Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Rama und Vucic im Hahnenkampf

Serbien und Albanien verpassten die Chance für einen Neuanfang in den Beziehungen

Von Thomas Roser, Belgrad *

Der erste Besuch eines albanischen Premiers in Serbien seit fast 70 Jahren erhöht die Spannungen zwischen den Ländern. Die verpasste Chance der Annäherung haben sich beide Seiten selbst anzukreiden.

Bei seinem Serbien-Besuch fühlte sich Tiranas Regierungschef Edi Rama wie zu Hause. Dem sehnsüchtig erwarteten Gast aus dem fernen Mutterland bereitete die albanische Minderheit einen begeisterten Empfang. Tausende säumten im südserbischen Presevo die Straßen, als am Dienstag die Limousine mit Albaniens Premier vorfuhr.

Rama hatte seinem serbischen Amtskollegen Aleksander Vucic am Vortag in Belgrad undiplomatisch klar die Meinung gesagt: Serbien solle endlich die »unumkehrbare Realität« der Unabhängigkeit Kosovos anerkennen. Seine Landsleute schwenkten albanische Flaggen und Schilder, auf denen sie Rama zu ihrem Ministerpräsidenten erklärten. In dem an Mazedonien und Kosovo angrenzenden Süden Serbiens leben viele Albaner.

Eigentlich sollte der erste Serbien-Besuch eines albanischen Regierungschefs seit fast sieben Jahrzehnten der Neuanfang für die Beziehungen beider Länder werden. Doch vorläufig hat die turbulente Zweitage-Visite die Spannungen eher verschärft. Die verpasste Chance der Annäherung haben sich Gast und Gastgeber selbst anzukreiden: Wie zwei stolze Balkan-Gockel verloren sich Rama und Vucic beim unfreundlichen Austausch altbekannter Gegensätze im Kosovo-Hahnenkampf.

Nachdem der ergrimmte Vucic seinen Gast schon bei der gemeinsamen Pressekonferenz der »Provokation« und des »Missbrauchs der serbischen Gastfreundschaft« bezichtigt hatte, war er auch Stunden später noch beleidigt – und kartete per Twitter nach: »Der heutige Tag war die Chance, eine neue Seite aufzuschlagen. Aber wegen Ramas Provokation haben wir diese Gelegenheit verpasst.« Rama wiederum entgegnete, für ihn sei »faszinierend«, was die Serben alles provozieren könne: »Dies ist schließlich die Realität. Viele Staaten, mit denen Serbien kooperiert, erkennen Kosovo an.«

Tatsächlich haben mehr als die Hälfte der Staaten der Vereinten Nationen und über 80 Prozent der EU-Mitglieder die Eigenstaatlichkeit von Serbiens seit 2008 unabhängiger Ex-Provinz längst anerkannt. So vermittelte Rama mehr oder weniger dieselbe Kosovo-Botschaft wie die meisten die EU-Partner Belgrads, allerdings war es vor allem dessen undiplomatischer Ton, der Serbiens Öffentlichkeit erzürnte. »Rama spuckte auf die Serben im Herzen Belgrads«, empörte sich am Dienstag das Boulevardblatt »Kurir«. Als »Skipetare ohne Scham« beschimpfte der »Informer« den Gast, der extra Schuhe mit hohen Absätzen getragen habe, um auf Augenhöhe mit seinem hoch gewachsenen Gastgeber Vucic zu kommen: »Rama kam nur, um zu beleidigen.«

Sachlicher, aber nicht unbedingt positiver bewerteten Analysten die spannungsgeladene Besuchspremiere. Mit ihren Auftritten hätten beide Regierungschefs leider vor allem die eigene Wahlklientel im Auge gehabt, bedauert der Belgrader Soziologe Dusan Janjic: Der Nachdruck Ramas auf die Kosovo-Frage sei »unnötig«, die Reaktion des Gastgebers allerdings auch wenig staatsmännisch gewesen.

Zufrieden zeigte sich nur Brüssel, das die beiden EU-Anwärter zur Zwangsannäherung verdonnert hatte. Als »guten Beitrag« für den regionalen Dialog auf dem Westbalkan wertete eine Sprecherin der neuen EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini den Staatsbesuch: Ramas Visite stelle »eine Wende« in den Beziehungen beider Länder dar.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 12. November 2014


Zurück zur Albanien-Seite

Zur Serbien-Seite

Zur Serbien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage