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Großes Gedränge in der Arktis

Es scheint die Zeit gekommen zu sein, in der die Claims auf der Arktis und dem Nordpolarmeer neu abgesteckt werden

Von Andrej Fedjaschin *

Es scheint die Zeit gekommen zu sein, in der die Claims auf der Arktis und dem Nordpolarmeer neu abgesteckt werden.

Das jüngste Treffen der "arktischen Fünf" (Russland, USA, Kanada, Dänemark und Norwegen) im kanadischen Chelsea am 29. März zeigte, dass vor dem Tor zur Arktis nicht nur die Anrainer stehen. Ganz offen strebt China nach dem Zugang zu der Region. Kaum jemand wird es wagen, ihm den Weg zu den "kalten Reichtümern" rund um den Nordpol zu versperren. Die Aufteilung der kolossalen Bodenschätze der Arktis rückt immer näher - etwas anderes ist nicht zu erwarten.

Man sollte allmählich aufhören, sich darüber zu wundern, wie viele nichtarktische Länder in der Schlange vor dem Tor zur Arktis stehen. Sie haben es nicht nur auf ihre Erdöl- und Gasvorkommen abgesehen. Die Arktis hat eine weitere ausschließliche Naturbesonderheit, die durchaus als "natürliches Monopol" bewertet werden kann. Mit der Klimaerwärmung bleiben die nördlichen Seestraßen (in Kanada und Russland) für längere Perioden eisfrei. Die Transporte über diese Seewege, etwa von China nach Deutschland oder aus China in den Osten der USA, werden bei der zunehmenden ganzjährigen Schifffahrt um 6000 bis 7000 Kilometer verkürzt.

Die Kanadier, die am 29. März die unmittelbaren Anrainer der Arktis bei sich empfingen, handelten sich bei US-Außenministerin Hillary Clinton eine Rüge ein: Es sei nicht schön, sich in einem so kleinen Kreis zu versammeln und ohne Island, Schweden und Finnland und Vertreter der Ureinwohner einzuladen. Wie die US-Chefdiplomatin sagte, "brauchen wir alle Hände auf Deck, weil enorm viel zu tun, die Zeit aber kurz bemessen ist".

Clinton betonte, dass Island, Schweden und Finnland nicht weniger "arktisch" seien und die gleichen Rechte auf die Ressourcen unter, über und in den Gewässern des Nordpolarmeeres hätten wie alle Teilnehmer der Konferenz über Arktis-Zusammenarbeit am 22. und 23. April in Moskau. Die Moskauer Konferenz unter dem Namen "Arktis - Territorium des Dialogs" ist ein bisher nie dagewesenes Treffen dieser Art und das erste globale Projekt der wiederbelebten Russischen Geographischen Gesellschaft.

RIA Novosti fungiert dabei als einer der Organisatoren. Zur Diskussion stehen die Erkundung und Erschließung der Naturressourcen, darunter auf dem arktischen Schelf, ferner der Naturschutz und die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur in der Region.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow musste erläutern, dass die "arktischen Fünf" dem Arktischen Rat keineswegs Konkurrenz machen wollen, sondern vielmehr nur einen informellen Mechanismus darstellen, der diesen Rat ergänzt.

Dem 1996 auf Finnlands Initiative gegründeten Arktischen Rat gehören Dänemark, Finnland, Island, Kanada, Norwegen, Russland, Schweden und die USA an, und er gilt als die wichtigste regionale Organisation der Arktis. Als "arktische Beobachter" sind im Rat bereits Großbritannien, Frankreich, Deutschland, die Niederlande, Polen, Spanien, China, Italien und Südkorea vertreten.

Dass die Amerikaner den Kanadiern Vorhaltungen machen und sich für die Nichteingeladenen einsetzen, ist kein Zufall. Zwischen Washington und Ottawa gibt es seit langem Gebietsstreite, die große Abschnitte der Beaufortsee betreffen. Da ist jeder Verbündete willkommen. Besonders vor der drohenden Aufteilung der Arktis, wo fast alle Länder Ansprüche an alle haben.

Die Dänen zanken sich seit langem regelmäßig mit den Kanadiern, die ständig die dänischen Gebiete in Grönland mit ihren Fahnen abstecken. Die Kanadier haben die gleichen Streitigkeiten mit den USA. Die Norweger erheben Anspruch auf beinahe 175 000 Quadratkilometer unseres Schelfs in der Barentssee, und wir haben uns über die Teilung längs der berüchtigten Schewardnadse-Baker-Linie im Nordpazifik mit den USA immer noch nicht endgültig geeinigt.

Jetzt schielt China auf die Arktis.

Peking ist bereits von theoretischen in praktische Arktis-Forschungen übergegangen. Sein voll modernisierter, weltgrößter nichtatomarer Eisbrecher "Schneedrache" (übrigens zu Sowjetzeiten in der Ukraine gebaut) ist in den arktischen Seestraßen unterwegs. China erhebt keinen Anspruch auf die Arktis-Bodenschätze, darauf hat es keine juristischen Rechte.

Doch die Chinesen verfolgen mir großem Interesse, wann die Anrainerstaaten in den Polarmeeren juristische Ordnung schaffen, transparente und für jedermann verständliche Regeln für die Schifffahrt schaffen sowie die Grenzen ziehen, die Öl- und Gasfelder usw. genau bestimmen werden. Dann wird die weltgrößte Wirtschaft neue Investitionsmöglichkeiten und neue Wege für den Export seiner Erzeugnisse haben. Oder auch für die Aufnahme von Importwaren. Bei den Investitionen handelt es sich um absolut schwindelerregende Summen.

Russland, Kanada, die USA, Dänemark und Norwegen haben das "angeborene" Recht, im Nordpolarmeer Ansprüche auf alles zu erheben. Nunmehr werden sie ihre "vererbten Ansprüche" abstimmen müssen. Das wird schwieriger sein als die Entdeckung des Nordpols.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 31. März 2010; http://de.rian.ru


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