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Weg aus der Lethargie

Angola hat "friedlich, frei, transparent und glaubwürdig" gewählt: Klare Mehrheit für MPLA erwartet. Wie kann die Massenarmut bekämpft werden?

Von Gerd Schumann *

Angola hat gewählt, und das Ergebnis fiel weit eindeutiger aus, als es die westlich orientierten Kräfte erwartet hatten. Nach am Sonntag bekanntgegebenen Ergebnissen lag die MPLA (Volksbewegung für die Bewegung Angola) mit etwa 80 Prozent vorn. Die aus der einstmals terroristischen Rebellengruppe UNITA (Nationale Union für die völlige Unabhängigkeit Angolas) hervorgegangene gleichnamige Partei erhielt von der Wählerschaft eine Abfuhr. Sie wird aller Voraussicht nach ihre bisher 70 Sitze, die sie bei dem folgenreichen Urnengang von 1992 erhalten hatte, im 220 Abgeordnete zählenden Parlament nicht halten können. Dabei hatte die UNITA geglaubt, »der MPLA dieses Mal die Mehrheit streitig zu machen« (FAZ, 5.9.) – ein Irrglaube. Zu tief sitzt bei den Menschen – acht Millionen waren wahlberechtigt – die historische Erfahrung, daß diese Organisation seit jeher von neokolonialen Ambitionen geprägt ist, und daß deren Initialien nicht für »Unabhängigkeit« stehen, sondern für »Krieg«.

Technische Probleme

Die Abstimmungen am Freitag und Samstag verliefen nicht ohne technische Probleme, was allerdings niemanden, außer westliche Mainstreamagenturen und Beobachtergruppen, so recht verwunderte. Schließlich handelte es sich um den ersten Urnengang in Angola seit 16 Jahren. Der Zustand der vom Krieg zerstörten und nur leidlich wiederhergestellten Infrastruktur hatte bei den Verantwortlichen in Luanda bereits im Vorfeld für die Überlegung gesorgt, daß die Wahlen eventuell zwei Tage in Anspruch nehmen würden. So geschah es schließlich, zumal in der Hauptstadt am Freitag einige Pannen aufgetreten waren – manche Wahlbüros wurden zu spät geöffnet. Letztlich konnte vielerorts dann bis Samstag, 20 Uhr, gewählt werden.

Beobachter der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC) bezeichneten den Urnengang als »friedlich, frei, transparent und glaubwürdig«. Die Wahl spiegele den Willen des angolanischen Volks wider, wertete der Chef der SADC-Mission, John Kunene aus Swasiland. Sie werde zur Festigung der Demokratie im Land und zur Stabilisierung der gesamten Region beitragen. Wie zu erwarten, ließ sich die Opposition davon nicht beeindrucken. Der Verlauf sei ein »Skandal« gewesen, erklärte sie und kündigte Einspruch vor dem Verfassungsgericht an.

Aufgrund erster Hochrechnungen am Sonntag erwartete der MPLA-Informationschef, Rui Falcao, einen überzeugenden Sieg seiner Partei. Die ersten Ergebnisse »übertreffen unsere Erwartungen«, sagte Falcao der portugiesischen Nachrichtenagentur Lusa. Nach Auszählung von etwa 50 Prozent der Stimmen lag die MPLA laut Angaben vom Sonntag bei 81,7 Prozent, die UNITA bei 10,6 Prozent. Die ehemalige Befreiungsbewegung, die 1975 die Unabhängigkeit des Landes erkämpfte und mit José Eduardo dos Santos auch den derzeitigen Präsidenten stellt, könnte folglich eine Zweidrittelmehrheit erhalten haben. Mit dieser wären Verfassungsänderungen durchsetzbar. Mit dem Endergebnis ist Mitte nächster Woche zu rechnen.

Die Wahlbeteiligung wurde von Beobachtern als hoch eingeschätzt, zu Gewalttätigkeiten, obwohl prophezeit, kam es nicht. Das südwest­afrikanische Land am Atlantik befindet sich offensichtlich in einer anhaltenden Konsolidierungsphase. Eine friedliche Entwicklungsphase scheint möglich. Der Wahlverlauf zumindest demonstrierte, daß die Lethargie, die auf dem Land wegen des langanhaltenden Kriegszustands, der Gewalt und Zerstörung lastete, einem vorsichtigen Optimismus weicht – ein Zustand, der sich grundsätzlich von den Turbulenzen bei den Wahlen vor 16 Jahren unterscheidet.

Zerstörte Infrastruktur

Nach dem Urnengang von 1992 hatte die vom Apartheidregime in Südafrika und den USA ausgehaltene Terrorgruppe UNITA zu den Waffen gegriffen: Ihrem von Pretoria durch Luft- und Landtruppen unterstützten Anführer Jonas Savimbi hatte das Ergebnis nicht gepaßt, das die – von der Kommunistischen Partei Angolas 1956 mitgegründete – MPLA als Siegerin auswies. Ein erneuter, zweijähriger Krieg brach aus – der dritte nach dem Befreiungskampf der MPLA gegen die portugiesischen Kolonialisten (1956–1975) und dem Krieg Savimbis (1975–1989) gegen die marxistisch orientierte Regierung. Darin war die MPLA von Zehntausenden kubanischen Internationalisten erfolgreich unterstützt worden – mit positiven Folgen für das Nachbarland Namibia, das 1990 endlich von Südafrika unabhängig wurde.

Im November 1994 dann schlossen die Bürgerkriegsparteien erneut ein Friedensabkommen, ab 1997 entstand gar eine »Regierung der nationalen Einheit und Versöhnung«, doch rief Savimbi bereits im Jahr darauf wieder zu den Waffen. Das geschundene Land, dessen Infrastruktur bereits zu jenem Zeitpunkt zu zwei Dritteln zerstört war, wurde weiter in Schutt und Asche gelegt. Angola kam erst im Jahr 2002 zur Ruhe, als Savimbi endlich – wie lange von der Bevölkerung ersehnt – das Zeitliche segnete.

Heute verzeichnet das ölreiche Land, in dem täglich etwa zwei Millionen Barrel Erdöl gefördert werden, mit jährlich etwa 20 Prozent die weltweit höchste Wirtschaftszuwachsrate. Der neue Reichtum kommt allerdings bisher nur in geringem Umfang dem Großteil der Bevölkerung zugute. Über die Hälfte der Menschen muß mit weniger als zwei Dollars täglich auskommen, die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 42 Jahren, und die Kindersterblichkeit ist hoch. Die Landflucht vor Krieg und Minen hat riesige verarmte Vorortviertel entstehen lassen – vor allem in Luanda, dessen Einwohnerzahl sich seit der Unabhängigkeit 1975 auf fünf Millionen verfünffacht hat. Zwei Drittel von ihnen leben im schlecht versorgten Gürteln um die Stadt.

Absage an Neoliberalismus

Trotz der miserablen Lage – oder vielleicht gerade deswegen – überwarf sich die angolanische Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der »Strukturanpassungsmaßnahmen« verlangt hatte – vor allem eine weitere Privatisierung öffentlicher Strukturen. 2007 stellte die MPLA eine »nationale Konsens-Agenda« für den Zeitraum bis zum Jahr 2025 vor, in der eine vollständige »Abkehr von der neoliberalen Wirtschaftspolitik empfohlen« (Le monde diplomatique, 5/2008) wird. Unter anderem sollen die Armut bekämpft, die Sozial- und Bildungspolitik massiv ausgebaut und die anhaltende Korruption bekämpft werden. Auch Alternativen zur Ölwirtschaft werden gesucht: Die Vorkommen werden nach derzeitigem Stand bis zum Jahr 2025 weitgehend erschöpft sein.

* Aus: junge Welt, 8. September 2008


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