Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Wildes Spekulieren

Argentinien: Tod des Staatsanwalts Nisman bietet Anlass zu Mutmaßungen. Rechte Presse startet Antiregierungskampagne

Von Lena Kreymann *

Sonntag nacht ist der argentinische Staatsanwalt Alberto Nisman tot in seinem Badezimmer in Buenos Aires neben einer Waffe aufgefunden worden. Bereits unmittelbar mit den ersten Meldungen begannen in den argentinischen Medien Mutmaßungen darüber, ob es sich dabei um Selbstmord oder gar um Mord handle. Am Montag demonstrierten Tausende Menschen in der argentinischen Hauptstadt und weiteren Städten für die Aufklärung seines Todes.

Nisman war zuletzt für den bis heute unaufgeklärten Anschlag auf das jüdische Zentrum AMIA vor über 20 Jahren zuständig gewesen. Am Montag hätte er im Kongress auftreten und sich zu von ihm vorgebrachten schweren Vorwürfen gegen die Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und Regierungsmitglieder äußern sollen.

Der Ermittlungsstand zu seinem Tod ist noch vorläufig und widersprüchlich. Kein Zweifel besteht darin, dass Nisman durch einen Kopfschuss gestorben ist. In einem ersten Bericht hieß es, es gebe keine Hinweise auf Fremdeinwirkung. Allerdings wurden bei der Autopsie keine Schmauchspuren an Nismans Händen gefunden, die beim Abfeuern einer Waffe als Rückstände entstehen. Daraufhin erklärte allerdings die zuständige Staatsanwältin Viviana Fein am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa zufolge, die entnommenen Proben seien sehr klein gewesen. Das negative Resultat schließe Selbstmord nicht aus.

Insbesondere die rechte Boulevardpresse hat bereits begonnen, den Tod Nismans medial auszuschlachten und als Aufhänger für eine Antiregierungskampagne zu nutzen. Von offizieller Seite werde sich beeilt, die Selbstmordthese zu bestätigen, lautete ein Vorwurf auf der Startseite von Clarín im Internet am Dienstag. Am Mittwoch hieß es bereits: »Die Zweifel im Fall Nisman steigen«, die Selbstmordthese sei »immer noch nicht« bestätigt.

Der Staatsanwalt hatte nach Angaben der rechtsliberalen Tageszeitung La Nación der Präsidentin am Mittwoch vergangener Woche vorgeworfen, die Anschuldigungen gegen Iran im Fall des AMIA-Attentats aufheben zu wollen, um so an billiges Erdöl zu kommen und dem Land im Gegenzug Getreide zu verkaufen. Dafür habe sie sich einverstanden erklärt, eine falsche Spur zu legen, die »lokale Faschos« belasten würde. Es sei sogar die Rede davon gewesen, dass Iran Waffen kaufen würde. In der Anklage heißt es demnach, »die kriminelle Verschwörung ist von Cristina Kirchner entschieden und von Timerman umgesetzt worden«, also dem argentinischen Außenminister. Wesentlich dazu beigetragen haben soll ein Geheimdienstagent, von dem abgehörte Telefonate vorliegen. Die Unterlagen zur Anklage samt der Transkriptionen der Gespräche sind inzwischen auf Anweisung der Präsidentin veröffentlicht worden. Laut página 12 stehen darin nur wenige wirklich neue Erkenntnisse.

Anlass zu den Vorwürfen war ein Verständigungsmemorandum aus dem Jahr 2013 zur Zusammenarbeit im Fall des AMIA-Attentats, das von der Regierung als Chance aufgefasst wurde, die im Iran lebenden Beschuldigten letztlich vor Gericht zu bringen. Außenminister Héctor Timerman soll angeblich daraufhin versucht haben, das Festnahmegesuch bei Interpol aufzuheben, was er jedoch bestreitet. Timerman behauptet im Gegenteil, es gegenüber der internationalen Polizeiorganisation nochmals bestätigt zu haben.

Bereits die Anklage gegen die Staatschefin und ihre mediale Rezeption ordnete die linke, regierungsnahe página 12 am Sonntag in das begonnene Ringen um Mehrheiten für die Präsidentschaftswahlen im Oktober 2015 ein. Die Strategie der hegemonialen Medien sei es, alltäglich Skandale und Anschuldigungen auf den Tisch zu bringen. Das Ziel sei, die Debatte vom politischen Gebiet auf die Ebene »purer Empörung« zu heben.

Der Anschlag auf das Gebäude der jüdisch-argentinischen Vereinigung AMIA am 18. Juli 1994 hat 85 Menschen das Leben gekostet. Um die Identität der Attentäter und deren Hintermänner gibt es zahlreiche mehr oder weniger glaubwürdige Theorien. Die Ermittlungen hatten gleich nach dem Attentat noch unter dem neoliberalen Präsidenten Carlos Menem begonnen, der auch über gute US-Kontakte verfügte. Dabei gibt es zahlreiche Unstimmigkeiten, bestimmte Spuren etwa wurden gar nicht verfolgt. Als Néstor Kirchner, der inzwischen verstorbene Ehemann der Präsidentin und ihr Vorgänger im Amt, 2003 seine Präsidentschaft antrat, veröffentlichte er zahlreiche Geheimdokumente zu dem Fall und versprach, die Aufklärung des Falls in den Fokus zu rücken. Dennoch verlaufen die Ermittlungen eher schleppend.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 22. Januar 2015


Zurück zur Argentinien-Seite

Zur Argentinien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage