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Verlorene Opposition

Vor den Präsidentschaftswahlen im Oktober sitzt die argentinische Regierung fest im Sattel

Von Johannes Schulten *

Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner hat derzeit gut lachen. Auch wenn sie sich noch nicht offiziell zu einer Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober durchgerungen hat, allen Umfragen zufolge würde sie jeden denkbaren Oppositionskandidaten mit einem Abstand von knapp 20 Prozentpunkten düpieren. Politisch befindet sich die Regierungspartei Frente para la Victoria (Front für den Sieg/FPV) ohnehin im Daueraufwind. Drei der letzten vier Provinzwahlen wurden von ihren oder ihr nahestehenden Kandidaten gewonnen. Zuletzt siegte der FPV-Kandidat Luis Beder Ende Mai mit historischen 50 Prozent in der Provinz La Rioja im Nordwesten des Landes.

Die Opposition ist währenddessen vor allem mit internen Streitigkeiten beschäftigt. Ein noch im letzten Jahr medienwirksam angekündigtes Bündnis zwischen den sogenannten Bundes­peronisten, der regierungskritischen Fraktion innerhalb der Peronistischen Partei, und der neoliberalem PRO um den Bürgermeister von Buenos Aires, Mauricio Macri, ist mehr an den Profilneurosen ihrer Provinzfürsten als an politischen Differenzen gescheitert. Nun geht man getrennte Wege.

Und auch an mehrheitsfähigen politischen Argumenten herrscht offensichtlich Mangel. Das Gezeter über »ausufernde Staatsausgaben«, Inflation und Kriminalität stoßen zwar bei Teilen der Mittel- und Oberschicht auf offene Ohren. Wahlen lassen sich damit jedoch in Zeiten von Wachstumsraten von knapp neun Prozent nicht gewinnen.

Den letzten Höhepunkt der oppositionellen Selbstzerfleischung markierte der Vorsitzende der radikalen Bürgerunion (UCR) Ricardo Alfonsín. Der populäre Sohn des im März 2009 verstorbenen ersten Nachdiktaturpräsidenten Raúl Alfonsín (1983 bis 1989) hatte im März überraschend den Vorsitz der traditionsreichen, aber momentan leicht kränkelnden UCR gewonnen. Durch die Ankündigung, weder Bündnisse mit den rechten Bundesperonisten noch mit dem Macris PRO einzugehen, hatte er Hoffnungen bei großen Teilen der Parteibasis entfacht, wieder zu den sozialdemokratischen Wurzeln der UCR zurückzukehren.

Damit ist es seit Beginn der Woche vorbei. Frei nach Konrad Adenauers Diktum »Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern« soll es nun doch eine Allianz mit der PRO bei den Präsidentschaftswahlen geben, wie Alfonsín am Montag gemeinsam mit PRO-Vertretern bekanntgab. Allein die Frage, wer von beiden Parteien den Kandidaten stellt, sei noch nicht geklärt.

Bei dem linksliberalen Flügel der Opposition sieht es nicht anders aus. Die von der UCR abgewiesene Sozialistische Partei will sich mit dem vom bekannten Filmregisseur Fernando »Pino« Solanas geführten Linksbündnis Proyecto Sur (Projekt des Südens) zusammentun. Auch hier besteht das verbindende Element eher in der Ablehnung der Regierung Kirchner als in politischen Gemeinsamkeiten. Gerade Solanas’ Kritik an dem vor allem stark auf Rohstoffexport basierenden Wachstumsmodell spielt bei den Sozialisten praktisch keine Rolle.

Die Regierung Kirchner konzentriert sich währenddessen auf einen Ausbau ihrer Verteilungspolitik. Die Grundlagen dafür waren selten besser. Mit 9,5 Prozent verzeichnete das Land im vergangenen Jahr das dritthöchste Wirtschaftswachstum weltweit. Und dank des immer noch anhaltenden Exportbooms wird in diesem Jahr mit einem neuen Rekord gerechnet. Laut einem Ende März von der Regierung vorgestellten Umverteilungsbericht war die Spaltung zwischen Arm und Reich seit 1974 nicht mehr so gering wie heute.

* Aus: junge Welt, 10. Juni 2011


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