Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Arktisches Risiko ist nicht versicherbar

Studie von Lloyd's: Folgen von Öl- und Gasbohrungen sind für Investoren nicht absehbar

Von Andreas Knudsen *

Es scheint nichts zu geben, was bei Lloyd's nicht versichert werden kann. Doch bei Öl- und Gasbohrungen in der Arktis bekommt auch die ehrwürdige britische Gesellschaft kalte Füße.

Zahlreiche Öl- und Gaskonzerne von Shell über Gazprom bis BP haben Such- und Erschließungsarbeiten in der Arktis angekündigt. Die hohen Weltmarktpreise und das Schmelzen des Eises wegen der Klimaerwärmung könnten eine Ausbeutung in dem ökologisch sensiblen Gebiet in nicht allzu ferner Zukunft rentabel machen. Projekte dieser Größenordnung müssen aber versichert werden.

Die britische Versicherungsbörse Lloyd's hat, um eine Entscheidungsgrundlage zu bekommen, eine Studie mit dem Titel »Die Öffnung der Arktis - Möglichkeiten und Risiken« bestellt. Die Ergebnisse wurden jetzt in Oslo vorgestellt und brachten keine gute Nachricht für die großen und kleinen Öl- und Gaskonzerne. Diese brauchen bezüglich einer Versicherungspolice erst gar nicht anzufragen. Die Antwort wäre ein klares Nein. »Die Arktis kann nicht versichert werden«, erklärte Konzerndirektor Richard Ward. »Unsere Fähigkeit der Risikobeherrschung ist hier nicht ausreichend.« Ward bezweifelt zudem, dass viele Versicherer dies anders sehen werden.

Lloyd's geht davon aus, dass in den nächsten zehn Jahren im Seegebiet nördlich des 60. Breitengrades bis zu 100 Milliarden Dollar in Erschließungsarbeiten investiert werden. Schwerpunkte seien die Küsten vor Alaska, Novaja Semlja und das Weiße Meer sowie die nordnorwegische Küste und Grönland. Die Schätzung ist wohl nicht übertrieben. Allein die vier Probebohrungen der schottischen Firma Cairn in den Sommern 2010 und 2011 an der westgrönländischen Küste kosteten rund eine Milliarde Dollar. Für Versicherungen wären die damit verbundenen Risiken weit höher als die möglichen Gewinne aus den Policen.

Ein anderer Aspekt wird ebenfalls im Bericht hervorgehoben: Im Schadens- oder Katastrophenfall würden alle Beteiligten, gleich ob Ölkonzern oder Versicherer, einen schweren und vielleicht irreparablen Imageschaden in der Öffentlichkeit erleiden. Dieses Risiko ist für Lloyd's nicht mehr mit Geld aufzuwiegen. Offensichtlich hat man Lehren gezogen aus der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko oder dem Unglück des Tankers »Exxon Valdez« vor Alaskas Küste.

Lloyd's ablehnende Haltung betrifft nicht nur die eigentlichen Erschließungs- und Ausbeutungsarbeiten, sondern auch die zu errichtende Infrastruktur wie Pipelines, Straßen oder Häfen. Auch arktische Schifffahrt zur Verkürzung der Routen zwischen den Kontinenten zählt dazu. Hier macht man ökologische Bedenken geltend, wie sie seit Jahren von Greenpeace oder dem WWF geäußert werden. Diese Anlagen, so Lloyd's, stellen einen tiefen Eingriff in die arktische Natur dar und können, da sie eine unabdingbare Voraussetzung von Offshoreanlagen sind, ebenfalls nicht versichert werden. Statt in Bohrungen müsse mehr Geld in die Forschung investiert werden, um die Wechselwirkungen mit der Umwelt in der Arktis besser verstehen zu lernen.

Die Umweltschutzorganisationen begrüßten Lloyds' Haltung. Sie haben die Hoffnung, dass ihre Warnungen vor den unkalkulierbaren Risiken künftig eher Gehör finden werden.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 21. April 2012

Lexikon

Lloyd's mit Sitz in London ist eine internationale Börse, an der mit Versicherungen gehandelt wird. Ihre Geschichte reicht bis ins 17. Jahrhundert zurück, als sich Geschäftsleute in dem gleichnamigen Kaffeehaus trafen, um Risiken im Bereich der Schifffahrt abzudecken. Heute gibt es auch spezialisierte Abteilungen für Luftfahrt, Gebäudeversicherungen oder Rückversicherungen. Letztere greifen bei Projekten mit Milliardenrisiken wie zum Beispiel Ölbohrinseln. nd




Zurück zur Arktis-Seite

Zur Seite "Erdöl, Erdgas und andere Ressourcen"

Zurück zur Homepage