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In Algier brennt die Lunte

Bürgerrechtler befürchten desaströse Folgen des Preisauftriebs bei Grundnahrungsmitteln

Von Heinz Krieger, Madrid *

Drei Jahre nach den blutigen Unruhen und Protesten gegen hohe Lebensmittelpreise in Algerien nehmen die Spannungen wieder zu. Die Bürgerrechtsbewegung Laddh befürchtet einen neuen Aufstand.

Die Laddh-Aktivisten befürchten, dass sich in Algerien Tumulte wie Anfang 2011 wiederholen könnten. Auch damals waren überteuerte Nahrungsmittel der Auslöser für einen Volksaufstand. Fünf Menschen kamen in Algier ums Leben. Die politische Stimmung in Algerien ist derzeit vor den Wahlen im April ohnehin angeheizt. Die Bürgerrechtler sagen nun »desaströse« Folgen des Preisauftriebs bei den Grundnahrungsmitteln voraus. Laut einer Studie der Organisation, die in Algerien mit der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung zusammenarbeitet, sei es Haushalten mit niedrigem Einkommen nicht mehr möglich, ausreichend einzukaufen.

»Das erinnert seltsam an eine Situation, die wir schon einmal erlebt haben«, schreiben die Laddh-Autoren mit Bezug auf die Unruhen vor genau drei Jahren.

Sie bezeichnen die hohen Preise als nicht gerechtfertig und Folge der Spekulation. Besonders gestiegen seien Preise für Getreideerzeugnisse, Hülsenfrüchte, Fleisch und Milchprodukte. So sei der Preis von Käse und Joghurt zwischen 2008 und Anfang 2014 um volle 100 Prozent gestiegen – für die Laddh sachlich unerklärlich.

Die Organisation verweist auch auf den Skandal um die Einfuhr von Kartoffeln. Diese seien für die Schweinemast in Kanada bestimmt gewesen, dann aber in Algerien als Speisekartoffeln angeboten worden. Zudem noch zu einem überhöhten Preis von 40 Dinar (etwa 37 Eurocent) pro Kilo. Dass es sich um Mastkartoffeln für Schweine handelte, schürt die Stimmung unter der islamischen Bevölkerung im besonderen Maße. Alarmierend sei zudem, dass »keine Gruppe von Produkten vom Preisanstieg ausgenommen ist«, so die Studie. Diesem Missstand könne nicht mit Preisregulierungen für bestimmte Grundnahrungsmittel abgeholfen werden, wie es die Regierung versuche. Bei den Unruhen im Januar 2011 hatte man die Preise für Speiseöl und für Zucker per Verordnung stark herabgesetzt.

Die Inflationsrate in Algerien lag im abgelaufenen Jahr 2013 bei fünf Prozent nach 8,9 Prozent im Jahr zuvor. Für 2014 werden 4,5 Prozent erwartet. Das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) betrug 2012 immerhin 3,3 Prozent, im Vorjahr 3,1 Prozent. Für 2014 werden 3,7 Prozent erwartet. Das Haushaltsdefizit lag 2013 bei 1,5 Prozent und wird für 2014 auf 2,1 Prozent prognostiziert. Die Neuverschuldung belief sich auf 1,7 Prozent des BIP. Die gesamte Staatsverschuldung liegt seit zwei Jahren stabil bei 23,8 Prozent des BIP. Sie soll sich bis Ende des Jahres sogar leicht verringern.

Doch die Löhne im Lande halten nicht mit den hohen Preisen mit. Das Durchschnittseinkommen in Algerien liegt bei monatlich 30 000 Dinar (280 Euro) im Privatsektor und bei gut 40 000 Dinar im öffentlichen Dienst. Die bestbezahlten Stellen findet man in der Öl- und Gasindustrie mit mehr als 70 000 Dinar. Zwar werden die Löhne alljährlich angehoben. Aber aus Sicht der Laddh führt das dann nur zu höheren Preisen. Algerien werde deshalb »in den kommenden Monaten Turbulenzen bis hin zur Gefahr des Bruchs der Gesellschaft« erleben.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 11, Januar 2014


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