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Nicht überall ist Krise

Afrika und Lateinamerika trotzen den Problemen des Westens und der Schwächeperiode Chinas. Weltbank erwartet auch 2013 stabiles Wachstum

Von Wolfgang Pomrehn *

Nicht überall herrscht Krise. Während der Euro-Raum wirtschaftlich schwer angeschlagen ist, Nordamerika weiter schwächelt und vermutlich auch Deutschland seine Rolle als Profiteur der Umstände langsam ausgereizt haben dürfte, zeigen andere Weltregionen anhaltend kräftiges Wachstum. So berichtet die Weltbank, daß in diesem Jahr die Wirtschaft des subsaharischen Afrika um 4,8 Prozent wachsen wird. Das läge annähernd auf dem Vorjahresniveau von 4,9 Prozent. Klammert man die Republik Südafrika als größte Volkswirtschaft südlich der Sahara einmal aus, dann liegt das diesjährige Wachstum in dieser Region sogar bei sechs Prozent.

Viele der ärmeren Staaten holen also auf. Motor der Entwicklung sind vor allem die Exporte, besagt die aktuelle Ausgabe der halbjährlich veröffentlichten Analyse »Africa’s Pulse«. Die Ausfuhren sind in der ersten Hälfte des Jahres um 32 Prozent gewachsen, nachdem sie im letzten Quartal 2011 etwas geschrumpft waren.

Die Staaten Afrikas seien zwar nicht immun gegen die Euro-Krise und das verlangsamte Wachstum in China – einem der wichtigsten Abnehmer ihrer Exporte. Aber die nach wie vor sehr hohen Preise für die meisten Rohstoffe hielten deren Wirtschaft in Schwung, heißt es bei der Weltbank. Das gelte besonders für jene Länder, die in letzter Zeit neue Lagerstätten erschlossen hätten.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, daß die Aussichten recht unterschiedlich sind. Insbesondere die nach wie vor von Bürgerkriegen zerrütteten Staaten haben kaum eine Chance, sich in absehbarer Zeit zu erholen. Einem Drittel der Länder Afrikas traut die Weltbank für dieses Jahr hingegen ein Wachstum von über sechs Prozent zu. Bemerkenswert ist auch, daß das subsaharische Afrika inzwischen im erheblichen Umfang ausländisches Kapital anzieht. Ganz im Gegensatz zu den 1980er und 1990er Jahren, die auf dem Kontinent als verlorene Jahrzehnte gelten. Für dieses Jahr wird ein Zufluß von umgerechnet 31 Milliarden US-Dollar erwartet.

Zugleich nimmt die Urbanisierung rapide zu. Das bewertet der Weltbankbericht als positiv. Noch nie habe ein Land hohe Einkommen mit einem niedrigen Grad an Verstädterung erreichen können, so die Begründung. Zu Zeit leben in der Region 41 Prozent der Menschen in Städten, im Jahre 2033 werde es die Mehrheit sein, und zwar bei gleichzeitig wachsender Bevölkerung. Trotz dieses Wachstums hat zwischen den Jahren 2005 und 2008 erstmals die absolute Zahl der Menschen, die von weniger als umgerechnet 1,25 US-Dollar pro Tag leben müssen, abgenommen. Auch die Kindersterblichkeit ging zurück.

Die Autoren warnen allerdings, daß die Lage nach wie vor fragil sei. Zum einen drohen Auswirkungen der Krise in Europa, zum anderen hat ein erheblicher Teil der Gesellschaften unter den hohen Nahrungsmittelpreisen zu leiden. Mais und Weizen seien durch heiße Sommer in den USA und in Osteuropa besonders teuer; in Westafrika und in der Sahelzone droht zudem eine große Heuschreckenplage, deren Bekämpfung durch den Bürgerkrieg in Mali nicht leichter geworden ist.

Ein Problem der Region bleibt auf jeden Fall die starke Exportabhängigkeit durch den Verkauf von Öl, Kupfer, Bauxit, Gold und anderen mineralischen Rohstoffen. Diese liefert die Länder den Launen des Weltmarkts aus und ist für die restlichen heimischen Wirtschaftszweige durchaus schädlich, wenn nicht eine kluge Wirtschaftspolitik gegensteuert. Hohe Ausfuhreinnahmen treiben nämlich die Kurse der Landeswährungen in die Höhe und verbilligen damit Importe. Luanda, die Hauptstadt Angolas, ist daher heute schon eine der teuersten Metropolen der Welt, während auf dem Land weiter Subsistenzwirtschaft verbreitet ist. Für die Städter ist es oft bequemer und billiger, Nahrungsmittel zu importieren, als sie aus der heimischen, kleinbäuerlichen Produktion des äußerst fruchtbaren Landes zu kaufen.

Etwas abgekühlt hat sich dem Bericht zufolge das Wachstum in Lateinamerika. Mit voraussichtlich drei Prozent liegt es 2012 aber immer noch über dem der USA oder dem sich in einer Rezession befindenden Euro-Raum. 2010 hatte das Wachstum noch sechs Prozent und im vergangenen Jahr vier Prozent betragen. Für das kommende Jahr sagt die Weltbank 3,8 bis vier Prozent voraus. Auch in Lateinamerika wachsen dabei die größten Volkswirtschaften, Brasilien und Argentinien, unterdurchschnittlich.

Interessant ist an der Entwicklung sowohl Afrikas als auch Lateinamerikas, daß zwei Weltregionen, die in den 1980er und 1990er Jahren durch die Schuldenkrise und die neoliberalen Rezepte des Internationalen Währungsfonds verheert wurden, nun wieder aufholen. Im Falle Lateinamerikas ist die Gesundung inzwischen so weit vorangeschritten, daß die offizielle Arbeitslosenrate sich mit 6,5 Prozent historischen Tiefstständen annähert. 35 Millionen neuer Jobs seien seit 2000 geschaffen worden, heißt es in einem jüngst veröffentlichten Arbeitsmarktbericht der Weltbank. In der Mehrzahl der Länder sei zudem der hohe Anteil des inoffiziellen Sektors zurückgegangen. Besonders bemerkenswert: Die traditionell extreme Ungleichheit der Einkommensverteilung hat vor allem durch kräftige Lohnerhöhungen meßbar abgenommen. Ganz im Gegensatz zu der Entwicklung in den alten Industrieländern Europas und Nordamerikas. Zugleich ist der Anteil der Frauen an der erwerbstätigen Bevölkerung deutlich gestiegen. Und erheblich zugenommen hat auch das Bildungsniveau der Arbeiterschaft in den letzten 20 Jahren.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 09. Oktober 2012


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