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"Wahlen werden grundsätzlich gefälscht"

Algerien: Daß Bouteflika erneut zum Staatspräsidenten gewählt wurde, war zuvor schon ausgehandelt. Gespräch mit Rachid Ouaissa


Rachid Ouaissa ist Professor der Politikwissenschaft an der Universität Marburg.


Algeriens amtierender Präsident Abdelaziz Bouteflika hat erwartungsgemäß die Präsidentschaftswahl mit Abstand gewonnen. Warum ist dieser schwerkranke 77jährige erneut angetreten, und gab es Wahlbetrug?

Wahlen in Algerien werden grundsätzlich gefälscht. Sowohl die offiziellen Endergebnisse als auch die Zahlen zur Wahlbeteiligung unterliegen keiner unabhängigen Prüfung. Ergebnisse werden bereits vorher hinter verschlossenen Türen ausgehandelt; so war es auch dieses Mal.

Doch diese Wahl war surreal: Das Regime in Algier bot mit Bouteflika einen Kandidaten auf, der aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit nicht fähig ist, das Amt auch wirklich auszuüben. Seine Berufung hat jedoch handfeste Gründe. Algeriens Regime ist eine Staatsklasse, eine Art Kartell, dessen verschiedene rivalisierende Fraktionen hinter den Kulissen informelle Abmachungen zur Machtteilung vereinbaren. Offenbar konnten sich die wichtigsten Gruppen innerhalb des Apparates – Armee, Geheimdienst und Bouteflikas Partei, die Nationale Heilsfront (FLN) – nicht auf einen Nachfolger einigen; Bouteflika war daher gezwungen, erneut zu kandidieren.

Wie geht es weiter? Der Kampf um Bouteflikas Nachfolge ist schließlich nur verschoben worden.

Zunächst will die neue alte Führung des Landes eine Reform der Verfassung in Angriff nehmen. Das hatte Bouteflikas Clan vor der Wahl mehrfach angekündigt. Eine zentrale Neuerung wird die Installation eines Vizepräsidenten sein. Das wird ein Schlüsselposten im Staatsapparat – der jeweilige Amtsinhalber kann bei einem Ableben Bouteflikas auf dessen Posten nachrücken. Die Entscheidung darüber, wer diesen Posten übernehmen wird, ist am Ende wichtiger als die Präsidentschaftswahl selbst. Dieses Prozedere erlaubt es Algeriens Staatsklasse, die Entscheidung über Bouteflikas Nachfolge elegant zu lösen und ein Machtvakuum nach dessen Tod zu verhindern. Es wird somit kein politisches Vakuum geben, da regimeinterne Machtkämpfe bereits ausgestanden sein werden.

Wer kommt für dieses Amt in Frage?

Es kommen nur Leute in die engere Auswahl, die durch normale Wahlen keine Chancen auf das Amt hätten. Zum einen wäre da Ahmed Ouyahia, ehemals Premierminister Bouteflikas und ehemaliger Chef der Nationalen Demokratischen Sammlung (RND), einer Abspaltung der FLN und deren langjähriger Koalitionspartner in der Regierung. Ouyahia gilt als arbeitsamer Bürokrat und ist beliebt. Doch er gehört der Kabylen-Minderheit Algeriens an; es gilt noch immer als Tabu, einen Kabylen zum Präsidenten zu wählen. Die zweite Möglichkeit wäre Said Bouteflika, der Bruder des amtierenden Präsidenten. Said bewegt sich seit Jahren in den engeren Machtzirkeln und hat als Berater seines Bruders bereits jetzt enormen Einfluß. Seine Kandidatur wird schon länger heiß diskutiert, doch wäre er als Direktkandidat angetreten, hätte es größere Proteste oder gar Unruhen im Land gegeben. In Algerien gibt es Clans, die regieren und großen Einfluß haben, aber Familienclans sind nach wie vor für viele Menschen unvorstellbar und inakzeptabel.

Welche Rolle spielte Algeriens neue Protestbewegung »Barakat« bei der Wahl?

Die von »Barakat« organisierten Demonstrationen haben durchaus Menschen mobilisiert, doch beschränkt sich ihr Einfluß zur Zeit auf die urbanen Zentren im Norden des Landes und auf die Kabylei, die östlich von Algier gelegene und mehrheitlich von Berbern bewohnte Provinz.

»Barakat« ist eine Allianz diverser Oppositionsparteien, die meist dem islamistischen Lager nahestehen. Aber auch die laizistische, in der Kabylei verankerte Sammlung für Kultur und Demonkratie (RCD) hat sich der Allianz angeschlossen. Ihr Ziel war es, gegen eine vierte Amtszeit Bouteflikas zu opponieren, doch die beteiligten Parteien konnten sich auf keinen Kandidaten einigen. Daher rief »Barakat« zum Wahlboykott auf und entwickelte sich zu einer regimekritischen Protestbewegung. Ob »Barakat« ähnlich wie Ägyptens Kefaya-Bewegung (arabisch für »Es reicht«), die schon Jahre vor der Revolution 2011 offen gegen Ägyptens Regime mobilisierte, einem größeren Aufstand den Weg bereiten kann, bleibt abzuwarten.

Interview: Sofian Philip Naceur

* Aus: junge welt, Mittwoch 23. April 2014


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