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Kein Relikt aus der Vergangenheit

UN-Komitee für Entkolonisierung neu gewählt / Konflikt um Malwinen bestimmt Agenda

Von Harald Neuber *

Der Kolonialismus ist größtenteils überwunden, aber eben noch nicht ganz. 16 umstrittene Territorien nennt der zuständige UN-Ausschuss.

Das neue Präsidium des UN-Komitees für Entkolonisierung steht unmittelbar nach seiner Wahl vor einer neuen Bewährungsprobe. Das Gremium, dem 29 UN-Mitgliedsstaaten angehören, wird sich möglicherweise mit einer neuen Zuspitzung des Konfliktes zwischen Argentinien und Großbritannien um die Malwinen (Falklandinseln) beschäftigen müssen. Neben der umkämpften Inselgruppe im Südatlantik befasst sich das UN-Komitee mit 15 weiteren nichtautonomen Gebieten – und verwaltet damit das Erbe des klassischen Kolonialismus.

Vertreter von Ecuador, Kuba und Sierra Leone werden das Gremium leiten, das mit der UNO-Resolution 1514 im Jahr 1960 in einer Zeit gegründet wurde, als die antikolonialen Befreiungskämpfe einen Höhepunkt erreicht hatten. Als Berichterstatter wurde neben ihnen vor wenigen Tagen der syrische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Baschar Jaafari, gewählt.

Vor allem den Staaten Lateinamerikas ist das Thema der Entkolonisierung wichtig. Die linken Reformregierungen südlich der USA drängen auf eine Loslösung von der wirtschaftlichen und politischen Dominanz ehemaliger Kolonialzentren. Stattdessen suchen sie den Schulterschluss mit Schwellenländern wie Indien, Iran oder Russland.

Vor wenigen Tagen erst hatte Venezuelas Präsident Hugo Chávez diese Attitüde in einer Grußbotschaft an ein Gipfeltreffen der Länder Südamerikas und Afrikas vertreten. Lateinamerika und Afrika teilten eine Vergangenheit der Unterdrückung und Sklaverei, schrieb der 58-jährige: »Heute aber vereint uns der Kampf für die endgültige Unabhängigkeit unserer Nationen«. Gemäß dieser Linie wird Ecuador in diesem Jahr in seiner Hauptstadt Quito eine Konferenz über die Politik zur Entkolonisierung bis zum Jahr 2020 ausrichten.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon unterstützt das Gremium, über das in Lateinamerika deutlich mehr berichtet wird als in Europa. Der Kolonialismus habe in der modernen Welt keinen Platz mehr, sagte der Südkoreaner bei der konstituierenden Sitzung. Trotz der finanziellen Probleme der Weltorganisation werde er sich für die Arbeit des Komitees einsetzen, so Ban weiter: »Sie müssen als erste die Möglichkeiten zum Wandel ausloten und Schwerpunkte im Prozess der Entkolonisierung vertreten«.

Unter den derzeit 16 strittigen Territorien befinden sich vor allem britische Kolonialgebiete. Neben den Malwinen (Falklandinseln) handelt es sich dabei meist um kleinere Inselstaaten in der Karibik, aber auch Gibraltar. Im Fall der USA stehen die Jungferninseln, Guam und Amerikanisch-Samoa auf der Agenda des UN-Komitees. Hinzu kommen Neukaledonien (Frankreich), Tokelau (Neuseeland) und das von Marokko besetzte ehemalige spanische Kolonialgebiet Westsahara.

Das Schicksal der Malwinen (Falkland-Inseln) im südlichen Atlantik seit Monaten ganz oben auf der Tagesordnung der UNO. Zum 30. Jahrestag des argentinischbritischen Krieges um das karge Eiland im Jahr 1982 war der Gebietsstreit im vergangenen Jahr wieder aufgeflammt. Argentinien fordert von London Verhandlungen über den künftigen Status des Gebietes ein. Dabei kann die Regierung von Präsidentin Cristina Kirchner auf 39 Resolutionen des UN-Komitees für Entkolonisierung seit 1960 verweisen, in denen die Forderung nach bilateralen Verhandlungen unterstützt wird.

In Großbritannien begegnet man der Forderung nach alter Kolonialmanier. Zu Beginn der neuen Falkland-Krise vor einem Jahr rief Premier David Cameron das Sicherheitskabinett ein, um, wie er sagte, »sicherzugehen, dass die Verteidigung steht«. Angesichts wachsenden diplomatischen Drucks willigte der konservative Premierminister dann in ein Referendum der Inselbewohner ein, dass am kommenden Sonntag und Montag (10./11. März) stattfinden soll. Ganz scheint London der Demokratie jedoch nicht zu trauen. Pünktlich zur Abstimmung wird der britische Zerstörer »MHS Argyll« vor den Malwinen eintreffen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 05. März 2013


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