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Auf dem Trockenen

Notstand für einen der weltgrößten Agrarexporteure: Anhaltende Dürre sorgt in Argentinien für Rindersterben und gefährdet Weizen- und Maisernte

Von Johannes Schulten *

Verkehrte Welt in Argentinien: Wurde das Jahr 2008 noch durch scharfe Konfrontationen zwischen den Agrarverbänden und der Regierung um die Erhöhung der Agrarsteuern dominiert, stellte die Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner dem Landwirtschaftsektor am Montag vergangener Woche per Dekret weitreichende Subventionen in Aussicht. Der Grund für die Annäherung ist simpel: Argentinien, weltweit drittgrößter Rindfleischproduzent, durchlebt momentan eine der schwersten Dürreperioden seiner Geschichte. Das »Dekret über den Notstand für die Landwirtschaft« sei daher »eine bedeutende patriotische Kraftanstrengung aller Argentinier«, um den notleidenden Landwirten zu helfen, so Fernández de Kirchner in einer Ansprache. Neben der Aussetzung einiger Steuern für ein Jahr beinhaltet es u. a die sofortige Bereitstellung von insgesamt 230 Millionen Peso (fast 50 Millionen Euro) für die betroffenen Provinzen.

Ökonomisches Desaster

Die Folgen der Dürre sind in der Tat historisch: Ausfälle zwischen 15 und 20 Millionen Tonnen Getreide sind nach Regierungsangaben wegen fehlender Niederschläge zu verzeichnen. In der nordöstlichen Provinz Entre Ríos gingen 90 Prozent des Maisanbaus verloren, während im Chaco, ebenfalls im Nordosten, mit einem Rückgang der Ernte um die Hälfte gegenüber 2007/2008 gerechnet wird. Am stärksten betroffen sind die Viehzüchter: »Die Grasreserven gehen zu Ende, und die Tiere verlieren an Gewicht oder sterben direkt«, beklagte sich ein Züchter gegenüber der Tageszeitung Clarín. Die Agrarverbände sprechen von mehr als 600000 toten Rindern, die seit Frühlingsbeginn im Oktober entweder an der Trockenheit starben oder notgeschlachtet werden mußten.

Einen Grund für die Trockenheit sehen Meteorologen im Wetterphänomen La Niña, welches für eine Abkühlung des Pazifiks auf der Höhe von Ecuador sorgt. »Das Wasser kühlt die Luft ab, so daß die Wolken weniger Dunst aufnehmen können und dadurch weniger Regen entsteht«, erklärt Víctor Jorge Leis vom staatlichen Wetterdienst (SMN). Kritiker weisen jedoch auch auf hausgemachte Probleme hin: Um Weideland zu gewinnen seien in den vergangenen Jahrzehnten große Teile der argentinischen Waldbestände gerodet worden. Wälder können jedoch länger und in größeren Mengen Wasser bereitstellen als vergleichbare Freiflächen.

Einseitige Orientierung

In jedem Fall führt die aktuelle Dürre schonungslos die Risiken eines Entwicklungsmodells vor Augen, dessen Prosperität in letzter Instanz von den Erlösen des Agrarsektors abhängt. Denn trotz einer gewissen Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur durch die Regierungen Néstor Kirchner (2003--2007) und dessen Ehefrau Cristina (seit 2007) waren die enormen Wachstumsraten der zurückliegenden Jahre im Kern den hohen Rohstoffpreisen geschuldet -- besonders in dem seit Einführung des gentechnisch manipulierten Saatguts 1996 stark expandierenden Soja-Sektor. 2006 war die Agrarwirtschaft für 57,4 Prozent des gesamten Exportvolumens und 15,2 Prozent der Steuereinnahmen verantwortlich. Allein auf den Sojaexport entfielen 19,2 Prozent der argentinischen Ausfuhrerlöse. Experten schätzen die bisher durch die Dürre verursachten volkswirtschaftlichen Schäden auf umgerechnet etwa fünf Milliarden US-Dollar.

Die Agrarverbände zeigten sich trotz der versprochenen Zuwendungen nur mäßig zufrieden. »Von dem Forderungskatalog, den wir Cristina Kirchner geschickt haben, wurde nur die erste Zeile (das Dekret über den Agrarnotstand) erfüllt, es fehlen noch vier Seiten«, beschwerte sich Eduardo Buzzi, Präsident der Argentinischen Agrarföderation (FAA). Die Landwirte fordern eine komplette Einstellung der Exportsteuer auf alle Agrarprodukte sowie Zahlungen in Höhe von 200 Peso (57 Euro) für jedes tote Rind. Nachdem am vergangenen Mittwoch Neuverhandlungen zwischen beiden Lagern gescheitert waren, drohen die Landwirte offen mit Kampfmaßnahmen. Damit steigt die Gefahr, daß sich die Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Agrarverbänden von 2008 wieder neu entzünden könnten.

Im vergangenen März hatte die Regierung versucht, die Steuern für Sojaexporte zu erhöhen, um an den steigenden Weltmarktpreisen teilzuhaben. Darauf hatten die Agrarverbände monatelang mit massiven Protesten und Blockaden der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte des Landes reagiert.

Lösung nicht in Sicht

Die Regierung hingegen befindet sich in einem Dilemma. Zum einen finden im Oktober Parlamentswahlen statt, daher gilt es, größere Konflikte zu vermeiden. Auf der anderen Seite werden die finanziellen Rücklagen angesichts der Kosten der globalen Wirtschaftskrise knapp: Die internationalen Rohstoffpreise befinden sich seit einigen Monaten im Sinkflug, und auf die Einnahmen aus der Exportsteuer, besonders für Soja, kann momentan nicht verzichtet werden. Ein Ausweg aus der Pattsituation ist daher noch nicht in Sicht. Das nationale Wetteramt jedenfalls rechnet nicht vor März mit stärkeren Regenfällen.

* Aus: junge Welt, 3. Februar 2009


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