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Säbelrasseln um Berg-Karabach

Viel Diplomatie, doch keine konkreten Ergebnisse

Von André Widmer *

Anfang Dezember wird sich der OSZE-Gipfel in Astana (Kasachstan) auch mit dem armenisch-aserbaidshanischen Streit um das Gebiet Berg-Karabach befassen. Vermittler Russland verbreitet Optimismus – die Realität im Konfliktgebiet sieht anders aus.

In einer neutralen Zone nahe dem Dorf Bash Gervend im armenisch besetzten Teil des Distrikts Agdam (Aserbaidshan) wurden kürzlich unter Aufsicht des Internationalen Roten Kreuzes die sterblichen Überreste von Soldaten ausgetauscht – Monate nach den jeweiligen tödlichen Zwischenfällen an der Demarkationslinie des Konflikts um Berg-Karabach. Ein Zeichen dafür, wie unversöhnlich die Positionen Armeniens und Aserbaidshans in dieser Auseinandersetzung sind.

Ende Oktober erst äußerte sich Russlands Präsident Dmitri Medwedjew nach einem von ihm arrangierten Treffen zwischen den Präsidenten Aserbaidshans und Armeniens zuversichtlich, dass beim OSZE-Treffen in Astana Prinzipien für die Konfliktbeilegung beschlossen werden könnten. Geschähe dies tatsächlich, käme das einem kleinen Wunder gleich. Denn trotz intensivierter Diplomatie wurden im Sommer mehrfach bewaffnete Vorfälle mit Toten und Verletzten gemeldet. Schusswechsel sind an der »Kontaktlinie« zwischen den armenischen Separatisten und der aserbaidshanischen Armee zwar keine Seltenheit, doch die höhere Intensität in diesem Jahr ist auffällig. Armenien und Aserbaidshan bezichtigen einander des Bruchs der 1994 vereinbarten Waffenruhe.

Die Standpunkte beider Seiten sind unverändert, derweil die nach Souveränität strebenden Karabach-Armenier selbst nach wie vor von den Verhandlungen ausgeschlossen sind. »Sie können nur Teilnehmer der Gespräche werden, wenn neben den armenischen Karabach-Bewohnern auch die aserbaidshanischen Karabacher über den endgültigen Status des Gebiets mitreden können«, sagt Elkhan Poluchow, Sprecher des aserbaidshanischen Außenministeriums.

Die Armenier bestehen auf der sofortigen und vollständigen Unabhängigkeit Berg-Karabachs, Aserbaidshan verlangt zunächst den Rückzug der Besatzungstruppen aus fünf von sieben Distrikten außerhalb Berg-Karabachs. Die waren von den Armeniern zunächst als Pufferzone bezeichnet worden. »Alle diese Territorien bilden die Republik Berg-Karabach«, sagt inzwischen deren Diplomat Robert Avetysjan.

Aserbaidshan schlägt vor, dass erst fünf Jahre nach dem armenischen Rückzug aus den ersten Gebieten auch der aus den Bezirken Latschin und Kelbadshar im Korridor zwischen Berg-Karabach und dem armenischen »Mutterland« erfolgt. »Wir verstehen die Sicherheitsbedenken der Armenier«, sagt Poluchow. Über die Sicherung von Verbindungsstraßen zwischen Armenien und Karabach könne man sich einigen, im Konfliktgebiet könnten auch internationale Friedenstruppen stationiert werden, bevor später der Status Berg-Karabachs festgelegt wird.

Trotz dieser Angebote: Bisher gab es keine Einigung. Jüngste Äußerungen der beiden Präsidenten Sersh Sarkisjan (Armenien) und Ilham Alijew (Aserbaidshan) lassen ebenfalls wenig Hoffnung. Alijew wiederholte vor demobilisierten Soldaten frühere Aussagen, wonach bei einem Scheitern der Diplomatie die militärische Stärke vorhanden sei, das besetzte Land zurückzuerobern. Sarkisjan donnerte: »Wir wollen keinen Krieg, aber wenn der Krieg kommt, dann wird unser Schlag endgültig und tödlich sein.« Dies äußerte er anlässlich von Truppenübungen der Karabacharmenier nur wenige Kilometer von der Demarkationslinie entfernt. Die Erschütterungen der militärischen Demonstration waren bis in die Flüchtlingssiedlungen auf der anderen Seite zu hören.

Mit Spannung ist der Bericht zu erwarten, der die Ergebnisse des Oktoberbesuchs ranghoher OSZE-Diplomaten in den besetzten Gebieten außerhalb Berg-Karabachs zusammenfassen dürfte. Während die Armenier kritisierten, dass die Mission nicht in das im Norden gelegene, derzeit von Aserbaidshan gehaltene Gebiet Schahumjan führte, hofft die andere Seite auf klare Feststellungen, wie groß das Ausmaß der Zerstörungen um Berg-Karabach ist.

* Aus: Neues Deutschland, 22. November 2010


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