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Russland verteidigt Interessen in der Arktis

Präsident Dmitri Medwedew will Russlands Anspruch auf einen großen Teil des Kontinentalschelfs der Arktis gesetzlich verankern.



Von Maxim Krans *

Damit könnte Moskau „die Arktis in die Ressourcenbasis des 21. Jahrhunderts zu verwandeln“, sagte der Kreml-Chef bei einer Sitzung der Sicherheitsrats am vergangenen Mittwoch. Allein das Thema der Sitzung - „Über die Verteidigung von Russlands nationalen Interessen in der Arktis“ hat genügend Aussagekraft.

Nach Angaben von Experten liegt etwa ein Viertel der weltweiten Vorräte an fossilen Brennstoffen in genau diesem Teil des Nördlichen Eismeeres, den Russland traditionell als sein Eigentum ansieht. Auf dem Schelf der Barents- und der Karasee sind bereits einmalig reiche Gasvorkommen entdeckt worden. Außerdem wird dort fast ein Sechstel der Fischereiprodukte des Landes eingeholt.

Zudem liegt dort der Nördliche Seeweg, die kürzeste Strecke aus Europa nach Amerika und Asien, darunter auch für den Transport von Öl und Gas von Arktis-Vorkommen. Diese Makroregion kann samt den anliegenden nördlichen Territorien mehrere Jahrzehnte lang die gesamte Menschheit durchfüttern.

Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass viele Länder diese Bodenschätze jetzt beanspruchen. Russland will sie offensichtlich nicht hergeben. Es handelt sich um ein riesiges Dreieck mit einer Fläche von 1,2 Millionen Quadratkilometer, an dessen Spitze der Nordpol und an dessen Fuß die Küste der Halbinsel Kola bis zur Spitze von Tschukotka liegt.

Seit dem Erdkundeunterricht in der Schule weiß jeder Russe, dass dieses Terrain zu seinem Land gehört. Doch die vor 25 Jahren verabschiedete UN-Seerechtskonvention, die auch von der Sowjetunion unterzeichnet wurde, beschnitt die Außengrenze auf eine 200 Kilometer lange Wirtschaftszone.

Um den Verlust wieder zu erwerben, muss Russland jetzt beweisen, dass der Schelf, genauer der Lomonossow-Rücken, die unmittelbare Fortsetzung der sibirischen Kontinentalplattform ist. Genau damit befassten sich die russischen Expeditionsforscher, die in den vergangenen zwei Jahren häufig die polnahen Gewässer durchkreuzten.

Auch eine Expedition zum Nordpol, die eher PR-Zwecken diente, wurde auf Initiative des Duma-Vizevorsitzenden Artur Tschilingarow organisiert. Er lieferte zwar keine wissenschaftlichen Argumente für Moskau als Beweise, sorgte aber für mehr Interesse für die Vorratskammern in der Arktis und verursachte eine ganze Lawine von internationalen Diskussionen.

Diese Ausflüge ließen erwartungsgemäß auch die anderen Anwärter auf den arktischen „Kuchen“ aktiver werden - und die sind heute zahlreich. So sammelt Kanada seit langem Beweise, dass der Lomonossow-Rücken ab dem amerikanischen Kontinent anfängt. Dänemark besteht darauf, dass er dänisches Terrain sei, weil er sich unmittelbar neben Grönland befindet. Auch die Amerikaner, die Norweger und andere Länder, die ziemlich weit von den arktischen Gewässern entfernt sind, setzen sich in Bewegung. Jeder will ein möglichst großes Stück ergattern.

Für Russland ist es prinzipiell wichtig, sein territoriales Recht zu verteidigen. Es ist ja klar, dass die global dominierende Rolle in den nächsten Jahrzehnten an denjenigen geht, der die wichtigsten arktischen Öl- und Gasschätze bekommt. Doch wie Vizepremier Sergej Iwanow bereits bei einer Sitzung des Maritimen Kollegiums im April bemerkte, ist der politische Aspekt bei der Erschließung der Arktis-Territorien nicht weniger wichtig als der wirtschaftliche.

Sollte Russland sein Recht auf den Kontinentalschelf gesetzlich verankern, würde das einen territorialen Gewinn auf See bedeuten, so Iwanow. Der politische und militärische Aspekt der Frage wurde auch bei der Sitzung des Sicherheitsrats, die am 12. September im nördlichsten russischen Grenzposten auf Franz-Josef-Land stattfand, erörtert.

In der Sitzung, die in Moskau fortgesetzt wurde, betonte Präsident Medwedew ebenfalls, dass „diese Region ohne Übertreibung strategische Bedeutung für das Land“ habe und dass „Russlands nationale Interessen in der Arktis zuverlässig und langfristig gesichert werden müssen“. Dazu muss Russland aber der Entwicklung der arktischen Gebiete und dem Wiederaufbau der Wirtschaft im Hohen Norden höchste Aufmerksamkeit schenken.

Seit den 80er Jahren wurde der Hohe Norden kaum anders als unnötige Last für den russischen Haushalt betrachtet und deswegen nach dem Restprinzip finanziert. Das Ergebnis davon ist völlig abgenutzte Infrastruktur und Technik sowie vollkommene Verarmung der Bevölkerung. Und das überall außer wenigen „Oasen“ in den Öl- und Gasfördergegenden.

Auch die einst mächtige Atomeisbrecherflotte verkam ohne staatliche Unterstützung. Die Situation ist so gravierend, dass der Nördliche Seeweg in den nächsten Jahren durchaus unter Kontrolle von ausländischen Reedereien fallen kann, zumal viele Länder diese „strategische nationale Magistrale“ (Medwedew) bereits beanspruchen.

Die nördlichen Territorien sind eine Art Rückenstärkung für Russlands Expansion in den Norden. Der Nördliche Seeweg ist die wichtigste Verkehrsader, ohne die diese Offensive nicht zu dem gewünschten Ergebnis führt. Wenn die Gebiete also nicht in kürzester Zeit wiederaufgebaut werden, kann Russland seine Napoleonspläne zur Erschließung der Vorräte des arktischen Schelfs gleich vergessen.

In der Sitzung des Sicherheitsrats trug Medwedew der Regierung auf, bis zum 1. Dezember einen detaillierten Plan zur Realisierung der russischen Politik in der Arktis zu erstellen. Dabei sollen laut Sicherheitsratssekretär Nikolai Patruschew auch die nördlichen Grenzen des Landes festgelegt werden. Doch es ist leicht, einen Strich auf die Karte zu zeichnen. Die Grenze muss von der internationalen Gemeinschaft anerkannt werden.

Eine Chance darauf gibt es erst, wenn Russland einen neuen Antrag bei der UN-Kommission zur Grenzziehung auf dem Kontinentalschelf stellt. Ob der russische Präsident bei seinem Aufruf zur Verteidigung der nationalen Interessen in der Region diese Handlungsfolge gemeint hat?

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 23. September 2008; http://de.rian.ru



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