Ein Mercedes wiegt mehr
Das Schicksal der Elisabeth Käsemann in Agentiniens Diktatur und Bonner Ignoranz
Von Florian Schmid *
Während der argentinischen Militärdiktatur von 1976 bis 1983 wurden mehr als 30 000 Menschen entführt und ermordet. Seit 2005 die Amnestiegesetze aufgehoben wurden, findet endlich eine juristische Aufarbeitung statt. Am 14. Juli ergehen die Urteile zum Lager »Vesubio«, in dem auch Elisabeth Käsemann, das bekannteste deutsche Opfer, ermordet wurde. Bei der Verhandlung tritt die BRD als Nebenkläger auf. Dabei hatten Auswärtiges Amt und sozialliberale Bundesregierung vor gut 40 Jahren weder im Fall Käsemann noch bei einem anderen der 100 »verschwundenen« deutschen Staatsbürger ernsthaft interveniert. »Dass du zwei Tage schweigst unter der Folter!« heißt ein im Laika-Verlag erschienenes Media-Buch, das anhand von Texten und Filmen argentinische Zeitgeschichte auffächert, die Schicksale ermordeter deutscher Linker aufhellt und die Bemühungen ihrer Angehörigen, die Bundesregierung um Hilfe zu ersuchen, würdigt.
Elisabeth Käsemann ging 1969 als 22-Jährige nach Buenos Aires, wo sie studierte und in Armenvierteln Sozialarbeit leistete. Als das Militär putscht, gehörte sie zu einer politischen Gruppe, die mit gefälschten Pässen Menschen außer Landes brachte und vor dem Zugriff der Militärs rettete. Am 8. März wurde sie verhaftet, am 24. Mai ermordet – angeblich während eines Feuergefechtes. Eine Obduktion ergab: Sie starb an einem Genickschuss. Ihre damalige Freundin, Diana Houston, die mit ihr zusammen festgenommen wurde, erzählt in einer Dokumentation von Elisabeths Schreien im Gefängnis. Diana Houston wurde freigelassen. Im Gegensatz zur BRD intervenierten England, Frankreich und die USA, um ihre Bürger zu befreien. Die USA verhängten wegen Menschenrechtsverletzungen zudem ein Waffenembargo.
Von solchen Aktivitäten war die westdeutsche Politik weit entfernt. Im Gegenteil: Durch das US-Embargo vergrößerte sich der Umfang westdeutscher Rüstungsexporte. Vor der Diktatur war das Klima für deutsche Unternehmen durch die Konfrontation zwischen linken Guerillas und der Regierung ungünstig, 1975 wurde sogar ein Mercedes-Manager entführt. Während der Diktatur liefen die Geschäfte der deutschen Konzerne bestens. Die investitionsfreundliche Politik der Junta gründete auch auf dem Verbot der Gewerkschaften. Bei Mercedes-Benz Buenos Aires sollen 16 Personen aus Gewerkschaftskreisen verschwunden sein, Indizien weisen auf eine Zusammenarbeit der Firma mit den Militärs hin. Für die Diktatur lieferte der Exportweltmeister BRD zwei Atomkraftwerke, sechs U-Boote, zehn Fregatten, über 500 Panzer und Tausende von Unimogs, die Polizei und Armee für ihr System von Entführung, Folter und Mord nutzten. Die Lippenbekenntnisse deutscher Politik, alles Menschenmögliche für die Entführten zu tun, ohne leider etwas ausrichten zu können, wirkten bizarr angesichts der wirtschaftlichen Verflechtungen.
1978 nutzte die Junta die Fußball-WM als Propagandashow. »Verweigert Argentiniens Generälen den Handschlag.«, forderte Nationalspieler Paul Breitner. Mit dieser Haltung stand er ziemlich allein, während François Mitterrand einen WM-Boykott erwog und die holländische Königin im Vorfeld des Turniers eine Abordnung von Müttern entführter Argentinier empfing. Hildegard Hamm-Brücher, Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, setzte derweil auf »stille Diplomatie«. Die mangelnde Hilfsbereitschaft für die Entführten und Verschleppten durch die Bonner Regierung mochte dem politischen Klima des »deutschen Herbstes« und der Konfrontation mit der RAF geschuldet gewesen sein. In einer Bundestagsdebatte im Oktober 1977 sagte Hildegard Hamm-Brücher: »Wir überprüfen gerade, ob ein neuerliches Schreiben des Bundesaußenministers erforderlich ist.« Den Angehörigen musste dies wie blanker Zynismus erschienen sein. Dementsprechend resümierte der Vater von Elisabeth Käsemanns nach der Ermordung seiner Tochter: »Humanität wie Demokratie werden hier bürokratisch verwaltet, und ein verkaufter Mercedes wiegt zweifellos mehr als ein Leben.«
Frieder Wagner/Osvaldo Bayer: »Dass du zwei Tage schweigst unter der Folter!« Elisabeth Käsemann – Ein deutsches Schicksal. Mit DVD. Laika-Verlag, Hamburg 2010. 192 S., geb., 24,90 €.
* Aus: Neues Deutschland, 7. Juli 2011
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