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Der Regenmacher in der Wüste

Ein Algerier betreibt mit unkonventionellen Methoden der Landwirtschaft in der Sahara

Von Thomas Nitz *

Landwirtschaft an ausgefallenen Orten: Initiativen in aller Welt machen scheinbar unfruchtbaren Boden für sich und andere nutzbar. In der Wüste wachsen plötzlich Obstbäume zwischen Gemüsebeeten und Getreidefeldern.

Was treibt einen bestens ausgebildeten und mit hervorragenden Referenzen ausgestatteten Mann dazu, sein gut gepolstertes Leben in Deutschland gegen eine ungewisse Zukunft in der algerischen Wüste einzutauschen?

Die Geschichte begann 2003 als Algerien und andere Mittelmeeranrainer unter einer extremen Dürre litten. Wohl situiert und aus sicherer Entfernung verfolgten Madjid Abdellaziz und seine Familie die Ereignisse in der Heimat. Abdellaziz hatte in Berlin sein Diplom für Informatik gemacht und als Programmierer und Projektleiter für VW einen sicheren und gut bezahlten Job. Die Bilder und Berichte aus seiner Heimat ließen ihn jedoch nicht zur Ruhe kommen. »Du musst etwas tun«, sagte er sich. Doch an eine Reise dorthin, wo die Dürre ihre schlimmsten Auswirkungen zeigte, war zu diesem Zeitpunkt nicht zu denken. Der algerische Bürgerkrieg lag 2003 in den letzten Zügen. Letztlich war es seine Frau Maya, die den entscheidenden Druck auf ihn ausübte: »Du kannst doch nicht untätig dasitzen«, mahnte sie wieder und wieder.

So machte sich Abdellaziz trotz latenter Gefahren auf die Reise, um etwas gegen die sich ausbreitende Wüste zu unternehmen. Im Reisegepäck ein paar sehr abenteuerliche Anleitungen über Wüstenbegrünung und Umweltheilung. Er erwarb 30 Hektar Land in einer entlegenen Gegend am Rande der Sahara rund 500 Kilometer südlich von Algier. Eine von Bergen eingeschlossene Senke, zugänglich nur über zwei in den Fels geschlagene Schluchten.

Diese von der Dürre ausgedörrte Landschaft wollte Abdellaziz in eine blühende Landschaft verwandeln. Die Menschen in der Region beäugten den Fremden anfangs misstrauisch: Der Mann aus dem Norden, was wisse der schon von der Landwirtschaft und von der Wüste, hieß es. Doch Abdellaziz ließ sich davon wenig beeindrucken. Unterstützt von seiner Familie bohrte er zwei Brunnen zur Bewässerung und baute einen kleinen Staudamm, um das Regenwasser aufzufangen, auf das man hoffte, und das die Region so bitter nötig hatte. Die Familie pflanzte Reihen von Kasuarinenbäumen als Windschutz, Getreide wurde gesät, Kartoffeln in die trockene Erde gesetzt, Oliven und Salat gepflanzt. Alles privat finanziert und getragen allein von der Arbeitskraft der Familie und der wagen Hoffnung auf baldigen Regen. Abdellaziz gab seinem Desert-Greening-Projekt den Namen »Djanan«, abgeleitet vom arabischen Wort für Garten, Djanna. Im Islam bedeutet Djanna auch Paradies und Himmel.

Und der Himmel ließ die Familie Abdellaziz nicht im Stich. Kaum waren die ersten Setzlinge in der Erde, die Saat ausgesät und die Bäume gepflanzt, regnete es, und zwar so reichlich, dass sich die Brunnen und der Stausee füllten, sich kleine Seen auf den Feldern bildeten und die frisch gesetzten Kartoffeln weggespült wurden. Und der Niederschlag blieb auf hohem Niveau. Wenige Monate später erntete die Familie Kartoffeln, Salat, Artischocken, Kräuter, alles, was der Gemüsegarten hergab, dazu Getreide und Erdnüsse, sogar Trüffel gediehen auf dem Land.

Warum regnet es plötzlich so viel?

Wo aber kam plötzlich der viele Regen her? Dort, wo gewöhnlich kaum Niederschläge fallen, wo es in den Jahren zuvor so gut wie überhaupt nicht geregnet hatte. Nun, die Einheimischen dankten Allah für den Regen und die Meteorologen dankten dem Zufall. Abdellaziz glaubt zwar an die Wissenschaft, nicht aber an den Zufall. Er ist davon überzeugt, diese plötzliche Änderung des Klimas selbst bewirkt zu haben. Während seiner Studienzeit in Berlin kam er in privaten Kontakt mit Vertretern der sogenannten »Neuen Physik«. Er studierte deren naturnahe Techniken der Regeneration des Bodens, der Vitalisierung von Wasser und der Wetterbeeinflussung. Letzteres geht auf den prominentesten und wohl umstrittensten Vertreter der »Neuen Physik«, Wilhelm Reich zurück. Nach Reich sei in Regionen, wo Dürre herrsche, die Atmosphäre blockiert. Durch eine Art »Himmelsakupunktur« könne diese gelöst werden und zur Bildung von Tiefdruckwirbeln und Regenwolken beitragen. Esoterischer Hokuspokus, sagt die Schulwissenschaft. Abdellaziz - als Diplom-Informatiker in einer Welt zu Hause, wie sie rationaler kaum sein könnte - ließ sich jedoch auf diesen Hokuspokus ein.

Und die Resultate sprechen für sich: Seit 2007 ist der Grundwasserspiegel um 30 Meter gestiegen. Im Umkreis von 150 Kilometern herrscht ein lebendiges Mikroklima mit ausreichenden Niederschlägen, sodass eine zusätzliche Bewässerung durch Brunnen und Stausee kaum noch notwendig ist. Gelegentlich fallen sogar im heißen Sommer Schauer. Hat am Ende doch Wilhelm Reich Recht?

Eine wirklich rationale Erklärung hat auch Abdellaziz nicht. Augenzwinkernd verrät er: »Theorie ist etwas, das alle verstehen, aber das nicht funktioniert. Praxis ist etwas, was niemand wirklich erklären kann, aber es funktioniert.«

Aber geht es wirklich um Wilhelm Reich und die »Neue Physik«, darum, wer Recht hat und wer nicht? Abdellaziz lässt nichts unversucht, was ihn seinem Ziel, die Wüste aufzuhalten, näher bringt. Dabei kennt er kaum Berührungsängste: Wetterbeeinflussung nach Wilhelm Reich, Wasservitalisierung nach Victor Schauberger, Regeneration des Bodens mittels Agnihotra - eine altindische Methode, bei der unter anderem extrem mineralhaltige Asche als natürlicher Dünger verwendet wird. Abdellaziz greift auch auf Methoden der traditionellen Landwirtschaft zurück.

Und augenscheinlich ist es ihm gelungen, ein Stück Wüste in eine blühende Landschaft zu verwandeln, ohne hundert Meter tiefe Brunnen zu graben, ohne der Natur irgendwo Wasser abzutrotzen, das dann an anderer Stelle fehlt und ganze Ökosysteme zusammenbrechen lässt. Seine Methoden mögen umstritten sein, wissenschaftlich nicht belegt, vielleicht sind sie tatsächlich nichts als esoterischer Unsinn und Abdellaziz hatte einfach Glück. Aber bedeutet das, was wir nicht erklären können, zwangsläufig, dass es nicht funktioniert? Der Glaube versetzt ja bekanntlich Berge. Warum also nicht auch Regenwolken?

Wie auch immer er es anstellt, Djanan gibt den Menschen in der Region eine Perspektive, zeigt ihnen, dass man etwas tun kann und tun muss, um die Wüste aufzuhalten. Zudem schafft Djanan Arbeit und Unterkunft für Einheimische und für algerische Wanderarbeiter.

Wenn man heute über Abdellaziz' Land blickt, dann schaut man über Getreidefelder, an Obstbäumen vorbei über Gemüsebeete, überall wächst, blüht und gedeiht es, da wo vor wenigen Jahren noch ein lebensfeindliches Klima herrschte. Abdelaziz möchte in Zukunft noch mehr Bäume pflanzen, um das Mikroklima zu stabilisieren, das er durch sein Desert-Greening-Projekt in der Region erzeugt hat. Dass ihm Bäume dabei helfen, darin stimmt er mit der Schulwissenschaft überein.

Aber Djanan soll mehr sein als nur ein landwirtschaftlicher Betrieb, der einige Familien ernährt. Djanan soll zu einem Modellprojekt ausgebaut werden für einen landwirtschaftlichen Siedlungsraum, in dem Menschen im Gleichgewicht mit der Natur leben, arbeiten, lernen und forschen, wie Wüstenbegrünung funktionieren kann.

Grüne Welle gegen die Ausbreitung der Wüsten

Auf dem Reißbrett hat diese Idee bereits Form angenommen. Abdellaziz' Nichte, die Architekturstudentin Isra Belalmi, hat das Projekt zum Thema ihrer Diplomarbeit gemacht. Das gesamte Model beruht auf dem altindischen Vaastu, der Lehre über das harmonische und naturnahe Gestalten von Räumen, Gebäuden, Siedlungen und Landschaften, die sich nach den Himmelsrichtungen, der Sonne, dem Mond und den Planeten richten. Die Gebäude werden umweltfreundlich und preiswert in Earth-Bag-Bauweise errichtet. Dazu werden Nylonsäcke mit einem Lehm-Sandgemisch gefüllt und zu massiven Kuppelbauten geschichtet. Die Diplomarbeit wurde von der Universität Laghouat (Nordalgerien) mit Auszeichnung angenommen.

Aber Abdellaziz Vision geht noch weiter. Sein Projekt sei erst der Anfang, sagt er. Was in Algerien funktioniere, könne auch anderswo in Nordafrika Nachahmer finden. Kleine Enklaven könnten entstehen, ähnlich wie Djanan, die von Marokko bis Ägypten eine »Grüne Welle« quer durch die Sahara bilden.

Visionär oder Spinner? Wie auch immer man Abdellaziz' Ideen bewerten mag, gegen die globale Ausbreitung der Wüsten muss etwas unternommen werden, und zwar schnell. Wenn Djanan gelingt und funktioniert, dürfte Abdellaziz mit seinen umstrittenen Methoden einen Ansatz liefern, wie dieses globale Problem angepackt werden könnte.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 4. August 2012


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