollen in Accra die Weichen zur Bildung einer Kontinentalregierung gestellt sein. Die afrikanischen Regierungen sind sich einig, dass die Probleme des Kontinents nur gemeinsam gelöst werden können. Bereits im Mai dieses Jahres trafen sich die Außenminister der 53 Staaten im südafrikanischen Durban, um konkrete Schritte zu besprechen. Unter gemeinsamer Flagge sollen die Armut bekämpft und der Kontinent aus der wirtschaftlichen Misere herausgeführt werden.

Ein geeintes Afrika wäre zweifellos ein viel stärkerer Verhandlungspartner im Hinblick auf seine Bodenschätze. Zudem hätte ein afrikanischer Bundesstaat ein stärkeres Gewicht auf der internationalen Bühne. 53 mehr oder minder politisch einflusslose Staaten würden vereint mit einer Stimme sprechen. Für Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi sind die politische und wirtschaftliche Einheit und die Abschaffung der kolonialen Grenzziehung gleichbedeutend mit der endgültigen Unabhängigkeit des Kontinents.

Der Ort für einen Durchbruch zur Kontinentalregierung hätte besser nicht gewählt werden können. Es war Kwame Nkrumah, der als erster Präsident des unabhängigen Ghanas vor 50 Jahren die Idee eines vereinigten Afrikas entwickelte. Das Projekt scheiterte. Zu groß waren die Egoismen der gerade entstehenden Nationalstaaten, zu groß das Misstrauen untereinander. Heute sehen die Vorzeichen für eine Einigung anders aus. So ließe sich eine gesamtafrikanische Regierung auf der Grundlage der Strukturen der AU einrichten. Im März 2004 wurde das Panafrikanische Parlament (PAP) als Legislative der AU ins Leben gerufen. Dem PAP gehören 265 Abgeordnete aus allen Mitgliedstaaten der AU an. Marokko ist wegen des Streits um die Unabhängigkeit der Westsahara kein Mitglied der AU.

Noch ist das Parlament mit keinerlei gesetzgebender Befugnis ausgestattet. Es hat lediglich beratende Funktion. Beobachter sehen in der Stärkung dieses Gremiums jedoch einen ersten Schritt in Richtung Einheit und verweisen auf die immer noch mangelhaften Erfolge der AU. Die sudanesische Krisenprovinz Darfur oder Somalia stehen exemplarisch für die mangelnde Steuerungskapazität der Union. Auch war die AU bisher kaum in der Lage, eine tatsächliche Solidarität der afrikanischen Staaten untereinander herzustellen.

Zur Einheit beitragen sollte auch die 2001 initiierte Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung (NEPAD), die auf exportorientiertes Wachstum setzt, aber bisher nicht wesentlich vorangekommen ist. Das könnten eine kontinentale Regierung und ein gemeinsamer Wirtschaftsraum ändern, besagt eine von der AU 2006 in Auftrag gegebene Studie. Durch den Wegfall der innerafrikanischen Zölle könnte der Binnenmarkt ganz entscheidend gestärkt werden; mehr Arbeitsplätze und weniger Armut werden als Folgen ausgemacht. Durch höhere Steuereinnahmen könnte der Staat seine Verantwortung wirkungsvoller wahrnehmen.

Dem stehen jedoch wirtschaftliche Ungleichheit, unterschiedliche politische Vorstellungen und ein Mangel an Vertrauen zwischen den einzelnen Ländern im Wege. Wie sollen die Interessen von 53 souveränen Staaten unter einen Hut gebracht werden? Staaten, die sich noch im Aufbau befinden und kaum die Probleme im eigenen Haus in den Griff bekommen, geschweige denn den globalen Herausforderungen gewachsen sind.

Auch müssen sich die Regierungen den Vorwurf gefallen lassen, die Rechnung ohne die Bevölkerung gemacht zu haben. Bisher steht eine Studie, wie die Menschen in den Städten und Dörfern über die geplante Einheit denken, noch aus. Der Gipfel in Accra will diese Zweifel jedoch ausräumen und auch die gesammelten Meinungen von Vertretern der Zivilgesellschaft zu Wort kommen lassen.

Einen vorläufigen Zeit- und Ablaufplan zur Einheit gibt es bereits. Bis 2015 soll die Gründung der Vereinigten Staaten von Afrika vollzogen sein. Zu schnell und für den riesigen Kontinent nicht zu bewältigen, warnen Kritiker. Ohnehin bleibt dabei die Frage, wie das Projekt finanziert werden soll. Die EU wird von vielen als wichtigster Geber betrachtet. Dann müssen die Regionen abgesteckt werden, die dem Bundesstaat angehören werden. Durch eine Werbekampagne soll die Bevölkerung informiert und auf die Einheit vorbereitet werden.

In einem nächsten Schritt wird eine Verfassung entworfen werden. Wichtig ist die Gründung einer afrikanischen Zentralbank. Schließlich die Ratifizierung der Verfassung und Wahlen. Das Projekt betrifft mehr als 800 Millionen Menschen auf einem Gebiet, das etwa zehnmal so groß ist wie Westeuropa. Tausende Völker, die mehr als 2000 verschiedene Sprachen sprechen. Afrika hat sich viel vorgenommen.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Juni 2007


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