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Schweigende Opposition

Buenos Aires: Gedenkdemonstration für verstorbenen Staatsanwalt richtet sich gegen Regierung. Ermittlungen fortgesetzt

Von Lena Kreymann *

In Buenos Aires haben sich am Mittwoch (Ortszeit) Zehntausende Menschen in strömendem Regen an einem Schweigemarsch beteiligt. Eine Gruppe von Staatsanwälten hatte zu der Demonstration aufgerufen, um ihres vor einem Monat verstorbenen Kollegen Alberto Nisman zu gedenken.

Zusammen mit dessen Angehörigen und Oppositionspolitikern führten die Staatsanwälte den Marsch an, der von einem Gebäude der Staatsanwaltschaft zum Regierungspalast an der zentralen Plaza de Mayo zog. Auch wenn keine Parteifahnen oder politischen Plakate gezeigt wurden, herrschte ein einhellig regierungskritischer Ton vor, wie argentinische Medien übereinstimmend berichteten. Ein nicht namentlich genannter Regierungsvertreter erklärte der rechtsliberalen Zeitung La Nación gegenüber: »Es gab eine starke Beteiligung der Mittelschicht. Der ärmere Teil der Bevölkerung, also der harte Kern unserer Wählerschaft, war nicht involviert. Aber es war unübersehbar ein politisches Ereignis, ein politischer Schlag gegen die Regierung.«

Unklar blieb die Teilnehmerzahl: Während die Lokalpolizei der oppositionsgeführten Hauptstadt diese auf 400.000 bezifferte, demonstrierten der argentinischen Bundespolizei zufolge lediglich 50.000 Personen. Laut der deutschen Nachrichtenagentur dpa waren es »mehr als 250.000« Menschen. Während La Nación von der »vielleicht größten Demonstration gegen die Kirchner-Regierung« schrieb, war die Beteiligung laut página 12 »deutlich geringer als bei anderen Oppositionsveranstaltungen«. Auch in anderen argentinischen Städten fanden derartige Gedenkzüge statt, so etwa in Córdoba, Rosario und Mar del Plata.

Wenn auch als Schweigemarsch angekündigt, erschallten während der Demonstration immer wieder Sprechchöre. Neben »Argentinien« und »Gerechtigkeit« gehörte »Mörderin« laut La Nación zu den meistgerufenen Worten und bezog sich offensichtlich auf Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Diese wird insbesondere von der Opposition beschuldigt, für den Tod Nismans verantwortlich zu sein.

Der 51jährige war vor seinem Tod für die Ermittlungen im Fall eines Attentats auf das Zentrum der jüdisch-argentinischen Vereinigung AMIA im Jahr 1994 zuständig gewesen, bei dem 85 Menschen getötet worden waren. Insbesondere der Präsidentin und dem Außenminister Héctor Timerman hatte er vorgeworfen, die Untersuchung behindert zu haben. Am Tag nach seinem Tod hätte er sich zu diesen Anschuldigungen im Parlament äußern sollen.

Die genauen Todesumstände sind weiter unklar, es wird nach wie vor dazu ermittelt. Der ehemalige, einflussreiche Geheimdienstchef Antonio »Jaime« Stiusso, der in engem Kontakt zu Nisman stand, erklärte am Mittwoch gegenüber der Staatsanwaltschaft, dass er seit Weihnachten nicht mehr mit diesem geredet habe. Ein Handy, das auf Stiussos Namen registriert war und das von Nisman wenige Tage vor seinem Tod angerufen worden war, hätte ein anderer Agent benutzt. Gleich nach seiner Aussage verließ er Argentinien über den Landweg nach Uruguay.

Für die von Nisman angestoßenen Ermittlungen zur angeblichen »Verschleierung« im AMIA-Fall ist inzwischen der Staatsanwalt Gerardo Pollicita zuständig. Sie waren ihm auf Beschluss des befugten Bundesgerichtshofs zugefallen. Dieser hatte schließlich Daniel Rafecas zum verantwortlichen Richter und damit auch Pollicita zum Ankläger bestimmt, nachdem niemand die von Nisman geführte Untersuchung gegen die Regierungsvertreter übernehmen wollte. Pollicita konnte damit eigenständig über den weiteren Umgang entscheiden. Am Freitag vergangener Woche beantragte er allerdings Ermittlungen gegen die bereits von seinem Kollegen beschuldigten Personen. Darüber muss nun Rafecas verfügen, der erst am Mittwoch aus dem Urlaub zurückgekommen ist und nun noch vier Tage für die Prüfung von Pollicitas Antrag hat. Fernández wäre damit noch nicht angeklagt, ein Verfahren würde erst folgen, wenn genügend Beweise gefunden wären.

Das Regierungsbündnis »Frente para la Victoria« hat Pollicita nun aufgefordert, sich am Montag zu den von ihm vorgetragenen Vorwürfen zu äußern. »Wir wollen, dass er eine Erklärung zu seiner Entscheidung abliefert, die von Nisman angestoßene Anklage zu bearbeiten«, sagte Fraktionschefin Juliana Di Tullio am Mittwoch.

* Aus: junge Welt, Freitag, 20. Februar 2015


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