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Debakel bei Parlamentswahl

Argentiniens Regierungspartei verliert Mehrheit in beiden Kongreßkammern. Kein Mandat für Expräsident Kirchner *

Bei den Kongreßwahlen in Argentinien hat die Partei von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner ein Debakel erlebt. Durch Niederlagen in der Hauptstadt Buenos Aires und in fünf wichtigen Provinzen verlor die Peronistische Partei laut offiziellen Teilergebnissen von Sonntag (28. Juni) die Mehrheit in beiden Kongreßkammern. Selbst Kirchners Ehemann, Peronisten-Chef und Expräsident Nestor Kirchner, bekam keinen Parlamentssitz.

Im Senat verlor die Regierungspartei nach Auszählung von drei Vierteln der Stimmen vier Sitze. Mit nunmehr 36 der 72 Sitze verfehlten die Peronisten damit die absolute Mehrheit um ein Mandat. Auch im Abgeordnetenhaus haben sie den Teilergebnissen zufolge keine Mehrheit mehr. Deutliche Verluste mußte Kirchners Partei in den großen Provinzen Santa Fe, Córdoba, Mendoza sowie in Santa Cruz hinnehmen, wo das Ehepaar Kirchner seine politische Karriere begonnen hatte. Bei der Wahl wurden 129 der 257 Sitze im Abgeordnetenhaus und 24 Senatssitze neu vergeben.

Der frühere Staatschef Nestor Kirchner, der Argentinien erfolgreich durch die schwere Wirtschaftskrise im Jahr 2001 geführt hatte, konnte den Machtverlust der Peronisten nicht aufhalten. Im Rennen um einen Sitz für Buenos Aires im Abgeordnetenhaus verlor er gegen den politisch unerfahrenen Unternehmer Francisco de Narváez. Kirchner räumte seine Niederlage ein, hob aber hervor, daß das Ergebnis knapp ausgefallen sei. »Wir haben mit anderthalb oder zwei Prozentpunkten verloren, und wir haben kein Problem damit, das zuzugeben,« sagte er.

Die Regierungspartei errang im Schnitt etwa 30 Prozent der Stimmen. Sie bleibt allerdings weiter stärkste Kraft, weil die Opposition in viele Parteien zersplittert ist. Einige politische Gegner der Regierungspartei gehörten früher selbst dem Kirchner-Lager an. De Narváez und der Bürgermeister der Hauptstadt Buenos Aires hatten sich insbesondere wegen der Wirtschaftspolitik der Präsidentin von den Peronisten abgewendet. Im Falle eines Wahlsiegs der Regierungspartei seien Privatvermögen und Banken nicht mehr sicher, da die Staatskasse leer sei, warnte De Narváez.

Bürgermeister Mauricio Macri kritisierte die Verstaatlichung von Unternehmen und der Rentenkasse durch Kirchners Regierung.

Die Opposition feierte ihren Wahlerfolg als Wendepunkt. »Wir haben eine neue Seite in Argentiniens Geschichte aufgeschlagen«, sagte De Narváez. Auch Beobachter gingen davon aus, daß Präsidentin Kirchner nach dem Wahldebakel nicht einfach zur Tagesordnung übergehen könne. »Die argentinische Gesellschaft hat der Regierung eine klare Botschaft übermittelt«, sagte der Politologe Rosendo Fraga. »Sie muß ihren Kurs ändern.« Die Politikwissenschaftlerin Doris Capurro sagte, die Staatschefin müsse mehr auf Dialog setzen.

Die Unzufriedenheit in Argenti­nien wächst, da immer noch Millionen Menschen in Armut leben und die Unsicherheit angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise zunimmt. Außerdem hat die Regierung den Drogenkonsum in den Elendsvierteln nicht in den Griff bekommen. Bei den Landwirten machte sich Kirchner unbeliebt, indem sie die Exportsteuer für Sojabohnen drastisch anhob. Die Staatschefin kam zuletzt auf eine Zustimmungsrate von nur noch rund 30 Prozent. (AFP/jW)

* Aus: junge Welt, 30. Juni 2009


Klatsche für die Kirchners

Von Martin Ling **

Knapp ist anders. Wenn Argentiniens Ex-Präsident Néstor Kirchner seine Aussage »Wir haben knapp verloren« ernst meint, liegt er mit seiner Wahlanalyse daneben. Noch 2007 schwamm er auf einer so hohen Popularitätswelle, dass er sein Amt problemlos seiner Frau Cristina antragen konnte und sie dafür das Plazet der Wähler erhielt. Gemunkelt wurde schon damals, dass sich Néstor damit den Weg für eine offizielle Rückkehr an die Staatsspitze bei den nächsten Wahlen 2011 frei machen wollte, denn mehr als zwei Amtszeiten hintereinander erlaubt die Verfassung nicht. Dieses Kalkül ist durch die Niederlage der Kirchner-Fraktion bei den Teilwahlen zum Kongress gewaltig in Gefahr geraten:

Die Wirtschaftskrise, die Argentinien inklusive einer nicht vom Finanzmarkt verursachten Jahrhundertdürre seit der zweiten Jahreshälfte heimsucht, ist sicher ein triftiger Grund für das Bröckeln der Zustimmung zu den Kirchners. Aber sicher nicht der einzige. Das Umverteilungsprojekt -- ohne die gesellschaftlichen Strukturen grundsätzlich in Frage zu stellen -- war schon vorher ins Stocken gekommen: Im Frühjahr 2008, beim sinnvollen, aber miserabel kommunizierten Versuch, die Exportsteuer für Soja progressiv anzuheben. Nur wenn die Kirchners aus ihren Fehlern lernen, haben sie noch eine politische Zukunft.

** Aus: Neues Deutschland, 30. Juni 2009 (Kommentar)


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