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Die Thermalquellen der Widerspenstigen

In San Juan, Argentinien, leitet ein ungewöhnliches Team das Hotel "Cacique Pismanta"

Von Antje Krüger, San Juan *

San Juan gehört zu den ärmeren Provinzen Argentiniens. Die schwere Wirtschaftskrise mit ihrem Höhepunkt zur Jahreswende 2001/2002 traf auch das Vorzeigehotel »Cacique Pismanta«. Seit die Angestellten in der Not das Hotel in Form einer Kooperative in Eigenregie übernommen haben, geht es wieder aufwärts.

Sieben Uhr in der Früh. Kein Urlauber steht um diese Zeit auf. Der letzte Grauschimmer weicht der Morgendämmerung, die Luft ist kühl. Das Schwimmbecken wenige Meter vom Hotel entfernt liegt ruhig und dampft leicht. Morgendliche Schwimmzüge im wohlig warmen Wasser, 29 Grad Celsius. Langsam taucht die Sonne die nahen Anden in rosa Licht. Liegen sie vollends ohne Schatten da, dann wird auch das Becken bevölkert sein. Familien, Paare, Einheimische der Mittelschicht, Angereiste aus Buenos Aires. Das Hotel »Cacique Pismanta« kann über Besuchermangel nicht klagen. Nicht mehr. Vor sechs Jahren sah dies anders aus. Da schlossen sich fast die Türen dieser Oase mitten in der Wüste von San Juan, 1300 km nordwestlich von Buenos Aires. Das Hotel »Pismanta« war heruntergewirtschaftet, die Rechnung mit reichen Gästen nicht aufgegangen, die Angestellten waren seit mehr als fünf Monaten ohne Lohn und die Besitzer auf dem Rückzug. Doch dann kam alles anders. Die Verlierer der Fehlkalkulation nahmen das Hotel selbst in die Hand. Dreißig Angestellte gründeten im Jahr 2002 eine Kooperative und machten weiter, als die Inhaberfirma Nogaró aufgab. Geblieben wäre sonst nur die Arbeitslosigkeit und kaum Perspektiven.

Brot aus der hauseigenen Bäckerei

In San Juan liegen die Dörfer viele Kilometer auseinander. Dazwischen Staub, Geröll, Grassteppe. Die Provinz, die nur mit Mühe der trockenen Erde fruchtbare Täler abgewann, gehört zu den ärmeren Gebieten Argentiniens. »Als ich im Jahr 2002 hier das erste Mal in den Urlaub kam, brachten die Angestellten Essen von zu Hause mit, um den Gästen überhaupt etwas anbieten zu können. Nur wenige Zimmer waren bewohnbar und vieles kaputt. Nur das warme Wasser sprudelte. Das war der einzige Reichtum und die einzige Chance, die das Hotel hatte. Es ist unglaublich, was hier in den letzten Jahren mit bloßen Händen aufgebaut wurde«, erzählt María Casañas. Die Professorin aus Buenos Aires ist Stammgast in »Pismanta«. Sie verbringt jeden Sommer hier und wählt das Hotel immer wieder – weil es etwas anderes ist, weil man den Elan und den Glauben der Kooperative an sich selbst spürt, weil hier neue Arbeitsstrukturen gewagt werden. »Und aus Solidarität«, wie sie sagt.

Die Einrichtung ist heute gepflegt. Hingabe und der unbedingte Wille, weiter zu kommen, sprechen eher aus der Zimmergestaltung als selbstverständliche Professionalität. Eine Kur für jedermann will das Hotel bieten. Eine Kur für Leute aus den gleichen gesellschaftlichen Schichten, aus denen auch die Mitglieder der Kooperative stammen. Becken mit bis zu 45 Grad warmem Thermalwasser aus den Anden stehen dafür zur Verfügung, eine vor kurzem errichtete Sauna, der ganze Stolz der Kooperative, Fangotherapie, ein reichhaltiges Büffet des Mittags und des Abends. Das Brot dafür kommt aus der hauseigenen Bäckerei, die auch erst durch die Kooperative entstand, und die nahe Schule Cacique Pismanta mitversorgt.

Mit diesem Konzept knüpft die Kooperative an die ursprüngliche Idee an, mit der »Pismanta« 1950 als Zweisternehotel erbaut wurde. Es war Teil eines sozialen Tourismusprojekts, mit dem Präsident Juan Domingo Perón auch ärmeren Schichten Urlaub ermöglichen wollte. 1982 erlebte das mittlerweile privat verwaltete Hotel seinen Höhepunkt und eröffnete sogar ein Kasino. Das Klavier steht noch, die einst glänzende Bar selbst ist heute der schlichte Frühstücksraum. Ab 1990 jedoch fing das Hotel an zu verfallen. Die scheinbar glanzvollen 90er Jahre in Argentinien, als der Peso fest an den Dollar gekoppelt war, ließen Miami und Brasilien zu billigen Reisezielen werden. Als die Arbeiter »Pismanta« 2002 übernahmen, hatten sich nicht nur die Lohnschulden gehäuft. »Wir haben die Strom-, Wasser- und Telefonschulden der Vorbesitzer abbezahlt. Wir haben die Preise von 150 Peso auf 75 Peso (ca. 16 Euro) gesenkt und uns damit für die Mittelschicht aus San Juan geöffnet. Wir haben die 34 Zimmer renoviert, eine Klimaanlage und neue Heizungen eingebaut, einen Minibus für die Touristen gekauft, einen eigenen Gemüsegarten angelegt ... Da wäre noch viel mehr zu nennen. Fakt ist, wir durften die Verwaltung des Hotels übernehmen, weil wir auf unsere unbezahlten Löhne, den ausstehenden Urlaub und die jahrelang verschlampten Rentenbeiträge verzichtet haben. Dafür aber haben wir unsere Arbeit behalten und bestimmen sie nun sogar selbst«, berichtet Hilda Díaz aus der Kooperative stolz.

Betriebsbesetzungen haben Konjunktur

Die Idee, Betriebe zu übernehmen, ist nicht neu in Argentinien. Sie wurde in der Krise des neuen Jahrtausends geboren, die auf die scheinheiligen 90er Jahre folgte, in denen Argentinien glaubte, in der sogenannten Ersten Welt angekommen zu sein. Damals, als im Dezember 2001 das Land wirtschaftlich und sozial völlig in sich zusammenbrach, entstanden aus der Verzweiflung Ideen, die sich inzwischen als funktionierende alternative Wirtschaftsformen bewährt haben. So besetzten Arbeiter in ganz Argentinien bankrotte Betriebe, die von den Besitzern verlassen wurden. Über 150 Betriebe jeglicher Produktionsrichtung, darunter drei Hotels, wurden von ehemaligen Angestellten wieder aufgebaut. Zumeist verzichteten sie auf Hierarchien – alle entscheiden in gemeinsamen Sitzungen, alle erhalten den gleichen Lohn und Anteil am Gewinn.

Nicht immer gingen solche Übernahmen problemlos vonstatten. Als sich ein Aufschwung im Land abzeichnete, wurden alte Besitzforderungen wieder gestellt. Einige Betriebe, darunter das von Frauen geleitete Textilwerk Brukman, machten mit monatelangen Auseinandersetzungen derart Schlagzeilen, dass sie sogar bis nach Europa drangen. Experten, Studenten, Interessierte reisten nach Argentinien, diese neue Arbeitsform zu studieren. Und obwohl auch von der argentinischen Gesellschaft gutgeheißen und unterstützt, gibt es bis heute keine Gesetzgebung, die die rechtliche Situation der übernommenen Betriebe klärt. Jeder einzelne Fall muss individuell verhandelt werden, eine Richtschnur fehlt.

Auch über dem Hotel »Pismanta« hängt beständig das Damoklesschwert. Die Entscheidung liegt bei der Provinzregierung von San Juan, die den Mitarbeitern jederzeit die Duldung entziehen kann. Denn »Pismanta« blieb seit seiner Errichtung trotz diverser privater Verwaltungen immer in staatlicher Hand. Und die ist in San Juan zwar demokratisch gewählt, doch als äußerst autoritär bekannt und gefürchtet. Gerade Projekte wie das Hotel machen offensichtlich, wie Druck als Machtmittel angewendet wird.

Nicht alle Gäste sind willkommen

»Jetzt kommen hier schon wieder diese Gerüchte um Luxussanierung auf! Es gibt genügend Thermalquellen, wo Hotels eröffnet werden können. Warum lässt man die Leute hier nicht einfach arbeiten«, regt sich María Casañas auf. »So frei in den Entscheidungen, wie die Kooperative gerne wäre, sind wir nicht. Die Provinzregierung lässt uns das klar spüren. Die Auflagen, die dem Hotel dienen, erfüllen wir ja gerne. Aber wir müssen hier auch Gäste dulden, die wir nicht haben wollen«, erklärt die Physiotherapeutin Leticia Luna und deutet verstohlen zu einigen Männern, die ganz offensichtlich nicht zum Publikum von »Pismanta« gehören. »Das sind Ingenieure aus einer Goldmine in den Bergen. Niemand will die hier, weil sie mit ihrer Arbeit das Land zerstören. Sie sprengen ganze Berge weg und gefährden damit das einzige, was uns ausmacht – unser Thermalwasser und überhaupt das Wasser, das San Juan Leben gibt. Die Mine ist ein Deal zwischen der Regierung und dem Bergbauunternehmen. Aber wir müssen die Ingenieure beherbergen, sonst fliegen wir aus dem Hotel. Offiziell wird das dann als gute Zusammenarbeit dargestellt. So funktioniert das hier«, sagt Leticia.

Trotz allem, die Kooperative wie die Gäste können sich über den Erfolg des Unternehmens freuen. Alle Zimmer sind ausgebucht, im Speisesaal sind die Tische reich gedeckt. Aus dem warmen Pool steigen die letzten Nachzügler, während die Essensglocke zum Abendessen ruft. Routiniert und mit Hingabe bedienen die Mitarbeiter, die heute ihre eigenen Chefs sind, ihre eigenen Gäste. Und das hätte vor sechs Jahren noch niemand gedacht.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Juni 2008


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