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Heimspiel für London

Britannien beruft sich für die Insulaner auf das Selbstbestimmungsrecht

Von Reiner Oschmann *

Die Falklandinseln (Malvinas) im Südatlantik sind seit Jahrhunderten Zankapfel zwischen Großbritannien und Argentinien. Am 10. und 11. März wollen die Einwohner per Referendum ein Zeichen setzen - für ihre weitere Zugehörigkeit zum Vereinigten Königreich. Buenos Aires zeigt sich dennoch zuversichtlich, das Archipel in Statusverhandlungen zurückzugewinnen.

Die Menschen auf der Straße haben in Britannien so wenig Interesse am Falkland-Dauerkonflikt wie in Argentinien. Sie beschäftigen andere Sorgen als der hinhaltende Nervenkrieg um eine Inselgruppe im Südatlantik, 400 Kilometer vor der Küste Argentiniens und fast 13 000 Kilometer von Britanniens Hauptstadt London entfernt. Für die meisten Briten ist das zum Königreich zählende Überseegebiet (eins von 14 verbliebenen) wenig mehr als ein Konfettischnipsel aus der Konkursmasse des Empires - und die Erinnerung an einen ebenso fahrlässigen wie chauvinistischen Krieg zwischen Britannien und Argentinien 1982, mit dem sich die damalige Regierungschefin »Maggie« Thatcher in wenigen Wochen des Rufs eines politischen Auslaufmodells entledigte und zur Volksheldin aufstieg.

31 Jahre danach wird das Tauziehen um die Souveränität für die Inseln mit ihren knapp 3000 Bewohnern (oft schottischer Abstammung), einer halben Million Schafen und einer Dreiviertelmillion Pinguine, mit anderthalb Tausend stationierten britischen Soldaten zu Jahreskosten von knapp 100 Millionen Euro - sowie mit der Aussicht auf ertragreiche Erdöl- und -gasvorkommen - verbissen und nadelstichreich fortgeführt. Doch anders als Argentinien, das das Referendum irrelevant nennt, steht London hinter der Volksbefragung, weil ein klares Mehrheitsbekenntnis zur weiteren Bindung an Britannien als sicher gilt. Für London ist das Referendum ein Heimspiel.

Hintergründe des Konflikts

Sie spielen längst keine Rolle mehr: die Yámana, die indigenen Ureinwohner der Falklandinseln, die in Argentinien nur als die Malvinas bekannt sind. Zwar siedelten sie zur Zeiten der »Entdeckung« (Eroberung) der Falklands nicht mehr auf den Inseln, aber ihr Schicksal zeigt, dass weder Britannien noch Argentinien sich eines pfleglichen Umgangs mit Indigenen rühmen können. Die Yámana, die bis Anfang des 20. Jahrhunderts auf Feuerland siedelten, sind ebenso wie die anderen Ureinwohner Feuerlands im Zuge der Besiedelung durch weiße Siedler bereits Anfangs des 20. Jahrhunderts fast vollständig ausgerottet worden - wie so viele Ureinwohner vor allem auf Inseln, die den von den Eroberern eingeschleppten Krankheiten keinen Immunschutz entgegen setzen konnten, wenn sie nicht ohnehin zuvor hingemetzelt wurden.

Der Streit zwischen Großbritannien und Argentinien hält seit 1833 an, als Großbritannien die Falklandinseln in Besitz nahm und die argentinische Armee vertrieb, die die Kontrolle über die Malvinas im Zuge der endgültigen Unabhängigkeit von Spanien 1816 übernommen hatte.

Die Regierung in Buenos Aires beruft sich darauf, dass der portugiesische Seefahrer Ferdinand Magellan 1520 die Inseln entdeckte, als er im Auftrag Spaniens unterwegs war. Nun sah zwar Magellan die Malvinas, legte aber nicht an. Die Briten wiederum nehmen für sich in Anspruch, 1690 die Inselgruppe als Erste betreten zu haben.

Der traurige und blutige Höhepunkt der Auseinandersetzungen war der von Argentiniens Militärdiktatur vom Zaun gebrochene Krieg 1982, dem rund 900 Menschen, meist Argentinier, zum Opfer fielen. Diplomatisch kocht der Streit in den letzten Jahren wieder verstärkt hoch. Das hat einen handfesten Grund: Ölfunde vor der Küste des Archipels. ML

Die britische Seite weist im Souveränitätsstreit nicht nur Argentiniens Behauptung zurück, Großbritannien habe 1833 mit der Errichtung eines Flottenstützpunkts auf den Falklands die ursprünglichen argentinischen Einwohner vertrieben. Vielmehr habe die Royal Navy damals, so Londons Außenministerium, lediglich eine argentinische Militäreinheit verjagt. Britannien argumentiert aber vor allem mit der Auffassung, »die Zukunft der Falkland-Inseln sollte von den Menschen bestimmt werden, die dort leben«, wie zuletzt Premier David Cameron (Tories) die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner beschied.

London hat vor dem Referendum deshalb stets darauf bestanden, dass Gespräche beider Länder unter Teilnahme von Repräsentanten der Falklands-Lokalverwaltung stattfinden. Die Briten berufen sich dabei auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, ein Argument, das ihnen vorm und im Krieg von 1982 die Billigung der UNO eintrug. Vorigen Frühling, zum 30. Jahrestag des Krieges, sprachen sich 61 Prozent der britischen Wähler in einer Repräsentativumfrage dafür aus, dass »Britannien die Falkland-Inseln ungeachtet aller Kosten so lange unterstützen sollte, wie die Inselbewohner dies wünschen«. 32 Prozent fanden, London solle »bereit sein zu Verhandlungen mit Argentinien zur letztlichen Übergabe« dieses »entfernten Außenpostens einer verflossenen Ära«. Besonders klar (78 Prozent) war die Mehrheit unter Wählern der Konservativen Partei Camerons und Thatchers, doch gab es sie auch unter Anhängern der Labour Party (54) und der Liberaldemokraten (60).

Kategorisch weist Britannien Argentiniens Auffassung zurück, die Falklands seien eine britische Kolonie. Es verweist vielmehr auf Äußerungen wie jüngst die von Barry Elsby, Mitglied der gesetzgebenden Versammlung der Falklands: »Wir sind keine Kolonie. Unsere Beziehung mit dem Vereinigten Königreich beruht auf freier Wahl.« Anders als Argentiniens Regierung respektiere »das United Kingdom das Recht unserer Bewohner, ihre eigenen Angelegenheiten zu bestimmen, ein Recht, das in der UN-Charta verankert ist, aber von Argentinien ignoriert wird«. Das Regierungsmitglied der Falklandinseln, Mike Summers, warf vorigen Sommer vor der UNO in New York - in Anwesenheit von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner - Argentinien vor, die Bevölkerung von den Inseln vertreiben zu wollen: »Sind wir Zweite-Klasse-Menschen mit ungleichen Rechten, nur weil wir nicht Lateinamerikaner sind? Oder sind wir unbedeutend, weil wir zu wenige sind, freigegeben zum Missbrauch durch einen drangsalierenden Nachbarn?«, fragte er.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 09. März 2013


Rückendeckung für Buenos Aires

Noch nie hatte Argentiniens Regierung so viel Unterstützung wie derzeit im Streit um die Malvinas

Von Harald Neuber **


Argentiniens Regierung hat mit einer diplomatischen Offensive auf das Referendum der Bewohner der Falklandinseln reagiert. Wenige Tage bevor die London-treue Verwaltung des Archipels die Bewohner zu einem Referendum über die politische Zugehörigkeit aufgerufen hat, erneuerte Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner in ihrer Neujahrsansprache vor dem Parlament in Buenos Aires ein Angebot zum Dialog. »Wir glauben, der einzige Weg zur Verteidigung des Friedens über die Diplomatie führt«, sagte Fernández. Argentinien strebe weiterhin »Souveränität und Frieden« für die Malvinas an, wie das gut 12 000 Quadratkilometer große Landstück im Südatlantik auf Spanisch heißt. Diese Botschaft hatte Außenminister Héctor Timerman schon einen Monat zuvor nach London getragen. In der britischen Hauptstadt war Argentiniens Chefdiplomat mit Parlamentariern zur Debatte zusammengekommen und hatte sich dabei selbstbewusst gezeigt. Großbritannien untergrabe die eigene Glaubwürdigkeit, wenn die Siedlungspolitik Israels auf palästinensischem Gebiet kritisiert werde, man das gleiche Vorgehen im Streit um die Falklandinseln aber selbst anwende. Auf die 3000 Einwohner der Malvinas kämen immerhin 1500 britische Soldaten. Zuvor schon hatte sich Timermann im gemeinsamen Interview mit den britischen Tageszeitungen »The Guardian« und »The Independent« prognostiziert: Binnen zwei Jahrzehnten würden die Malvinas zu Argentinien gehören.

Argentinien beansprucht das Gebiet im südlichen Atlantik seit 1833 und hat vor exakt 30 Jahren einen kurzen und brutalen Krieg mit Großbritannien um das Terrain verloren. Dass man sich in Buenos Aires dennoch zuversichtlich zeigt, liegt auch an der neuen regionalen Unterstützung. Alle Staaten Lateinamerikas und der Karibik haben Argentinien bei dessen Forderung nach Statusverhandlungen den Rücken gestärkt. Bei einer Konferenz der Länder Südamerikas und Afrikas schlossen sich der Position zuletzt auch 54 Regierungen des schwarzen Kontinents an. Die diplomatische Strategie geht mit wirtschaftlichen Sanktionen einher: Ende 2011 schränkte den Gemeinsamen Markt des Südens (MERCOSUR) den Schiffsverkehr zu den Falklandinseln ein, eine Aussetzung von Flugverbindungen aus Chile wird noch diskutiert.

Großbritannien versucht dem zunehmenden Druck mit dem Referendum politisch etwas entgegenzusetzen. Ob diese Strategie aufgeht, wird auch in den Vereinten Nationen entschieden werden, wohin sich der Konflikt zunehmend verlagert. Argentiniens Vertreter gegenüber der UN-Abrüstungskonferenz, Eduardo Zuain, beklagte einen Bruch internationaler Konventionen durch die mögliche Stationierung atomwaffenfähiger U-Boote der britischen Marine vor den Falklandinseln. Das Entkolonisierungskomitee der UNO zog die Aussagekraft des Referendums an diesem Wochenende indes in Frage. Bei dem Streit handele es sich nicht um einen Kolonialkonflikt, sondern um eine Frage der territorialen Souveränität, sagte der ecuadorianische Diplomat Diego Morejón, der dem Komitee vorsteht. Die UNO habe daher wiederholt für Verhandlungen plädiert, fügte Morejón an, um damit die argentinische Position zu stärken. Ecuador jedenfalls gehe von der Zugehörigkeit der Inseln zu Argentinien aus.

Die USA halten sich in dem Streit bislang öffentlich zurück. Bei seinem jüngsten Antrittsbesuch bekräftigte Außenminister John Kerry die bekannte Position Washingtons. Man erkenne die Defacto- Regierung von Gouverneur Nigel Haywood an, werde sich im Territorialstreit aber neutral verhalten.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 09. März 2013


Hintergründe des Konflikts

Sie spielen längst keine Rolle mehr: die Yámana, die indigenen Ureinwohner der Falklandinseln, die in Argentinien nur als die Malvinas bekannt sind. Zwar siedelten sie zur Zeiten der »Entdeckung« (Eroberung) der Falklands nicht mehr auf den Inseln, aber ihr Schicksal zeigt, dass weder Britannien noch Argentinien sich eines pfleglichen Umgangs mit Indigenen rühmen können. Die Yámana, die bis Anfang des 20. Jahrhunderts auf Feuerland siedelten, sind ebenso wie die anderen Ureinwohner Feuerlands im Zuge der Besiedelung durch weiße Siedler bereits Anfangs des 20. Jahrhunderts fast vollständig ausgerottet worden – wie so viele Ureinwohner vor allem auf Inseln, die den von den Eroberern eingeschleppten Krankheiten keinen Immunschutz entgegen setzen konnten, wenn sie nicht ohnehin zuvor hingemetzelt wurden.

Der Streit zwischen Großbritannien und Argentinien hält seit 1833 an, als Großbritannien die Falklandinseln in Besitz nahm und die argentinische Armee vertrieb, die die Kontrolle über die Malvinas im Zuge der endgültigen Unabhängigkeit von Spanien 1816 übernommen hatte.

Die Regierung in Buenos Aires beruft sich darauf, dass der portugiesische Seefahrer Ferdinand Magellan 1520 die Inseln entdeckte, als er im Auftrag Spaniens unterwegs war. Nun sah zwar Magellan die Malvinas, legte aber nicht an. Die Briten wiederum nehmen für sich in Anspruch, 1690 die Inselgruppe als Erste betreten zu haben.

Der traurige und blutige Höhepunkt der Auseinandersetzungen war der von Argentiniens Militärdiktatur vom Zaun gebrochene Krieg 1982, dem rund 900 Menschen, meist Argentinier, zum Opfer fielen. Diplomatisch kocht der Streit in den letzten Jahren wieder verstärkt hoch. Das hat einen handfesten Grund: Ölfunde vor der Küste des Archipels. ML




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