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USA wollen Aserbaidschan in die Nato locken

Machtverschiebungen im Südkaukasus werden Russland und Iran auf den Plan rufen

Von Ilgar Welisade *

Die Vermutungen, dass Aserbaidschan als drittes GUAM-Mitglied dem Nato-Bündnis beitreten wird, sind vergangene Woche konkreter geworden.

Die US-Botschafterin in Aserbaidschan Anne Derse gab auf der Konferenz „Integration Aserbaidschans in den euroatlantischen Raum und die demokratischen Wahlen“ in Baku ein schockierendes Statement ab: Bei den für Juli geplanten bilateralen Konsultationen sollen etliche Verteidigungsfragen erörtert werden, darunter auch die Frage des Nato-Beitritts Aserbaidschans.

Offiziell hat Baku bis jetzt zu dieser Erklärung keine Stellungnahme abgegeben. Aber alles spricht dafür, dass die aserbaidschanische Staatsführung einfach nicht zu solch einer Wende vorbereitet war. Dies wird auch von Aserbaidschans Nato-Botschafter Kjamil Chassijew bestätigt: „Wir entscheiden selbstständig, welcher Allianz wir beitreten und welcher nicht - und zwar unter Berücksichtigung unserer Interessen. Zur Zeit sind wir damit zufrieden, wie sich unsere Zusammenarbeit mit der Nato entwickelt.“

Die meisten Beobachter gehen bei der Auswertung des Statements der US-Botschafterin davon aus, dass es nicht zufällig gemacht worden ist.

In der Tat, Aserbaidschan kooperiert mit der Nato sehr eng und wahrscheinlich erfolgreich zusammen. Laut Chassijew hat Aserbaidschan alle Länder der Region längst überholt, was die Zusammenarbeit mit dem Bündnis betrifft. „Man kann behaupten, dass wir zahlenmäßig Georgien und die Ukraine überholt haben, was die Beteiligung an den Nato-Veranstaltungen anbelangt“, betonte der aserbaidschanische Diplomat mit Hinweis auf die fast 250 Nato-Veranstaltungen, bei denen Baku mitmacht.

Hier liegt das Land weltweit sogar ganz vorne und ist führend in der südlichen Kaukasusregion. Jährlich werden in Aserbaidschan mehr als 50 Veranstaltungen im Rahmen der Zusammenarbeit mit der Nato durchgeführt. Es scheint, dass beide Seiten keinen Grund haben, mit dem erreichten Niveau des Zusammenwirkens unzufrieden zu sein.

Zugleich zeugen die Bemühungen der Nato-Politiker um eine engere Zusammenarbeit davon, dass die Allianz in Aserbaidschan ihre eigenen Pläne hat, die nicht unbedingt mit den außenpolitischen Präferenzen Bakus übereinstimmen.

Am Vorabend des wichtigsten politischen Ereignisses des Jahres in Aserbaidschan, den Präsidentschaftswahlen im Oktober, kann solche Erklärung der US-Diplomatin auch als ein Versuch bewertet werden, Baku klar zu machen, dass eine weitere politische Unterstützung für die amtierende Staatsführung in Aserbaidschan möglich ist bei einem weiteren Ausbau des Zusammenwirkens mit dem Nato-Bündnis.

Nach einem möglichen Nato-Beitritt der Ukraine und Georgiens kann sich die Gesamtlage in der Region entscheidend ändern. Das Einbeziehen Aserbaidschans in die Erweiterungspläne des Bündnisses kann die politischen Prozesse in der Region entscheidend verändern.

In einer Region, die des Öfteren als der Große Nahe Osten (Südkaukasusstaaten inbegriffen) bezeichnet werden, in einer Region, die ohnehin mit einer Fülle von unlösbaren Problemen und Widersprüchen belastet ist.

Eine Nato-Beteiligung Aserbaidschans kann zumindest vor dem Hintergrund eines viel spekulierten US-Waffengangs in Iran und der Stationierung eines US-Raketenschilds in Osteuropa einen neuen Spannungsherd provozieren. Es ist ein offenes Geheimnis, dass nicht nur Russland, sondern auch Iran sich gegen die Nato-Mitgliedschaft Aserbaidschans auftreten würde.

Wir können nur vermuten, welche Gegenreaktion aus dieser Entwicklung resultieren wird. Klar ist aber schon jetzt, dass Iran auf gar keinen Fall teilnahmslos und gleichgültig bleiben würde. Kann sein, dass den Nato-Strategen das genehm ist. Aber ist das Aserbaidschan genehm? Da bin ich mir überhaupt nicht sicher!

Schon heute äußern sich die heimischen Beobachter in dem Sinne, dass sie keine klaren Vorteile in einer Nato-Mitgliedschaft Aserbaidschans erkennen können. Eine Nato-Mitgliedschaft des Landes würde nicht nur unter seine ausgewogene Außenpolitik einen Strich ziehen, sondern auch seine Innenpolitik dadurch zu einer Geisel der Interessen des Westens machen.

Am 3. Juli kommt der russische Präsident Dmitri Medwedew nach Baku. In der letzten Zeit hat Moskau einige verlockende Angebote an Baku gerichtet, die im Gegensatz zu den abstrakten und spekulativen Vorteilen einer Nato-Mitgliedschaft ganz konkrete politische und materielle Profite verheißen.

Mir scheint, dass der pragmatisch veranlagte Präsident Ilcham Alijew mehr mit einer produktiven Zusammenarbeit mit Russland rechnet, als mit den unrealistischen Vorschlägen einer US-Botschafterin.

Obwohl, wer sagt überhaupt, dass Aserbaidschan irgendwann versprochen hat, dem Nato-Bündnis beizutreten? Denn hier hat man es immer vorgezogen, eher von einer „weiteren Entwicklung der Kooperation mit der Allianz“ zu sprechen.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 30. Juni 2008; http://de.rian.ru



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