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Gold aus Silberland

Bergbauboom in Argentinien. Regierung reagiert auf wachsende Kritik mit verschärften Umweltkontrollen und Gründung staatlicher Minengesellschaften

Von Fernando Krakowiak, Buenos Aires *

Der Bergbau hat sich in den letzten Jahren zu einem der dynamischsten Wirtschaftssektoren Argentiniens entwickelt. Zwischen 2003 und 2010 ist die Zahl der betriebenen Minen von 18 auf 572 gestiegen. Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt aktuell bei fünf Prozent, die Branche ist eine der wichtigsten Devisenquellen des Landes. Zwischen 2003 und 2010 wuchs das Exportvolumen des Sektors von 3300 auf umgerechnet 13822 Millionen US-Dollar.

Die Kehrseite dieses Booms sind die beispiellosen ökologischen Schäden in den Bergbaugebieten im Westen des Landes. Während Umweltschützer ein Verbot fordern, plädieren Gewerkschaften und linke Parteien für schärfere Kontrollen der Unternehmen und eine höhere Beteiligung des Staates an den Gewinnen. Um den Kritikern entgegenzutreten, hatten die betreffenden Provinzen im Februar die »Bundesorganisation der Bergbaustaaten« (Ofemi) ins Leben gerufen. Am Dienstag wurden die dort angedachten Leitlinien zur Verbesserung der staatlichen Kontrolle erstmals öffentlich präsentiert.

Die Branche ist relativ neu in Argentinien, obwohl der Name des Landes von »Argentum« (Silber) hergeleitet wurde. 1993 erließ das Parlament ein Gesetz, um entsprechende Investitionen zu fördern. Im selben Jahr einigte sich die Nationalregierung mit den Provinzen auf einheitliche Besteuerung, was den Unternehmen bis dahin nicht gekannte Abgabenerleichterungen brachte. Die starke Abwertung des Pesos 2002 in Folge der Krise sowie der Anstieg der internationalen Metallpreise machten das Land endgültig zu einem der beliebtesten Ziele für Bergbaumultis aus aller Welt. Zwischen 2003 und 2010 stiegen die Investitionen in dem Sektor von 660 Millionen US-Dollar auf 10,85 Milliarden. Wurde eine Feinunze Gold 2003 noch mit rund 400 US-Dollar gehandelt, kostet sie aktuell mit etwa 1690 US-Dollar mehr als das Vierfache.

Heute sind in Argentinien alle bedeutenden Minenkonzerne vertreten, darunter Barrick Gold, Yamana Gold und Pan American Silver aus Kanada, der in der Schweiz ansässige Multi Xstrata Copper und die südafrikanische AngloGold Ashanti. Das Potential des auszubeutenden Gebiets ist immens: Schätzungen zufolge eignet sich eine Fläche von rund 750000 Quadratkilometern für den Bergbau, auf 75 Prozent davon wird bisher nicht geschürft. Laut der US-Kartographiebehörde United States Geological Survey verfügt Argentinien weltweit über die drittgrößten Lithium-, die viertgrößten Kupfer-, die siebtgrößten Silber- und die neuntgrößten Goldreserven.

Die Auswirkungen dieser gigantischen Expansion der Erzförderung in den zurückliegenden Jahre haben auch die Protestbewegung auf den Plan gerufen. Umweltschützer kritisieren die Sprengung ganzer Berge, den exzessiven Wasserverbrauch und den Einsatz von giftigen Chemikalien wie Cyaniden, um die Metalle aus dem Berggestein herauszuwaschen. Inzwischen ist das Trinkwasser vieler an die Minen grenzender Dörfer vergiftet.

Die Regierung von Staatspräsidentin Cristina Fernández de Kirchner reagiert auf solche Kritiken im allgemeinen mit dem Verweis auf geltende Auflagen. So müsse beispielsweise für jedes anstehende Projekt eine Studie über die Umweltauswirkungen angefertigt werden.

Für die Anwohner der Abbaugebiete sind derartige Bekundungen wenig glaubhaft. Denn die mehr oder weniger korrupten und stark unter dem Einfluß der Minenlobby stehenden Provinzregierungen sind für die Kontrolle der Einhaltung der Standards zuständig.

Doch nicht nur die mangelnden Umweltstandards stoßen auf Kritik. Gewerkschaften und soziale Bewegungen weisen auch auf die ihrer Meinung nach zu geringe Besteuerung der Ausbeutung der nicht erneuerbaren und für das Land strategischen Ressourcen hin. Das Investitionsgesetz von 1993 schreibt den Provinzen vor, nicht mehr als drei Prozent des gesamten Unternehmensumsatzes für die Vergabe von Lizenzen zu kassieren. Die Einnahmen des Nationalstaates aus Exportsteuern sind auf fünf bis bis zehn Prozent begrenzt, je nach dem Wert des ausgeführten Edelmetalls. Zudem weisen Kritiker darauf hin, daß der wirkliche Gewinn ohnehin erst außerhalb des Landes realisiert wird, wenn die Rohstoffe veredelt werden.

Mit der Gründung der Ofemi werde, so die Regierung, diese Kritiken reagiert. Es ist unter anderem vorgesehen, daß die Provinzen mit eigenen Bergbaugesellschaften in den Markt einsteigen und die Umweltkontrollen verschärfen. Weiterführende Beschränkungen ausländischer Unternehmen oder gar ein Verbot des Bergbaus sind allerdings nicht geplant. »Alle menschlichen Aktivitäten haben Einfluß auf die Umwelt, es geht darum, diesen Einfluß zu regulieren«, stellte Eduardo Fellner, Gouverneur von Jujuy und Präsident von Ofemi, kürzlich klar. Durch die Gründung eigener Unternehmen wollen die Provinzen sogar an den enormen Gewinnen im Bergbausektor partizipieren. In einigen Geschäftsbereichen existieren bereits öffentliche Betriebe. Im Bergwerk Bajo la Alumbrera in der Provinz Catamarca arbeiten private Firmen gemeinsam mit dem Unternehmen Yacimientos Mineros Augas de Dionisio. Das gehört zu 60 Prozent der Provinz und zu 40 Prozent der Universität von Tucumán. Ob derartige Projekte dazu beitragen, die Unternehmergewinne umzuverteilen und die Umweltschäden zu reduzieren, kann sich erst auf lange Sicht zeigen.

[Übersetzung: Johannes Schulten]

* Aus: junge Welt, 29. März 2012


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