Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Russland sondiert Karabach-Lösung

Moskau mit Baku und Jerewan im Gespräch

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Die Sondierungen seien in einem »fortgeschrittenen Stadium«, die Konfliktparteien scheinen bereit zu sein, nach einer »realen Lösung zu suchen«. So bilanzierte Russlands Präsident Dmitri Medwedjew die Ergebnisse seiner jüngsten Gespräche mit dem armenischen Staatsoberhaupt Sersh Sarkisjan in Jerewan.

Zentrales Thema der Gespräche in Jerewan waren Bemühungen um eine Friedenslösung für Bergkarabach – eine Region, die formell zu Aserbaidshan gehört, aber von Armeniern bewohnt wird und sich 1988 in die Unabhängigkeit verabschieden wollte. Der anschließende fast sechsjährige Krieg, bei dem sich Armenien mit regulären Einheiten auf der Seite der Separatisten engagierte, machte 1,3 Millionen Menschen zu Flüchtlingen, 25 000 Aseri und 17 500 Armenier kamen ums Leben. Friedensverhandlungen unter Ägide der von der OSZE eingesetzten Minsker Gruppe, die 1994 einen Waffenstillstand erzwang, treten seither auf der Stelle.

Aserbaidshan will über den Status Bergkarabachs erst verhandeln, wenn die Armenier zuvor jene aserbaidshanischen Gebiete zurückgeben, die sie besetzt haben, um einen Korridor zwischen der strittigen Region und dem »Mutterland« Armenien herzustellen. Armenien wiederum besteht vor der Rückgabe auf einem Referendum, weigert sich jedoch, auch die Aseri, die bis 1988 in Karabach lebten, an der Abstimmung über die Zukunft der Region zu beteiligen.

Russland, das zu den Garantiemächten des Waffenstillstands gehört, stand beim Konfliktmanagement bisher auf Seiten seines traditionellen Verbündeten Armenien, obwohl das ölund gasreiche Aserbaidshan auf längere Sicht der attraktivere Partner ist. Es ließ daher aufhorchen, dass Medwedjew Aserbaidshan bereits Anfang Juli – lange vor der Reise nach Armenien – seinen Antrittsbesuch abstattete. Er bot seinem aserbaidshanischen Kollegen Ilham Alijew an, die gesamte Gasförderung der Republik zu Weltmarktpreisen aufzukaufen. Moskau wollte verhindern, dass Aserbaidshan sich am Nabucco-Projekt beteiligt, einer Rohrleitung, mit der sich die EU unter Umgehung Russlands den Zugriff auf die Gasfelder der Kaspi-Region sichern will. Gastgeber Alijew indes machte seine Zustimmung von Fortschritten bei den Verhandlungen über Bergkarabach abhängig.

Das und der August-Krieg mit Georgien, in dessen Ergebnis Russland seine Position im Südkaukasus erheblich verbessern konnte, sorgten dafür, dass auch der Westen den eingefrorenen Konflikt um Bergkarabach wieder entdeckte. Ende September reiste Matthew Bryza, Washingtons bisher erfolgloser Sonderbeauftragter für den Südkaukasus, nach Baku und Jerewan. Fast zeitgleich präsentierten Aserbaidshan und die Türkei einen Plan, der vorsieht, auch Armenien am Nabucco- Projekt zu beteiligen, wenn dessen Führung sich in Sachen Bergkarabach bewegt. Überdies wollen Ankara und Baku in diesem Falle ihre seit 1993 geschlossenen Grenzen zu Armenien öffnen. Für die rohstoffarme Republik, die momentan nahezu den gesamten Außenhandel über Iran abwickeln muss, ist das ein verlockendes Angebot.

Russland ist sich dessen bewusst und sieht Handlungsbedarf – schon deshalb, weil Armenien durch wirtschaftliche Kooperation mit dem Westen mittelfristig auch zu einem Wechsel des politischen Lagers verführt werden könnte. Der aber würde den Bodengewinn, den Moskau durch die Unabhängigkeitserklärungen Südossetiens und Abchasiens in der Region verbuchen kann, wieder zunichte machen. Einen Ausweg aus der verzwickten Lage könnten neue Karabach-Verhandlungen unter russischer Schirmherrschaft weisen.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Oktober 2008


Zurück zur Aserbeidschan-Seite

Zur Armenien-Seite

Zur Russland-Seite

Zurück zur Homepage