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Der ewige Konsenskandidat

Abdelaziz Bouteflika wird in Algerien erneut als Präsident kandidieren. Die Macht bleibt bei der Armee

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

Lange wurde gerätselt, ob Algeriens amtierender Präsident Abdelaziz Bouteflika bei den Präsidentschaftswahlen im April 2014 noch einmal antreten wird. Er selbst schwieg konsequent. Am Samstag verkündete Amar Saïdani, Generalsekretär der Nationalen Befreiungsfront (FLN), nach einer Sondersitzung des Zentralkomitees der Partei in Algier, diese werde Bouteflika bei der Wahl unterstützen. Das Staatsoberhaupt habe in »allen politischen, diplomatischen, wirtschaftlichen, sicherheitspolitischen und sozialen Bereichen von seiner ersten Wahl 1999 bis heute« eine »positive« Bilanz vorzuweisen, erklärte Saïdani. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe seiner Kandidatur dürfte dagegen vor allem mit anhaltenden Flügelkämpfen in der FLN zusammenhängen.

Erst im September hatte der gesundheitlich angeschlagene Bouteflika versucht, die Partei auf Linie zu bringen und setzte trotz heftigen Widerstands aus den eigenen Reihen seinen Vertrauten Saïdani als neuen Generalsekretär in der Partei durch. Bouteflika galt in seiner dritten Amtszeit zunehmend als geschwächt. Selbst innerhalb der FLN habe er seine Machtbasis verloren und sei zu einer Marionette der Militärs verkommen, die hinter den Kulissen die Fäden ziehen, so die einhellige Meinung von Beobachtern. Mit Saïdanis Einsetzung zum Generalsekretär, einer Kabinettsumbildung und der Machtbeschneidung des mächtigen Geheimdienstes DRS im Spätsommer hatte sich Bouteflika vorläufig Oberwasser verschafft. Doch trotz Saïdanis Versprechen, die Partei einen zu wollen, rissen die Streitereien nicht ab. Im Gegenteil. Über zwei Monate nach seiner Wahl opponieren noch immer 150 Mitglieder des Zentralkomitees gegen den Präsidenten und drohen ihm mit Amtsenthebung, wenn er nicht freiwillig zurücktritt.

Die Verkündung von Bouteflikas Kandidatur ist der Startschuß für den Wahlkampf. Ob das Kalkül seines Lagers aufgeht, die Risse in der Partei bis zum Urnengang zu kaschieren, bleibt abzuwarten. Während sich die FLN selbst zerfleischt, ist ihm immerhin die Unterstützung anderer Parteien gewiß. Schon bei den Präsidentschaftswahlen 2004 und 2009 bot Bouteflika die sogenannte »Präsidentenallianz« auf, ein loses Bündnis von Parteien, die gemeinsam für ihn warben und sich damit politischen Einfluß erkauften. Wieder mit dabei ist die Nationale Demokratische Sammlung, die seit 1999 an seiner Seite steht. Auch die Algerische Volksbewegung (MPA) von Amara Benyounes hat sich hinter den Kandidaten der FLN gestellt. »Wenn Präsident Bouteflika ein viertes Mandat anstrebt, hat er die bedingungslose Unterstützung der MPA«, sagte ­Benyounes. Während die Bewegung für Gesellschaft und Frieden (MSP), langjähriger Koalitionspartner der FLN aus dem islamistischen Lager, 2012 in Ungnade fiel und seither in der Opposition sitzt, ist die Unterstützung der vom MSP-Abweichler Amar Ghoul angeführten Sammlung für Algeriens Hoffnung (TAJ) nur noch Formsache.

Neben Bouteflika kandidiert unter anderen Ahmed Benbitour, im Jahr 2000 kurzzeitig Premierminister unter ihm und inzwischen Gegner des Präsidenten. Benbitour hat Wahlen in Algerien immer wieder als »gefälscht« bezeichnet und wirbt nun für den »Wechsel«. Wie dieser aussehen soll, bleibt indes nebulös, denn auch Benbitour weicht der Frage aus, wie er die Macht des Militärs beschneiden will. Spekuliert wird nach wie vor über die Chancen des ehemaligen Regierungschefs Ali Benflis. Dieser trat bereits 2004 gegen Bouteflika an, erlangte als Zweitplazierter aber nur sechs Prozent der Stimmen und warf dem Regime Wahlbetrug vor. Bisher bezweifelt niemand, daß Bouteflika sein viertes Mandat antreten wird. Wer das Land regieren will, muß sich mit der Armee arrangieren, die die Macht monopolisiert und das Land seit Jahrzehnten autoritär regiert. Die FLN war bisher ein zuverlässiges Aushängeschild der Generäle und Bouteflika der Konsenskandidat, der sich mit der Dominanz der Militärs abgefunden hatte. Währenddessen bleibt das Land vom Erdöl- und Erdgasexport abhängig, und die arbeitsintensive Wirtschaft stagniert. Trotz zahlreicher Lippenbekenntnisse des Regimes, Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot zu bekämpfen, bleiben dies die primären sozialen Probleme des Landes. Auch hat sich unter Bouteflika die Korruption noch ausgebreitet. An die Menschenrechte fühlt sich der Sicherheitsapparat weiterhin nicht gebunden. Folter ist in Algeriens Gefängnissen noch immer die Regel.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 19. November 2013


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