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Bouteflika muss keine Konkurrenten fürchten

In der Demokratischen Volksrepublik Algerien finden heute (9. April) Präsidentschaftswahlen statt / Das amtierende Staatsoberhaupt strebt seine dritte Amtsperiode an

Von Abida Semouri, Algier *

In Algerien finden heute Präsidentschaftswahlen statt. Das Ergebnis scheint bereits festzustehen. Der jetzige Staatschef Abdelaziz Bouteflika wird wohl mit dem Segen des Militärs für weitere fünf Jahre im Amt bleiben.

Um seine Wiederwahl zu ermöglichen, hatte Bouteflika vom Parlament jenen Artikel in der Verfassung ändern lassen, der die Amtszeit des Staatsoberhaupts auf zwei Mal fünf Jahre begrenzt. Nach einer Erhöhung der Diäten stimmten die Abgeordneten zu seinen Gunsten. Ohnehin wird die Mehrheit in der Nationalversammlung von der so genannten Präsidentenallianz gebildet. Sie besteht aus den Parteien Nationale Befreiungsfront und Nationaldemokratische Sammlungsbewegung sowie der islamistischen Partei für eine Gesellschaft des Friedens (MSP). Spätestens mit diesem Schritt war klar, dass der 72-jährige Bouteflika Präsident auf Lebenszeit bleiben will, die Abstimmung also reine Formsache ist.

Bei dieser Maskerade wollte denn auch kein namhafter Politiker des Landes mitspielen. So fanden sich lediglich fünf Gegenkandidaten ohne jegliches politisches Gewicht. Als Statisten sollen sie der Wahl ein demokratisches Mäntelchen umhängen. Zwei Parteien – die Front der Sozialistischen Kräfte und die Sammlungsbewegung für Kultur und Demokratie – haben zum Boykott aufgerufen.

Selten zuvor hat daher ein Wahlkampf so wenig Interesse bei der Bevölkerung geweckt. Daran konnte auch die von Bouteflika und seinem Lager aufgebotene Wahlkampfmaschinerie nichts ändern. Mit Staatsgeldern finanziert, benutzte er staatliche Einrichtungen und Betriebe. Mit Bussen wurden bezahlte Anhänger landesweit zu seinen Meetings gekarrt. Allerorten wurden Unterstützungsbüros eröffnet.

Indes ist Bouteflikas tatsächliche Popularität in den vergangenen zehn Jahren immer weiter geschrumpft. Als er 1999 – damals ebenfalls mit Rückendeckung des Militärs – das oberste Staatsamt übernommen hatte, konnte er sich zumindest der Unterstützung eines Teils der Bevölkerung sicher sein. Immerhin hatte er versprochen, dem Land wieder Frieden und Ordnung zu bringen. 1991 hatte das Militär die Parlamentswahlen abgebrochen, bei denen sich ein Sieg der Islamischen Heilsfront abgezeichnet hatte. Die Folge war ein jahrelanger bewaffneter Konflikt zwischen Staatsmacht und bewaffneten Islamisten mit 150 000 Toten und Schäden in Milliardenhöhe.

Bouteflika amnestierte im Rahmen seiner Politik der »Nationalen Aussöhnung« Tausende von »reuigen« Terroristen und ermöglichte ihnen eine Rückkehr in die Gesellschaft. Anders als jedoch im eigens dazu verabschiedeten Gesetz festgelegt, wurden zuvor begangene Verbrechen weder aufgeklärt noch strafrechtlich aufgearbeitet. Das gilt auch für Angehörige der Sicherheitskräfte, die genauso wenig für Überschreitungen zur Verantwortung gezogen wurden. Hinterbliebene der Opfer von Terroranschlägen dagegen werden bis heute eingeschüchtert. Ihnen steht keinerlei Recht auf Aufklärung über das Schicksal ihrer getöteten oder verschwundenen Angehörigen zu.

Die Grenzen der »Versöhnungspolitik« werden den Algeriern auch durch immer neue Terroranschläge vor Augen geführt. Der harte Kern der bewaffneten Gruppen hat sich mittlerweile in »El Qaida des islamischen Maghreb« umbenannt. Auf deren Konto gingen unter anderem 2007 die blutigen Bombenanschläge auf das Gebäude der UN-Vertretung und den Regierungspalast in Algier sowie anhaltende Attacken auf Sicherheitskräfte. Zu Wochenbeginn rief der Nordafrikachef des Terrornetzwerkes zum Boykott der Wahlen auf. Die »illegitimen Machthaber« in Algier müssten durch einen Heiligen Krieg beseitigt werden.

Indes hat Bouteflika auch Erfolge aufzuweisen. Durch eine diplomatische Großinitiative war es ihm gelungen, das nordafrikanische Land aus der internationalen Isolation zu führen. Dabei kamen ihm seine Erfahrungen zugute, die er in den 70er Jahren als Außenminister unter Staatspräsident Houari Boumediene gesammelt hatte. Algerien genoss damals großes Ansehen in der Welt, hatte es doch nach einem opferreichen achtjährigen Befreiungskampf die Unabhängigkeit von Frankreich errungen. In den Folgejahren konnte es große Erfolge sowohl wirtschaftlich als auch im Bildungs- und Gesundheitswesen verzeichnen. International spielte es eine führende Rolle in der Bewegung der Nichtpaktgebundenen und galt als einer der wichtigsten Unterstützer nationaler Befreiungsbewegungen, so der PLO und der Westsahara-Befreiungsfront Polisario.

Diese Ära ist jedoch vor allem für die junge Generation mittlerweile Geschichte. Bouteflikas Beschwörungen der »guten alten Zeit« erreichen nur noch die wenigsten. Junge Algerier stehen heute vor anderen Problemen. Trotz hoher Einnahmen aus dem Erdöl- und Erdgasgeschäft hat der Staat bisher nicht genügend in Wohnungsbau und neue Arbeitsplätze investiert. Zukunftsangst sowie Wut über Vetternwirtschaft und Korruption machen sich landesweit immer wieder in gewalttätigen sozialen Unruhen Luft. Die Landwirtschaft deckt in dem einstigen Agrarland nicht einmal annähernd den Eigenbedarf.

Zwar hat Bouteflika im Wahlkampf nicht mit Versprechungen an die Jugend gegeizt, aber Hoffnungen konnte er damit kaum wecken. Größte Sorge der Machthaber ist daher die Wahlbeteiligung bei der heutigen Abstimmung. Fällt sie so mager wie das Interesse am Wahlkampf aus, nimmt die Glaubwürdigkeit des alten neuen Präsidenten weiter Schaden.

* Aus: Neues Deutschland, 9. April 2009

Zu viele Verbrechen blieben ungesühnt

ND-Gespräch mit dem in Algier lebenden oppositionellen Publizisten Arezki Ait Larbi **

Neues Deutschland (ND): Wie schätzen Sie die gerade zu Ende gegangene Wahlkampagne ein?

Arezki Ait Larbi: Ich denke, dies ist die unbedeutendste Wahlkampagne der vergangenen Jahre. Zum einen, weil es im Grunde um nichts geht. Die Ergebnisse sind schon vorher bekannt. Es wurden nicht die Themen behandelt, die die Gesellschaft tatsächlich beschäftigen. Vor allem die Frage nach bürgerlichen Freiheiten, die politischen Fragen. Das meiner Meinung nach größte politische Problem – das der Demokratie – wird, wie in den vergangenen zehn Jahren, ausgeklammert.

Welchen Stellenwert hat der Islamismus heute in der algerischen Gesellschaft?

Eine Besonderheit des algerischen Fundamentalismus ist dessen Nähe zum Regime. Wir haben es mit einer Islamisierung der militärischen Machthaber zu tun. Es sind zwei Seiten derselben Medaille. In den 90er Jahren, in den Jahren des islamistischen Terrors, als die Menschen ihre Toten gezählt haben, als die Menschen um das tägliche Überleben gekämpft haben, pflanzten die Fundamentalisten aus dem Untergrund heraus ihr Gedankengut in die Gesellschaft. Es ist frappierend, wie sich die Gesellschaft innerhalb von 15 Jahren verändert hat, wie die Menschen in dieses Lager gewechselt sind.

Welche Folgen hat die »Nationale Versöhnungspolitik«?

Diese Politik hat dazu geführt, dass der Islamismus überall in der Gesellschaft Fuß gefasst hat. Dabei verfolgen die Islamisten, die in der Regierung sind, wie die MSP, und jene, die noch im Untergrund kämpfen, wie »El Qaida des Islamischen Maghreb«, dasselbe Ziel – die Errichtung eines theokratischen Regimes. Derzeit sehe ich nicht, dass sich die Tür, die ihnen mit der so genannten Versöhnungspolitik geöffnet wurde, wieder schließen könnte. Sie wurden nicht zur Rechenschaft gezogen. Verbrecher, nicht einmal jene, die Blut an den Händen haben, wurden nicht strafrechtlich verfolgt. Die Familien der Opfer haben doch ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Das alles hat die Gesellschaft in ein gefährliches Ungleichgewicht gestürzt. Die Machthaber versuchen, alles unter den Teppich zu kehren. Aber so löst man keine Probleme. Ich sehe die Gefahr, dass diese explosive Situation jederzeit wieder in Gewalt umschlagen könnte.

Fragen: Claudia Altmann

** Aus: Neues Deutschland, 9. April 2009




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