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Argentinien: Pleite dank Liberalismus und IWF

Der Weg in den Bankrott

Von Andreas Fanizadeh

Im Folgenden dokumentieren wir - gekürzt - einen Artikel aus der Schweizerischen Wochenzeitung (WoZ) vom 10. Januar 2001.

Was lange erwartet wurde, trat zum Jahreswechsel ein. In ganz Argentinien erhob sich die Bevölkerung, plünderte Geschäfte und lieferte sich Strassenkämpfe mit der Polizei. Diese ging teilweise zögerlich, dann äusserst brutal gegen die Protestierenden vor. Etwa vierzig Tote sind die vorläufige Bilanz der Weihnachtsunruhen, in deren Verlauf die Regierung Fernando de la Rúas demissionierte. Mit Jahresbeginn steht der Peronist Eduardo Duhalde nun an der Spitze einer neuen Regierung. ...

Auf die abschüssige Bahn war Argentinien aber bereits in den siebziger Jahren geraten. 1976 putschten die Generäle und liessen in den sieben Jahren ihrer Diktatur 30 000 Menschen – zumeist BefürworterInnen einer wohlfahrtsstaatlichen Demokratie – verschwinden. Und es waren westliche Privatbanken, die in dieser Zeit zusammen mit den Gewaltherrschern an Argentiniens heutigem Milliarden Dollar tiefen Grab schaufelten. Die Diktatur bekam einen Kredit nach dem anderen, bis sich der argentinische Militarismus im Krieg gegen England um die Falklandinseln (Islas Malvinas) 1982 selbst versenkte.

Die Folgeregierungen hatten es mit einer traumatisierten Gesellschaft, dem Verlust einer ganzen Generation sowie einer von 8 auf 45 Milliarden US-Dollar angeschwollenen Auslandsverschuldung zu tun. Die im November 1983 demokratisch gewählte Regierung von Raúl Alfonsin schien die Probleme in den achtziger Jahren trotz der ständigen Putschgefahr und der Last aus dem Schuldendienst halbwegs in den Griff zu bekommen. Die Verantwortlichen für die mörderische Ökonomie – im In- und im Ausland – konnte sie allerdings nur teilweise zur Rechenschaft ziehen. Menem hob die Urteile gegen die Generäle später wieder auf. Die Tatsache, dass die Diktaturverbrechen bis heute nicht geahndet werden, untergräbt den gesellschaftlichen Wandel in Argentinien wie auch in anderen südamerikanischen Staaten. 1989 brachte die galoppierende Inflation den Demokraten Alfonsin zu Fall und spülte den peronistischen Populisten Carlos Menem an die Macht.

Der in den Neunzigern Argentinien im Caudillo-Stil regierende Menem und sein Wirtschaftsminister Domingo Cavallo stoppten die Inflation, indem sie den argentinischen Peso in einem festen Wechselkurs von eins zu eins an den US-Dollar koppelten. Für den exportorientierten Teil der argentinischen Wirtschaft stellte sich das jedoch als Katastrophe heraus. Mit dem harten Dollar-Peso-Kurs wurden argentinische Produkte im Verhältnis zu den Erzeugnissen anderer Nationalökonomien zu teuer. Währungspolitisch stand den argentinischen Institutionen nach der Dollarisierung kein ausreichendes nationales Steuerungsinstrument mehr zur Verfügung. ...

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Argentinien haushaltete in den letzten Jahren strikt nach den Regeln des Internationalen Währungsfonds (IWF). Es bediente pünktlich den Schuldendienst, und sei es, um – wie die Regierung Menem unter der Aufsicht eben dieses Währungsfonds – dafür immer neue Schulden aufzunehmen. Dem IWF schien es recht zu sein, und die für diesen Fall «ton- angebenden Kreise» in Washington, Buenos Aires oder Madrid freuten sich, wie die Peronisten ein Staatsunternehmen nach dem anderen verkauften und Bodenschätze ver- schleuderten. Ar- gentinien konnte nach den internationalen Direktiven zur Liberalisierung der Wirtschaft als vorbildlich gelten. Auch als Menems Regierung die aus den Verkäufen der Staatsbetriebe und Ressourcen erzielten Einnahmen offensichtlich nicht zur Senkung der Staatsverschuldung einsetzte, blieb der IWF auf seiner Linie. Der Staat wurde weiter mit Krediten versorgt, eingeschnürt und kräftig gemolken. Dabei ist längst schon mehr Geld als die Summe der aufgelaufenen Schulden über den Schuldendienst abgeflossen. Beim Abtritt Menems zum Jahr 2000 hatte sich die argentinische Auslandsverschuldung von 75 auf 150 Milliarden US-Dollar verdoppelt. Nun fürchten vor allem spanische Firmen um ihre argentinischen Investitionen. Im Banken-, Kommunikations-, Wasser- und Energiewesen sind spanische Unternehmen stark vertreten. Ihr Ansehen ist spätestens seit der Pleite der spanischen Fluggesellschaft Iberia auf dem Tiefpunkt. Iberia hatte die florierende Fluggesellschaft Aerolíneas Argentina übernommen und in kürzester Zeit in den Konkurs geführt.

Ohne die anhaltende Wirtschaftskrise und den Exporteinbruch aufgrund des überbewerteten Pesos hätte de la Rúa vielleicht die Zeit gefunden, einen Ausweg aus dem drohenden Staatskonkurs zu finden. Spätestens als er Menems Wirtschaftsminister Cavallo auch in sein Kabinett berief, war daran nicht mehr zu glauben. Genauso wenig wie daran, dass es ein Eduardo Duhalde jetzt richten wird. Dieser war unter Menem schon mal Vizepräsident gewesen und steht wirtschaftlich und politisch für die negative Kontinuität des Landes. Eine der ersten Amtshandlungen Menems bestand 1989 darin, die von der Justiz gesprochenen Urteile gegen Diktaturverbrechen aufzuheben; danach waren diese Verbrechen kaum mehr zu verfolgen. Der damalige Vizepräsident Duhalde sagte dazu in einem Interview: «Ob die Exbefehlshaber gefangen bleiben oder nicht, ist den Leuten vollkommen egal. Am Tag nach ihrer Freilassung wird sich keiner mehr daran erinnern.» So viel zum Machtinstinkt und zum Verständnis von Rechtsstaatlichkeit eines Mannes und einer Partei, denen man gerade wieder die Geschicke Argentiniens anvertraut hat.

Aus: WoZ, 10. Januar 2001


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