Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Zahltag am Rio de la Plata

Neue Strategie: Argentinien will IWF-Schulden tilgen und Einfluß des Fonds reduzieren

Von Marcela Valente/IPS

In Argentinien zeichnet sich ein Wandel im bislang deutlich unterkühlten Verhältnis der Regierung von Staatspräsident Néstor Kirchner zum Internationalen Währungsfonds (IWF) ab. In der Vergangenheit hatte die argentinische Regierung mehrfach gedroht, Rückzahlungen der bislang gewährten IWF-Kredite auszusetzen, um Veränderungen bei den von den Wirtschaftsplanern des Fonds geforderten Sparmaßnahmen durchzusetzen. Nun kündigte Ministerpräsident Alberto Fernandez an, das südamerikanische Land werde seinen Schuldendienstzahlungen wie geplant nachkommen, ohne auf eine Einigung mit dem IWF über künftige wirtschaftliche Eckdaten zu warten.

Im Gegensatz zu ihrer bisherigen Haltung plant die linksliberale Regierung, die nächste fällige Rate erstmals aus den Devisenreserven des Landes zu begleichen, die nach einem Tiefststand von nur neun Milliarden US-Dollar zur Zeit der Amtsübernahme Kirchners wieder auf über 18 Milliarden Dollar angestiegen sind. Bislang hatte sich die Regierung strikt geweigert, für den Schuldendienst auf Devisenreserven zurückzugreifen und sich den Unwillen des Währungsfonds zugezogen.

Unter Beobachtern stößt die Entscheidung auf gemischte Reaktionen. Während einige Finanzexperten der Regierung vorwerfen, sich zunehmend auf die Linie des IWF einzulassen, sehen andere die anstandslose Zahlung als einen möglichen Weg zu größerer Unabhängigkeit vom Diktat der IWF-Banker. Der Schritt zu zahlen, ohne auf die Zustimmung des IWF für den künftigen Wirtschaftskurs zu warten, sei allein schon aus dem Grund interessant, weil er der Regierung erlaube, sich gleichzeitig von den bislang getroffenen Vereinbarungen mit dem Finanzinstitut zu distanzieren, erläutert Alejandro Vanoli, Professor für internationale Wirtschaft an der Universität von Buenos Aires.

Der Parlamentsabgeordnete Claudio Lozano kritisiert derweil, wenn die Kirchner-Regierung entschlossen sei, sich den Konditionen des Fonds zu widersetzen, müsse dies deutlicher herausgestellt werden. Bislang sei von einer ablehnenden Haltung wenig zu spüren, so der Wirtschaftsberater des argentinischen Gewerkschaftsverbands CTA.

Hintergrund der veränderten Strategie sind nach Ansicht von Experten vor allen Dingen die bevorstehenden Verhandlungen mit den Inhabern privater Schuldverschreibungen. Die Regierung werde ihre Verpflichtungen gegenüber dem IWF in Gänze erfüllen, da sie keinerlei Einmischung in die Verhandlungen mit den Privatschuldnern wünsche, erklärte Premier Fernandez Anfang August.

Insgesamt belaufen sich die IWF-Schulden Argentiniens damit auf etwa 15 Milliarden Dollar. Die gesamten Auslandsverbindlichkeiten des einst wohlhabenden südamerikanischen Landes liegen heute bei 145 Milliarden US-Dollar. Die auf dem Inlandsmarkt herausgegebenen Dollarschuldverschreibungen eingerechnet, steigt die Schuldenlast auf insgesamt 180 Milliarden Dollar. Mehr als 100 Milliarden davon sind Schulden bei Privatanlegern, die seit 2001 keinerlei Geld aus ihren Schuldverschreibungen erhalten haben. Die Regierung hatte den Inhabern der Schuldverschreibungen zwischenzeitlich angeboten, die Verbindlichkeiten zu einem Viertel ihres Nominalwertes einzulösen. Der IWF bemüht sich, die Regierung unter Druck zu setzen, um das bestehende Angebot an die Privatanleger nachzubessern.

Angesichts der bevorstehenden Verhandlungen über eine Umstrukturierung der argentinischen Auslandsschulden im September sei es das Beste, sich durch eine Art Übergangsperiode zu manövrieren, erläutert der Wirtschaftswissenschaftler Eduardo Curia, der als Berater für das Wirtschaftsministerium tätig ist, in einem Gespräch mit IPS. Argentinien befinde sich gegenwärtig in einer schwierigen Situation. Es sei ein schlechter Moment, um die Beziehungen zum IWF zu belasten, auch wenn die Regierung ihre ursprünglichen Bedingungen für eine Fortsetzung des Schuldendienstes nicht habe durchsetzen können.

Die neue Strategie der Regierung gehe nicht so weit, die Zusammenarbeit mit dem IWF vollständig einzustellen, gebe Kirchner aber auf jeden Fall erweiterten Spielraum, so Prof. Vanoli. Die Regierung warf dem IWF Anfang August schwere Fehler bei der Einschätzung der Situation vor, die Ende 2001 zum wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch Argentiniens geführt hatte. Kritisiert wurde auch, daß der Fonds meist ungeeignete Lösungsschritte für die argentinische Krise vorgeschlagen hatte. Der IWF mußte einräumen, seinerzeit durch diverse Fehlentscheidungen zu einer Verschärfung der Probleme der argentinischen Volkswirtschaft beigetragen zu haben.

* Der Beitrag erschien in der "jungen Welt" vom m23. August 2004


Zurück zur Seite "Argentinien"

Zurück zur Homepage