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Widersprüchliche Signale

Aserbeidschan: Konflikt um Berg-Karabach bleibt trotz Verhandlungen vorerst ungeklärt

Von Hans Voß*

Die Tatsache, dass sich in der letzten Zeit die Treffen von Staatschefs und Außenministern Aserbaidshans und Armeniens häufen, hat vorsichtigen Optimismus bezüglich einer Lösung des strittigen Problems Berg-Karabach keimen lassen.

Nach langer Sprachlosigkeit, begleitet von immer neuen Schuldzuweisungen, scheint ein Verhandlungsfaden geknüpft zu sein. Zugleich irritieren jedoch widersprüchliche Äußerungen der Kontrahenten. Mal ist von Fortschritten die Rede, mal von Stagnation. Vor diesem Hintergrund war man gespannt darauf, was Armeniens Außenminister Vasdan Oskanian bei seinem jüngsten Deutschland-Besuch zu sagen hatte.

Seit Jahrzehnten streiten Armenien und Aserbaidshan erbittert um Berg-Karabach (ruus. Nagorny Karabach), eine Enklave im Herzen Aserbaidshans, jedoch vorwiegend von Armeniern bewohnt. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR, in der Berg-Karabach Aserbaidshan zugeschlagen worden war, entbrannte ein offener Krieg mit zahlreichen Opfern. Erst durch die Vermittlung der OSZE, die dazu die so genannte Minsker Gruppe einsetzte, wurde 1994 ein Waffenstillstand vereinbart. Er beruht auf dem seinerzeit erreichten Besitzstand: Ein Großteil der aserbaidshanischen Bevölkerung war geflohen, Berg-Karabach blieb von armenischen Truppen besetzt und wurde durch einen Korridor mit Armenien verbunden. Jerewan bemühte sich, ein selbstständiges staatliches Gebilde zu etablieren.

Die Minsker Gruppe, zu der u. a. Russland, die USA und die Bundesrepublik gehören, unterbreitete zahlreiche Vorschläge zur Lösung des Konflikts um den Status des Gebiets. Von einer De-facto-Unabhängigkeit innerhalb Aserbaid-shans war ebenso die Rede wie von einem Abzug der armenischen Streitkräfte. Die OSZE erklärte ihre Bereitschaft, eine Friedenstruppe zu entsenden. Ihr Budapester Gipfel 1994 bildete einen Planungsstab, der die Einzelheiten ausarbeitete. Wenn die OSZE-Vorstellungen auch nicht verwirklicht werden konnten und möglicherweise nicht mehr zeitgemäß sind, bleibt doch festzuhalten, dass es noch Mitte der 90er Jahre ernsthafte Überlegungen gab, der OSZE sicherheitsrelevante Aufgaben, einschließlich des Einsatzes militärischer Kräfte, zu übertragen. Heute ist nur noch von einer eventuellen Entsendung von NATO-Kräften die Rede.

Die wesentliche Ursache für das Scheitern aller Vermittlungsbemühungen erwächst aus den gegensätzlichen Grundpositionen. Aserbaidshan betrachtet Berg-Karabach weiter als Teil des eigenen Staatsgebiets und lehnt jeden Sonderstatus für die Enklave ab. Armenien hingegen verlangt, dass man es der Bevölkerung Berg-Karabachs überlassen müsse, über dessen Zukunft zu entscheiden.

Genau diese Haltung vertrat der armenische Außenminister in Berlin. Er betonte zwar die Kompromissbereitschaft seiner Regierung und sprach geheimnisvoll davon, dass man in den Verhandlungen weiter vorangekommen sei, als man öffentlich darlegen könne. Abstriche an der Forderung nach Durchsetzung des Selbstbestimmungsprinzips machte er jedoch nicht. Der Frage, ob ein Referendum nicht auch durchgeführt werden könne, wenn vorher die territoriale Integrität Aserbaidshans anerkannt wird, wich er aus.

Offensichtlich ist Armenien angesichts seines Einflusses in Berg-Karabach eher am Fortbestehen des gegenwärtigen Zustandes interessiert als daran, den Weg in eine unsichere Zukunft zu gehen. Aber auch die um Positionen im Kaukasus ringenden Großmächte USA und Russland scheinen alles zu tun, um eine Konfrontation in dieser Region zu verhindern. Zu wichtig ist es, keine Störungen der lebenswichtigen Energielieferungen zuzulassen. Ein eingefrorener Konflikt erscheint vielen daher als das kleinere Übel.

* Aus: Neues Deutschland, 4. März 2006


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