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Spannungen in Aserbaidshan wachsen

Putschversuch oder vorsorgliche Ausschaltung eines Alijew-Konkurrenten?

Von Vougar Aslanov*

Am 6. November wird in Aserbaidshan ein neues Parlament gewählt. Droht eine neue »Revolution«? Präsident Ilham Alijew hat vorgesorgt.

In Aserbaidshan sei drei Wochen vor den Wahlen ein Putsch verhindert worden, verkündeten die Sicherheitsbehörden des Landes. Drahtzieher, so hieß es in den offiziellen Verlautbarungen, seien der ehemalige Finanzminister Fikret Jusifow und der amtierende Wirtschaftsminister Farhad Alijew gewesen. Mit Unterstützung anderer Beamter und Geschäftsleute hätten sie den im Exil lebenden Rasul Gulijew an die Macht bringen wollen.

Als diese Erklärung am 20. Oktober veröffentlicht wurde, waren die Beschuldigten schon verhaftet: Bei der Durchsuchung des Jusifow-Hauses hatte man 100 000 Euro und 60 000 US-Dollar beschlagnahmt. Der ehemalige Finanzminister gestand, auf Anweisung Gulijews den Sturz von Präsident Ilham Alijew geplant zu haben. Das Geld stamme von Anhängern und Verwandten Gulijews.

Dieses Geständnis, wahrscheinlich durch Drohungen und Folter erpresst, zog weitere Festnahmen nach sich. Betroffen waren der schon erwähnte Wirtschaftsminister Farhad Alijew und dessen Bruder Rafig, Gesundheitsminister Ali Insanow und etliche Gulijew-Anhänger. Weitere Verhaftungen schließt die Regierung nicht aus.

Rasul Gulijew, Hauptperson dieser Geschichte, hatte am 17. Oktober, nach neunjährigem Exil in den USA, in die Heimat zurückkehren wollen. Sein Flugzeug aus London erhielt jedoch keine Landeerlaubnis in Baku. Gulijew wurde vielmehr bei einer Zwischenlandung im ukrainischen Simferopol aufgrund eines aserbaidshanischen Auslieferungsersuchens festgenommen. Ukrainische Richter hielten die vorgelegten Beweise für die Unterschlagung von Staatseigentum aber nicht für ausreichend, zumal Gulijew in den USA als politischer Flüchtling anerkannt war. Der Beschuldigte wurde freigesprochen und flog nach London zurück.

Aserbaidshans Opposition ist in einer schwierigen Lage. Ihre beiden größten Parteien – die Volksfrontpartei und »Mussawat« – hatten gemeinsam mit Gulijews Demokratischer Partei den Wahlblock »Azadlig« (Freiheit) gegründet, der mehrere Straßenproteste gegen staatliche Eingriffe in den Wahlprozess anführte. Nach den Präsidentschaftswahlen 2003 durch Repressalien erheblich geschwächt, hatte die Opposition auf das Bündnis mit Gulijew gesetzt, der im Westen als Demokrat ebenso wie als Erdölfachmann gilt. In Baku leitete er einst eine Fabrik für Ölprodukte und galt als einer der reichsten Männer Aserbaidshans. In der Volksfront-Regierung 1992 als Vizepremier für die Ölwirtschaft zuständig, unterstützte Gulijew 1993 den ehemaligen KP-Chef Hejdar Alijew bei dessen neuerlichem Machtantritt. Dafür durfte er bis 1996 dem Parlament vorsitzen, geriet jedoch in Konflikt mit der Familie Alijew. Angeblich erboste ihn, dass Hejdar Alijew nicht ihm, sondern seinem Sohn Ilham, dem heutigen Präsidenten, die Verantwortung für das Ölgeschäft übertragen hatte. 1996 emigrierte er jedenfalls in die USA, wo er seine Demokratische Partei gründete.

Nun fürchtet Ilham Alijew offenbar, dass Gulijew von den USA als kompetenterer und bequemerer Partner angesehen werden könnte. Überdies wird der nicht nur von der Opposition unterstützt, er genießt offenbar auch im Regierungsapparat heimliche Sympathien. Die versuchte Rückkehr des potenziellen Rivalen gab Alijew die Chance, mit den »Verrätern« im eigenen Lager abzurechnen. Eine Woche nach den Parlamentswahlen soll gemäß Alijews Plänen das erste Öl durch die Pipeline Baku-Tbilissi-Ceyhan – vom Kaspischen Meer an die türkische Mittelmeerküste – transportiert werden. Damit will der Präsident seinen westlichen Partnern wohl bedeuten, dass ihnen stabile Öllieferungen mindestens so wichtig sein sollten wie die Wahlen.

Die Lage im Lande bleibt gespannt. Trotz der Festnahmen versucht die Opposition, ihren Kampf für gerechte Wahlen fortzusetzen. Neue Kundgebungen sind geplant – und die Regierung ist gewillt, weiterhin hart gegen ihre Gegner vorzugehen.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Oktober 2005


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