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Soziale Unruhen in Argentinien

Tote und Verletzte bei Plünderungen

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

Argentinien erlebte in den vergangenen Tagen eine Welle von Plünderungen. Die Bilanz: Rund 300 Supermärkte und Läden in 40 Orten wurden mehr oder weniger ausgeräumt. In Rosario kamen zwei Menschen unter ungeklärten Umständen zu Tode, es gab zahlreiche Verletzte, über 500 Personen wurden festgenommen.

Die Ereignisse erinnerten an den Dezember 2001, als es landesweit zu Plünderungen kam und der damalige Präsident Fernando de la Rúa am 20. Dezember zurücktreten musste.

»Frohe Weihnachten. Alles gratis zum Mitnehmen«, schrieb ein Beteiligter an die Wand eines Ladens in der Stadt Bariloche. In der patagonischen Stadt hatte die Plünderungswelle ihren Ausgang genommen. Bewohner der Armensiedlung Alto forderten am Donnerstag vor einem Supermarkt die kostenlose Ausgabe von Lebensmitteln. Eigentlich ist es eine seit Jahren vielerorts übliche Aktion, dass Menschen aus Armenvierteln von den großen Supermarktketten eine Gratisverteilung für die Feiertage fordern. In der Vergangenheit war es dabei nur vereinzelt zu kleinen Zwischenfällen gekommen.

Seit Wochen jedoch hatte Bariloches Bürgermeister Omar Goye vor der gespannten Lage im Alto gewarnt, wo über die Hälfte der knapp 200 000 Einwohner seiner Stadt lebt. In ersten Gesprächen mit den großen Ketten wurde über die Bereitstellung von 4000 der sogenannten Weihnachtstüten verhandelt. Schließlich wurden aber nur einige hundert namentlich ausgestellte Lebensmittelgutscheine ausgegeben.

Ob das der Auslöser für die Selbstbedienungsaktion war, ist unklar. Die Nachricht von der ersten Plünderung wirkte jedoch wie ein Startschuss. Kaum war sie über Radio und Fernsehen verbreitet, wurden aus dem ganzen Land Angriffe auf Geschäfte gemeldet. Am schwersten betroffen waren die Stadt Rosario und der Norden des Großraums von Buenos Aires.

Das Fernsehen zeigte stundenlang Bilder von vermummten Jugendlichen, die Bildschirme aus den Supermärkten schleppten, die meist auf freiem Feld stehen. Am ärgsten traf es indessen vor allem von Chinesen betriebene Geschäfte mitten in den Stadtvierteln. Beim »Chino«, wie die mittelgroßen Selbstbedienungsläden landläufig genannt werden, gibt es keine Elektrogeräte. Ein Fakt, der den Kommentaren der politisch Verantwortlichen widerspricht, wonach vor allem organisierte Kriminelle am Werk gewesen seien. Ein Ladeninhaber aus Rosario, der sein Geschäft erfolgreich verteidigte, klagte: »Das tut auch weh, weil ich fast alle kenne, die mich auszurauben versucht haben. Die kommen jeden Tag zum Einkaufen.«

Tausende zusätzliche Polizisten wurden in Marsch gesetzt. Der Schaden wird auf über vier Millionen Euro geschätzt.

* Aus: neues deutschland, Montag, 24. Dezember 2012


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