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Amnestie in Algerien

Präsident Bouteflika will Land befrieden / Weiter FIS-Verbot

Von Abida Semouri, Algier*

Mit einer Teilamnestie für ehemalige Terroristen will Algeriens Staatschef Abdelaziz Bouteflika den vor 13 Jahren ausgebrochenen Konflikt zwischen Machthabern und islamistischen Extremisten beenden.

Die Bevölkerung des nordafrikanischen Landes soll am 29. September über eine von Bouteflika jetzt vorgelegte »Charta für Frieden und Nationale Aussöhnung« abstimmen. »Wir sollten die Lehren aus der unermesslichen nationalen Tragödie ziehen, die wir gerade durchlebt haben«, begründete der Präsident sein Projekt. Die Gewalt war ausgebrochen, nachdem sich bei den Parlamentswahlen im Dezember 1991 ein überwältigender Sieg der Islamischen Heilsfront (FIS) abgezeichnet und die Armee die Abstimmung annulliert hatten. Zehntausende Anhänger der Partei waren daraufhin in den Untergrund gegangen, um die Errichtung des von ihnen angestrebten Gottesstaates mit Waffengewalt durchzusetzen. Die Sicherheitskräfte reagierten mit gnadenloser Härte. Das Land driftete in einen Strudel der Gewalt, in dem mindestens 200000 Menschen ums Leben kamen, darunter zahlreiche unschuldige Zivilisten. Die Schäden werden auf 30 Milliarden Dollar geschätzt.

Nach dem Willen Bouteflikas soll nun die Amnestie einen Neubeginn markieren und mit der Versöhnung »der Sockel gefestigt werden, auf dem das Algerien von morgen entsteht«. Alle ehemaligen Mitglieder bewaffneter Gruppen, die sich reuig zeigen und ihre Waffen niederlegen, sollen straffrei ausgehen. Sollten sie bereits verurteilt sein, wird ihnen die Strafe erlassen. Werden sie noch im In- oder Ausland gesucht, wird die juristische Verfolgung eingestellt, sobald sie sich reuig bei den Behörden melden.

Ausgenommen sind jene Personen, die an Morden, Vergewaltigungen und Bombenanschlägen auf öffentliche Plätze und Einrichtungen beteiligt waren. Kritiker hatten im Vorfeld befürchtet, dass auch die Verantwortlichen für diese Verbrechen unter die Amnestie fallen könnten. Immerhin hatten mehrere ehemalige Anführer von Terrorgruppen, die sich ungeniert ihrer Taten rühmen, in den vergangenen Monaten unbehelligt Seite an Seite mit Vertretern der Regierung auf Kundgebungen für das Versöhnungsprojekt Bouteflikas geworben. Sie waren schon bei dessen erster Amnestie von 1999 durch das Netz geschlüpft und führen seitdem ein Leben als unbescholtene Bürger. Dabei sollte auch damals die Gnade des Staates nur für Personen gelten, die »kein Blut an den Händen haben«.v Bis zum Abstimmungsdatum muss Bouteflika also die Wähler davon überzeugen, dass derlei »Nachlässigkeiten« diesmal unterbunden werden. Zudem stellt sich für viele die Frage, wie die Justiz mit den nachweislich Verantwortlichen für blutige Terrorakte umgehen wird, nachdem sie sich der Öffentlichkeit schon als »Sieger des Konfliktes« präsentiert haben. So wird Bouteflikas geplante Tour durchs Land mit über 50 Kundgebungen sicher kein leichter Ritt, auch wenn die staatlichen Medien bereits eifrig die »landesweite Zustimmung« zur Charta vermelden.

In einem Punkt jedoch ist er in seinem Entwurf deutlich: Die seit 1992 verbotene FIS wird nicht wieder die politische Bühne betreten. Eine der Garantien für die dauerhafte nationale Aussöhnung soll ein politisches Betätigungsverbot für alle ehemaligen Akteure dieser Partei sein. Letzten Anstoß für die klare Aussage hat wohl der Auftritt des nach zwölf Jahren Haft unter Hausarrest stehenden Ex-FIS-Führers Ali Benhadj im Fernsehsender Al Dschasira gegeben. Dort hatte dieser die Entführung von zwei kurz darauf ermordeten algerischen Diplomaten durch ein Killerkommando gutgeheißen und sich in den Augen der meisten Algerier selbst disqualifiziert. Benhadj sitzt seitdem wieder im Gefängnis.

Während die Parteien des Landes nahezu einmütig das Projekt begrüßen, haben die Hinterbliebenen und Angehörigen von Verschwundenen – 6141 von Sicherheitskräften sowie etwa 10000 von Terrorgruppen Verschleppte – zunächst ablehnend reagiert. Ihre Verwandten sollen offiziell als »Opfer der nationalen Tragödie« anerkannt werden. Außerdem bietet der Staat teils große Summen als Entschädigung an. Dennoch bestehen sie darauf, die Wahrheit über das Schicksal aller Verschwundenen zu erfahren.

* Aus: Neues Deutschland, 20. August 2005


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