Algier mit Gaddafi-Problem
Spannungen mit Libyen nach Aufnahme von Ehefrau und Kindern
Von Abida Semouri, Algier *
Algerien versucht, die Wogen im Verhältnis zu Libyen wieder zu glätten. Nachdem die Aufnahme
von Mitgliedern der Gaddafi-Familie für großen Unmut sorgte, kündigte Algier nun an, den
Übergangsrat bald anzuerkennen.
Algerien steuert auf Versöhnungskurs: Sobald eine legitime Regierung in Libyen stehe, will Algier
den Übergangsrat anerkennen. Der Rat habe angekündigt, eine »Regierung zu bilden, die alle
Regionen des Landes repräsentiert«, sagte der algerische Außenminister Mourad Medelci am
Donnerstag dem französischen Radiosender Europe 1. »Sobald er das getan hat, werden wir ihn
anerkennen.«
Medelci wies zudem den Vorwurf zurück, sein Land habe sich im Libyen-Konflikt widersprüchlich
verhalten. Algerien habe niemals erwogen, den bisherigen Staatschef Muammar al-Gaddafi
aufzunehmen, sagte er kurz vor Beginn der internationalen Libyen-Konferenz in Paris. Algerien war
unter anderem in die Kritik geraten, weil es Anfang der Woche Gaddafis Frau und drei seiner Kinder
aufgenommen hatte.
Medelcis Auffassung wird durch die französischsprachige Zeitung »Al-Watan« gestützt, die am
Mittwoch auf ihrer Internetseite berichtete, Algerien habe ein Einreise-Gesuch Gaddafis ignoriert.
Dieser habe versucht, den algerischen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika telefonisch zu erreichen,
doch dieser habe sich geweigert, den Anruf entgegenzunehmen. »Es ist nicht das erste Mal, dass
Gaddafi und seine Gesandten versucht haben, mit dem algerischen Präsidenten in Kontakt zu
treten«, schrieb das Blatt unter Berufung auf Kreise des Präsidialamtes in Algier. Gaddafi halte sich
in der Grenzstadt Ghadames versteckt und versuche von dort aus, über seine Aufnahme in Algerien
zu verhandeln.
Algerien hat seine fast 1000 Kilometer lange Grenze zu Libyen geschlossen und dort verstärkt Militär
zusammengezogen. Die drei Grenzübergänge Tinalkum, Tarat und Debdeb sind seit Dienstag
dieser Woche unpassierbar. Gleichzeitig sind Armee, Gendarmerie und Zoll in Alarmbereitschaft
versetzt worden. Bis Dienstagabend war das Mobiltelefonnetz in der Region lahmgelegt.
Hintergrund sind nach algerischen Presseberichten die Kämpfe im östlichen Nachbarland und die
unsichere Lage in der Sahelregion. Der Armeechef selbst hatte sich am Wochenende ein Bild von
der Situation in der Grenzregion gemacht. Die Entscheidung wurde getroffen, nachdem fünf
bewaffnete Männer erschossen worden waren, die von Libyen aus auf algerisches Territorium
gelangt waren. Ihre Identität ist bislang nicht geklärt. Auf libyscher Seite sollen in unmittelbarer
Grenznähe mehrere Geländewagen mit Bewaffneten unterwegs gewesen sein.
Dieselbe Grenze hatte am Montagmorgen um 9 Uhr 45 ein kleiner Konvoi passiert, der Algier
peinliche Gäste ins Haus brachte: In dem Bus und dem Mercedes saßen Gaddafis Frau, seine
Tochter und zwei seiner Söhne. Offiziell wurde die Aufnahme der Flüchtigen mit »humanitären«
Beweggründen gerechtfertigt. Die Tochter des Ex-Staatschefs soll an der Grenze entbunden haben.
Das Algierer Außenministerium zieht sich auf kurz gehaltene Stellungnahmen zurück und beruft sich
auf das Prinzip der Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten.
Der libysche Übergangsrat forderte die algerische Regierung auf, die Familienangehörigen
zurückbringen. Nach Angaben eines Sprechers wolle ihnen Algier angeblich den Fluchtweg in ein
Drittland freimachen. Algerien hat den Übergangsrat zwar noch nicht anerkannt, folgt aber der UNOEmpfehlung
und hat inzwischen alle Konten Gaddafis auf Eis gelegt.
Mit dieser ambivalenten Haltung allerdings droht Algier sich ins internationale Abseits zu
manövrieren. Der französische Historiker Benjamin Stora bescheinigte der algerischen Führung
»Kurzsichtigkeit«. Sie verkenne die Lage, sei in einer überholten »anti-imperialistischen« Logik aus
Revolutionszeiten hängen geblieben und habe die geopolitischen Veränderungen der vergangenen
zwanzig Jahre verschlafen.
Immerhin gehören Algeriens Staatschef Bouteflika und Gaddafi derselben Kämpfergeneration an.
Auch wenn sie nicht immer einer Meinung waren, ist eine Auslieferung der Familie eher
unwahrscheinlich, nicht zuletzt, weil Bouteflika in Gaddafis Schuld steht: Letzterer soll seine
Residenz in Algier einem Bruder des Präsidenten überlassen haben. Zudem kann sich Algier auf
bilaterale Verträge berufen, die zwar Gefangenenaustausch, aber keine Auslieferungen vorsehen.
Nichtsdestotrotz hatte Tripolis im Oktober 2004 den algerischen Chef der Terrorgruppe GSPC,
Abderrezaq al-Para, an die Behörden des Nachbarlandes übergeben. Dieser hatte 2003 unter
anderem die Kommandos zur Entführung mehrerer westlicher Touristengruppen in der Sahara,
darunter auch Deutsche, angeführt. 24 Stunden später war Bouteflika zu Gaddafi geflogen, um ihm
persönlich dafür zu danken.
Neben dem Problem »Gaddafi-Familie« hat Algerien aber wegen der Kämpfe in Libyen ein viel
größeres: Terrorgruppen haben die unübersichtliche Lage in den vergangenen Monaten offenbar
dazu genutzt, um sich über die bisher offene und wenig kontrollierte Grenze mit Waffen, Munition
und Sprengstoff einzudecken. Vor allem in der östlich Algiers gelegenen Kabylei hat die Zahl der
Anschläge auf die Sicherheitskräfte wieder zugenommen und etwa 100 Tote gefordert. Beim
jüngsten Attentat auf die Militärschule im Küstenort Cherchell vor den westlichen Toren der
Hauptstadt wurden erst am vergangenen Sonnabend 18 Soldaten getötet. Zu dem doppelten
Selbstmordanschlag bekannte sich »Al Qaida des islamischen Maghreb«. Es sei ein »Ramadan-
Geschenk« gewesen, weil Algier Ghaddafi unterstütze, hieß es.
* Aus: Neues Deutschland, 2. September 2011
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