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Opernhaftes Ende einer Gaspipeline

Nabucco wird wohl nicht gebaut, da Aserbaidschan ein Konkurrenzprojekt beliefern will

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Die Pipeline Nabucco ist wohl gescheitert. Es lassen sich nicht genug Gasvorräte akquirieren, um das Projekt rentabel betreiben zu können.

Nabucco ist eine der wenigen Opern, die nicht tragisch ausgehen. Tragisch ist dagegen das Finale des gleichnamigen Gaspipelineprojektes, mit dem Europa sich Zugriff auf die Vorkommen der Kaspi-Region unter Umgehung Russlands verschaffen wollte. Da der wichtigste Lieferant Aserbaidschan nun entschieden hat, Erdgas aus dem Feld Shah Deniz II an die konkurrierende Trans Adriatic Pipeline (TAP) zu liefern, ist Nabucco-West nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben.

Der Baubeginn für die Leitung, die über Georgien in der Osttürkei an die im Bau befindliche Transanatolische Pipeline andocken und das Gas über Bulgarien, Rumänien und Ungarn nach Österreich führen sollte, war für 2014 vorgesehen. Experten hatten frühzeitig gewarnt, die Pipeline nehme aus politischen Gründen einen Umweg, sei daher zu lang und zu teuer. Von 15 Milliarden Euro war die Rede. Auch blieb unklar, wie die Pipeline befüllt werden soll. Obwohl heftig umworben, ließen sich weder Turkmenistan noch Kasachstan auf ein Ja ohne Wenn und Aber ein. Der Grund: umfangreiche Lieferverträge mit Russland und China, wozu in den letzten Jahren neue Leitungen am Ostufer der Kaspi-See verlegt worden waren. Und die Vorräte Zentralasiens sind zwar gewaltig, aber nicht unendlich. Es blieb nur aserbaidschanisches Gas, womit die Pipeline allein aber nie ihre volle Leistung hätte erreichen können und daher zum Milliardengrab mutiert wäre.

Das dämmerte offenbar auch den Akteuren, jetzt zogen sie die Reißleine. Das Konsortium für die Erschließung des Gasfeldes Shah Deniz II entschied sich am späten Mittwochabend gegen Nabucco und für die TAP-Pipeline, an der die schweizerische EGL, die norwegische Statoil und die deutsche E.on Ruhrgas beteiligt sind. Über diese Leitung, bei der das Anschlussstück nur eine Länge von 500 Kilometern haben wird, soll Gas vom Kaspischen Meer via Griechenland, Albanien und die Adria in den Süden Italiens transportiert werden. Vertreter des aserbaidschanischen Staatskonzerns SOCAR und der örtlichen BP-Tochter, die an beiden Projekten beteiligt sind, reisten bereits nach Griechenland, um Regierungschef Antonis Samaras über die Entscheidung persönlich zu informieren.

Betreiber des Shah-Deniz-Konsortiums ist BP mit einem Anteil von 25,5 Prozent. Außerdem beteiligt sind die norwegische Stat-oil, SOCAR, die iranische NICO, die französische Total und die türkische TPAO. Auch der staatsnahe russische Ölkonzern LUKoil hat sich mit zehn Prozent in das Vorhaben eingekauft. Die Umgehung Russlands habe sich somit erledigt, hämen Experten in Moskau.

Ob die TAP der ganz große Wurf wird, bleibt dennoch abzuwarten. Kroatische Umweltschützer wollen gegen eine Pipeline, die auf dem Boden der Adria – Europas sauberstem Gewässer – verlegt werden muss, auf die Barrikaden gehen. Auch ist das TAP-Projekt mit dem gleichen Geburtsfehler behaftet wie Nabucco: Völkerrechtlich gesehen ist die Gasförderung im Kaspischen Meer illegal, solange sich die Anrainer – Russland, Aserbaidschan, Kasachstan, Turkmenistan und Iran – nicht auf verbindliche Wassergrenzen einigen. Darüber streiten die Staaten bereits seit dem Ende der Sowjetunion 1991.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 28. Juni 2013


Die Erdgas-Operette

Von Kurt Stenger **

Warum äußert sich eigentlich niemand überrascht, dass das Erdgaspipelineprojekt Nabucco nun wohl endgültig gescheitert ist? Immerhin war auf europäischer Ebene über Jahre immer davon die Rede, dank kaspischer Rohstoffe von Russland unabhängiger zu werden. Und EU-Energiekommissare hatten die Pipeline ganz oben auf ihrer Liste mit strategischen Projekten. Doch wer das Ganze nicht aus der Wunschzettel-Perspektive betrachtete, war von Anfang an skeptisch. Es gab in der Förderregion niemanden, der größere Mengen Gas liefern wollte. Schon mit der Fertigstellung der Ostsee-Pipeline von Gazprom war das Thema eigentlich abgehakt. So riesig sind die auf mittlere Sicht benötigten Mengen nicht. Vorausgesetzt, die Energiewende wird vorangetrieben. Dabei ist Gas zwar eine günstige Brückentechnik, mehr aber nicht.

Als immer mehr Konzerne ausstiegen, wurde offensichtlich, dass Nabucco eigentlich kaum mehr als ein österreichisches Vorhaben war. Genauer gesagt eines des teilstaatlichen Mineralölriesen ÖMV, der die Regierung in Wien vor den eigenen Karren spannte. Minister hofierten die autoritären Staatschefs, die die Rohstofferlöse auf private Konten in Steueroasen stecken. Doch die wollen ihr Gas lieber an sichere, politisch nahe stehende Großabnehmer verkaufen.

Und so hat es Nabucco nie bis zu einer ausgewachsenen Oper mit dramatischem Verlauf gebracht. Es war eher eine seichte Wiener Operette.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 28. Juni 2013 (Kommentar)


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