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Test für das Projekt "Kirchner"

Buenos Aires: Weichenstellung für Präsidentschaftswahlen in Argentinien

Von Timo Berger *

Am Sonntag werden in Buenos Aires der Chef der Stadtregierung und die Hälfte der Abgeordneten des Stadtparlaments neu gewählt. Zwar ticken die Porteños, wie die Einwohner der Hauptstadt genannt werden, bei Wahlen meist anders als die Argentinier im Rest des Landes. Dennoch gilt die Abstimmung diesmal als Gradmesser für die Zukunft des politischen Projekts vom amtierenden Präsidenten Néstor Kirchner (Peronist).

Das hat zum einen damit zu tun, daß sich Kirchner veranlaßt sah, sich selbst massiv in den Wahlkampf einzumischen. Gegen das amtierenden Stadtoberhaupt Jorge Telerman der Drei-Millionen-Metropole, der für eine zweite Amtsperiode antritt und dem Präsidenten in der Vergangenheit politisch nahestand, brachte Kirchner einen Getreuen aus seinem Kabinett, den Erziehungsminister Daniel F. Filmus, in Stellung. Bei zahlreichen offiziellen Auftritten in der Wahlkampfzeit zeigte sich Kirchner demonstrativ neben dem ehemaligen Universitätsdozenten. Ein Einsatz, der sich letzten Umfragen zufolge gelohnt hat: Kirchners Kandidat holte laut der Tageszeitung Clarín (Donnerstagausgabe) auf und lag drei Tage vor der Wahl mit Umfragewerten zwischen 15 und 24 Prozent dicht hinter Telerman, für den zwischen 22 und 25 Prozent der Befragten stimmen wollen. Allerdings erklärten acht bis 13 Prozent, sie seien noch unentschlossen.

Vor allen anderen sehen die Meinungsforscher Mauricio Macri mit Werten zwischen 30 und 36 Prozent. Damit hat der Unternehmer und ehemalige Manager des Fußballvereins Boca Juniors einen komfortablen Vorsprung für den Einzug in die Stichwahlrunde. Diese würde für den – nun wahrscheinlichen – Fall, daß keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erringt, für den 24. Juni anberaumt. Macri war 2003 in der zweiten Runde dem damaligen Stadtregierungschef Aníbal Ibarra unterlegen.

Vier Jahre später ist die Rechte in Argentinien so gut aufgestellt wie lange nicht mehr. Ihre Themen beherrschen den Wahlkampf: Kriminalität, Sicherheit, mangelnde Sauberkeit und Hygiene, der bedauerliche Zustand der Straßen. Inmitten des wirtschaftlichen Aufschwungs, der in der Hauptstadt im ersten Trimester 2007 mit elf Prozent stärker als in den Provinzen ausgefallen ist, spielen Wirtschaftsthemen paradoxerweise wieder eine nachgeordnete Rolle. In ihrer Kampagne wußte die Rechte vermeintliche Sorgen und Nöte der Einwohner von Buenos Aires für sich zu instrumentalisieren. Macri hat es außerdem geschafft, die zersplitterten rechten Kräfte hinter seiner Person zu vereinen. Mit dem ehemaligen Wirtschaftsminister Ricardo López Murphy gründete er 2005 das rechte Bündnis PRO (Propuesta Republicana), mit dem beide im Oktober auch zu den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen antreten wollen.

Ob Macri sich allerdings in der Stichwahl gegen Telerman oder Filmus durchsetzen kann, ist noch ungewiß. Beobachter sehen ihn wesentlich stärker aufgestellt als noch 2003. Er wird inzwischen landesweit als einer der wichtigsten Oppositionspolitiker wahrgenommen. Den Ausschlag könnte letztlich geben, ob Kirchners Kandidat Filmus in die zweite Runde kommt –dann könnte Macri nämlich auf die Stimmen der Mittelschicht hoffen, die in Buenos Aires traditionell gegen peronistische Kandidaten votiert.

Konsequenterweise ging Jorge Telerman in den vergangenen Wochen auf Distanz zu Kirchner und der peronistischen Bewegung und suchte statt dessen die Nähe der schärfsten Regierungskritikerin Elisa Carrio. Mit Erfolg: Die Mitte-Links-Politikerin der ARI (Afirmación para una República Igualitaria) wirbt seit Wochenbeginn in einem Fernsehspot für die Wahl Telermans. Einmal mehr bestätigt sich so die landesweite Bedeutung der Abstimmung. Denn auch Carrio sucht zur Zeit fieberhaft nach Bündnispartnern. Am 28. Oktober will sie erneut bei den Präsidentschaftswahlen antreten. Ob Kirchner ihr Gegner sein wird, oder ob er statt dessen seine Frau, die Senatorin Cristina Kirchner, ins Rennen schickt, darüber wird derzeit in Argentinien wild spekuliert. Selbst hat er sich bislang nicht offiziell zu einer zweiten Kandidatur geäußert.

* Aus: junge Welt, 1. Juni 2007


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