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Rätselraten um Bouteflika

Nach einem Schlaganfall des algerischen Präsidenten gibt es statt Informationen vor allem Gerüchte

Von Gerrit Hoekman *

Algerien macht sich Sorgen. Was ist mit Abdelasis Bouteflika? Seitdem der Präsident am 27. April einen Schlaganfall erlitt und zur Behandlung nach Paris geflogen wurde, hat das Land nichts mehr von ihm gehört oder gesehen. Nun fragen sich alle, ob und wann der 76jährige an die Spitze des Staates zurückkehrt. »In­shallah, wird er bald in bester Gesundheit zu uns zurückkommen«, versprach Kamal Razak Bara, ein enger Berater des Präsidenten, vor wenigen Tagen im algerischen Radio.

Doch nun tauchte zu Pfingsten das Gerücht auf, Bouteflika sei ins Koma gefallen. Die Zeitschrift Dscharidati (Meine Zeitung) wollte darüber am Sonntag berichten, die Ausgabe sei aber von den staatlichen Stellen zensiert worden und deshalb nicht erschienen, so Herausgeber Hisham Aboud gegenüber dem französischen Fernsehsender »France24«. Die Zensoren warfen der Zeitung vor, sie gefährde mit ihrem Artikel die Sicherheit des Landes.

»Meinen Quellen zufolge ist der Präsident in Algerien«, sagte Hisham Aboud, der ein ausgewiesener Kritiker der Regierung ist. Bouteflika sei am Mittwoch aus Frankreich zurückgeflogen worden, weil sich sein Gesundheitszustand erheblich verschlechtert habe. »Uns wurde erzählt, er läge in tiefem Koma, das Tage oder Wochen dauern kann.« Seine Informanten stammen sowohl aus dem medizinischen Team des Pariser Val-de-Grâce-Hospitals als auch aus der Umgebung des algerischen Staatschefs. »Wenn unsere Behauptungen falsch sind, wäre doch die beste Lösung gewesen, ein Statement der Ärzte zu veröffentlichen. Oder noch besser: Uns Fotos von Herrn Bouteflika zu zeigen.«

Am Dienstag meldete der französische Privatsender »BFM TV«, der algerische Präsident halte sich nach wie vor in Frankreich auf, er machte aber keine näheren Angaben wo und in welchem Gesundheitszustand. Die Nachricht soll direkt aus dem französischen Außenministerium stammen. Bleibt die Frage: Warum zeigt sich Bouteflika nicht, wenn es ihm gut geht, und beendet damit alle Spekulationen in seiner Heimat? Immerhin behauptete Premierminister Abdelmalik Salad vor gut einer Woche, der Präsident leite die Amtsgeschäfte von Paris aus, und er telefoniere jeden Tag mit ihm. »Das Volk will den Präsidenten sehen!« fordert nun auch die größte algerische Tageszeitung Al-Khabar (Die Nachricht).

Der Präsident ist schon seit längerem gesundheitlich angeschlagen, und die algerische Presse hält es inzwischen für unwahrscheinlich, daß Bouteflika, der seit 1999 im Amt ist, im April nächsten Jahres noch einmal zur Präsidentschaftswahl antritt. Die Tageszeitung Al-Watan sieht das Land vor einem schwierigen Umbruch mit unabsehbaren Folgen für den inneren Frieden. Zwar kam es auch in Algier im sogenannten Arabischen Frühling zu Protesten, doch durch eine Mischung aus großzügigen Subventionen, unter anderem auf Benzin, einem großangelegten Arbeitsmarktprogramm, höhere Gehälter und staatlicher Repression hat es der autoritär regierende Bouteflika bis jetzt geschafft, das Land einigermaßen aus den politischen Wirren in Nordafrika herauszuhalten.

Doch die soziale Ruhe ist trügerisch. Während sich Bouteflika in Paris von den besten Ärzten der französischen Hauptstadt behandeln läßt, streikt in Algerien seit März immer wieder das Klinikpersonal. Zuletzt traten Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger am 6. Mai für drei Tage in den Ausstand. Sie protestieren gegen die in ihren Augen unzumutbaren Zustände in den Kliniken des Landes. In manchen Gegenden müssen Patienten Wochen, gar Monate auf einen Termin beim Spezialisten warten. In den Privatkliniken sieht es zwar besser aus, aber die große Mehrheit der Algerier kann sich eine Behandlung dort nicht leisten.

Das Gesundheitsministerium hat die Proteste bislang ignoriert. Eine gefährliche Haltung. Denn wenn die Entwicklung in Nordafrika eines zeigt, dann wohl dies: Wo Bürger unzufrieden mit dem Staat sind, wächst der Einfluß der Islamisten, die nicht nur eine militärische, sondern auch eine soziale Bewegung verkörpern. Am Sonntag war Außenminister Guido Westerwelle auf Stippvisite in Algier. Hauptthema des Besuchs: Der gemeinsame Kampf gegen die militanten Fundamentalisten der »Al-Qaida im Islamischen Maghreb«.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 22. Mai 2013


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