"Die Rechte will einen Kurswechsel in Argentinien"
Alfredo Bauer: Parlamentswahlen haben die Widersprüche im Peronismus offenbart
Alfredo Bauer ist österreichisch-argentinischer Arzt und Schriftsteller. 1939 floh seine jüdische Familie aus Wien nach Südamerika. Bauer gehört heute dem Schriftstellerverband an und ist seit 1949 Mitglied der Kommunistischen Partei. Er lebt und arbeitet in Buenos Aires. Über die politische Lage in Argentinien nach den Parlamentswahlen sprach mit ihm für das "Neue Deutschland" (ND) Harald Neuber.
ND: Bei den Teilwahlen zum argentinischen Kongress Ende Juni haben die Kräfte um Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner in mehreren Regionen eine Niederlage erlitten. Ist die Rechte in
Argentinien wieder auf dem Vormarsch?
Alfredo Bauer: Das Wahlergebnis bedeutet eine Zuspitzung der Gegensätze zwischen den Lagern. Damit werden
auch die politischen Auseinandersetzungen, die Klassenauseinandersetzungen, an Schärfe
gewinnen. Von einem Rechtsruck aber würde ich nicht sprechen. Ein Vorteil ist, dass rechte
Demagogen in der peronistischen Partei gezwungen waren, Farbe zu bekennen.
Aber welche soziale Basis hat der Peronismus unter Fernández de Kirchner heute?
Für die Antwort müssen wir einen Blick in die Geschichte werfen. Die populären Kräfte in dieser
Partei sind immer von der Annahme ausgegangen, dass die Lehre Juan Peróns (1895-1974) die
unteren Klassen begünstigt. Das hatte damit zu tun, dass die Leichtindustrie durch die
wirtschaftliche Konjunktur im Zweiten Weltkrieg einen starken Aufschwung nahm. Tatsächlich haben
die Massen aus dem Landesinneren, ohne politisches Bewusstsein und ausgebeutet, eine
ungeheure Verbesserung der Lebensbedingungen erfahren. Perón hat gerade das dazu genutzt, um
die Bildung eines politischen Bewusstseins zu verhindern.
Ist das nicht bis heute so? Linke Staatschefs wie Hugo Chávez in Venezuela und -- mehr noch -- Evo
Morales in Bolivien haben eine starke politische Bewegung hinter sich. Cristina Kirchner aber hat ein
gespaltenes Verhältnis zu den Basisorganisationen.
Ich sehe Ansätze für eine solche soziale Bewegung. Allerdings stellt die Spaltung der Linkskräfte ein
großes Hindernis dar. Ein Beispiel ist die Bewegung der Agrarunternehmer, die sich im vergangenen
Jahr gegen die Erhöhung der Ausfuhrzölle gewandt hat. Das betraf vor allem Soja, dessen
Weltmarktpreis erheblich angestiegen ist. Den Agrarunternehmern ist es gelungen, große Teile der
Mittelschicht und sogar einen Teil der Linken für ihre Zwecke zu mobilisieren. Ziel dieser Bewegung
ist es, Cristina Kirchner zu einem neuen, rechten Kurs zu zwingen. Oder zum Rückzug.
Es geht also um eine Abkehr von der »neuen Linken« in Lateinamerika?
Argentinien ist ja nicht Teil der von Chávez initiierten Bolivarianischen Allianz für Amerika (ALBA).
Aber das Bündnis zwischen der Regierung Kirchner und Venezuela ist sehr stabil. Und anders als
Brasilien unter Präsident Lula da Silva hat Argentinien sich nach dem Putsch in Honduras sofort auf
die Seite der gewählten Regierung gestellt.
Während in Argentinien am 28. Juni ein Teil der Senatoren und Abgeordneten neu gewählt wurde,
wurde in Honduras gegen Präsident Manuel Zelaya geputscht. Was haben Wahlergebnis und
Staatsstreich gemein?
Die Ablehnung des sogenannten Chavismus. In Argentinien wendet sich die Rechte heute schon nicht mehr gegen die Bündnispolitik Cristina Kirchners mit Chávez. Sie wird inzwischen als »unser
Chávez« geradezu verdammt. Vor allem von den Medien ...
... weshalb die Regierung ein neues Mediengesetz erlassen hat. Könnte »Kirchners Krieg gegen die
Medien«, wie die Deutsche Welle tendenziös titelte, die Entscheidung bringen?
Es findet kein Krieg gegen »die Medien« statt, weil sie ja nicht alle reaktionär sind. Schon jetzt gibt
es staatliche Fernseh- und Radiosender, die ein sehr hohes professionelles Niveau haben. Bei dem
Mediengesetz geht es darum, eine Übermacht der Privatpresse zu verhindern. Die
Medienunternehmer haben mit einer maßlosen Hetze reagiert und diese Regelung als das Ende der
Rede- und Meinungsfreiheit präsentiert.
Dabei ist die Regelung denkbar einfach: Ein Drittel der Medien kann in privater Hand sein, ein Drittel
gehört dem Staat, und der Rest kann von nicht auf Profit orientierten Organisationen und
Institutionen gehalten werden. Dieses Spektrum reicht von Universitäten bis zu den erwähnten
reaktionären Agrarunternehmern. Die müssen dann aber sagen, wer sie sind. Sie dürfen ihre
Haltung nicht mehr als die allgemeine öffentliche Haltung tarnen. Und das ist schon viel wert.
* Aus: Neues Deutschland, 2. November 2009
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