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Historisches Urteil

Argentinisches Gericht spricht ehemaligen Bürgermeister und "Superbullen" wegen Folter und Mord während der Militärdiktatur schuldig

Von Johannes Schulten *

In Argentinien wurden bisher mehr als 200 Personen für Verbrechen während der letzten Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983 verurteilt. Am Donnerstag (14. April) kamen vier weitere dazu. Das Besondere, bei einem von ihnen handelt es sich nicht nur um einen ehemaligen Folterer, sondern um einen gewählten Parlamentsabgeordneten. Luis Patti, unter den Generälen als Polizist für spezielle Aufgaben im Einsatz, kehrte zu Beginn der 90er Jahre zur Polizei zurück und machte mit dem Image als »Superbulle« Politkarriere. Er war zweimaliger Bürgermeister einer mittelgroßen Stadt, gründete eine eigene Partei und wurde sogar ins Parlament gewählt.

Seit Donnerstag ist diese Karriere unwiderruflich zu Ende. Das Bundesgericht in San Martín nördlich von Bue­nos Aires verurteilte den 59jährigen gemeinsam mit drei weiteren Angeklagten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer lebenslangen Haftstrafe. Patti soll während seiner Zeit als Polizist an der Entführung, der Folter und der Ermordung des Aktivisten der peronistischen Partei, Gastón Goncalvez, und des ehemaligen Abgeordneten Diego Muñiz Barreto aktiv beteiligt gewesen sein. Zudem wurden ihm Mordversuche und Folter in mehreren Fällen nachgewiesen.

Estela Carlotto, Präsidentin der Menschenrechtsorganisation »Großmütter der Plaza de Mayo«, wertete das Urteil gegenüber der argentinischen Presse als »große Erleichterung« und »Stärkung der Demokratie des Landes«. Patti galt jahrelang als Symbol für die Straflosigkeit ehemaliger Diktaturverbrecher. Als Mitglied der Polizei von Buenos Aires war er bei den Militärs für Fabrikinspektionen zuständig. Dabei erstellte er Listen mit vermeintlichen Agitatoren oder anderen politisch Verdächtigen, die an die Geheimpolizei weitergegeben wurden. Viele von denen, die sich auf seinen Listen fanden, verschwanden später in den staatlichen Foltergefängnissen.

Die ersten Jahre der Demokratie von der überlasteten Justiz übersehen, wurde er vom 1989 gewählten Präsidenten Carlos S. Menem rehabilitiert und in den Polizeidienst zurückgeholt. Menem beauftragte ihn höchstpersönlich mit der Aufklärung eines Polizeiskandals im Zusammenhang mit dem Mord an einer 17jährigen, bei der er sich das Image eines zwar harten, aber nicht korrumpierbaren »Superbullen« erwarb. Es folgte der Sprung in die Politik, zuerst in der regierenden peronistischen Partei Menems, später mit eigenem Bündnis. Er brachte es zweimal zum Bürgermeister der Stadt Escobar in der Provinz Buenos Aires, unterstützte zahlreiche konservative Politiker bei Wahlen und wurde 2005 sogar zum Parlamentsabgeordneten gewählt. Das Mandat konnte er jedoch niemals ausüben, da sich das Parlament mehrheitlich gegen seine Berufung aussprach.

Patti selber machte aus seiner Vergangenheit nie einen Hehl, war sogar stolz auf sie: »Sie sollen ruhig sagen, daß ich im Kampf gegen die Subversion dabei war und ein Folterer bin, das leugne ich nicht. Aber niemand soll sagen können, ich sei korrupt und ein Verbrecher«, zitierte ihn am Freitag die Tageszeitung Tiempo Argentino erneut mit seinem aus den 90er Jahren bekannten Ausspruch.

Unter den Verurteilten befand sich auch der letzte Vorsitzende der argentinischen Militärjunta Reynaldo Bignone. Für den 85jährigen Exgeneral ist es bereits die zweite Strafe. Erst im vergangenen Jahr wurde er von einem Bundesgericht zu 25 Jahren Haft verurteilt, die er jedoch bisher als Hausarrest absitzen konnte. Nach dem Richterspruch vom Donnerstag muß er genauso wie Patti und die anderen Verurteilten in ein öffentliches Gefängnis.

* Aus: junge Welt, 16. April 2011


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