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Aserbeidschan vor der Parlamentswahl: Eine bunte Revolution wird es wohl nicht geben

Schon heute ist Aserbaidschan ein bevorzugter Platz für ausländische Investoren - Die USA gehen kein Risiko ein - Opposition keine ernsthafte Gefahr für Regierung

In Aserbeidschan wird am 6. November ein neues Parlament gewählt. Hierzu dokumentieren wir drei aktuelle Artikel:

Ilham Alijew warnt: Keine Anarchie!

Aserbaidshans Opposition hofft auf eine »Revolution« nach den Parlamentswahlen

Von Irina Wolkowa, Moskau*

Sensationen, gar eine weitere »Revolution« wie vor zwei Jahren im benachbarten Georgien oder im März in Kirgisstan, sind bei den Parlamentswahlen in Aserbaidshan am Sonntag [6. November 2005] nicht zu erwarten.

Kurz vor seinem Tode im August 2003 hatte Haydar Alijew, langjähriger KP-Chef der Sowjetrepublik Aserbaidshan und seit 1993 erneut – nunmehr als Präsident – Herrscher über das Land, seinen damals 42-jährigen Sohn Ilham zum Premierminister ernannt. Erwartungsgemäß fuhr dieser bei den Präsidentenwahlen zwei Monate später einen haushohen Sieg ein. Internationale Beobachter kritisierten die Wahl jedoch als unfair und beanstandeten massive Behinderungen der Opposition, deren Proteste zu mehrtägigen Unruhen mit Toten und Verletzten führten. Auch innerhalb der herrschenden Eliten formierte sich Widerstand gegen Ilham. Uncharismatisch und politisch unerfahren, war der vormalige Vizepräsident der nationalen Ölgesellschaft SOCAR vom Nachitschewaner Clan – der traditionellen Hausmacht der Alijew-Dynastie – als Kompromissfigur an die Macht gehievt worden. Zunächst aber scheiterte er an der Aufgabe des Ausgleichs zwischen den konkurrierenden Interessengruppen innerhalb der Regierungspartei Neues Aserbaidschan: auf der einen Seite die alte Garde der Weggefährten von »Baba« Väterchen Haydar, auf der anderen die »jungen Reformer«.

Dann spitzte sich der Konflikt zwischen dem Alijew-Clan und den Yeraz zu. Das Wort ist eine Zusammenziehung von »Jerewan« und »Aserbaidshan«. Die Vorfahren der Yeraz lebten bis 1828 im Chanat Eriwan, einer damals türkischen Provinz mit armenisch-christlicher und türkischstämmig-muslimischer Mischbevölkerung. Als das Gebiet an Russland kam, emigrierten die meisten nach Baku, wo sie schnell zu wirtschaftlichem Einfluss gelangten. Ihre Landsmannschaft ist bis heute straff organisiert und wird auch von den ebenfalls aus Armenien stammenden muslimischen Kurden unterstützt.

Nach dem Tod des Alijew-Seniors rissen die Yeraz Schlüsselposten im aserbaidshanischen Kabinett und damit die Kontrolle über die Erlöse aus dem Transit des Kaspi-Öls an sich, das künftig durch die Pipeline zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan gen Westen fließt. In Baku kursierten schon Gerüchte, wonach die Yeraz einen Staatsstreich planten und dazu den Schulterschluss mit der Opposition suchten – vor allem mit dem in die USA emigrierten ehemaligen Parlamentschef und Vorsitzenden der Demokratischen Partei, Rasul Gulijew. Als Datum wurde der 17. Oktober genannt.

Alijew junior konterte mit Verhaftungen hochrangiger Regierungsbeamter und übernahm gleichzeitig Forderungen aus dem Katalog der Opposition, vor allem die nach Wirtschaftsreformen und transparenten Parlamentswahlen. Auf diese Weise ihrer wichtigsten Trümpfe beraubt, dürfte die Opposition – ohnehin nicht geschlossen – am Sonntag auf maximal 30 Prozent der Stimmen kommen und damit keine ernsthafte Gefahr für die Macht darstellen. Ungeachtet dessen beklagt das Oppositionsbündnis Azadlyq (Freiheit) schon jetzt Wahlfälschungen und kündigt Proteste an.

Alijew setzte dagegen, er werde einen Zustand der Anarchie nicht zulassen. Und warum sollten die USA – auf die seine Gegner bauen – das Risiko einer »Revolution« eingehen, wenn ihnen der Zugriff auf den Ölreichtum Aserbaidshans garantiert ist? Bisher jedenfalls zeigten sie dem Präsidenten in Baku allenfalls den erhobenen Zeigefinger, wenn er Kundgebungen gewaltsam auseinandertreiben ließ.

* Aus: Neues Deutschland, 5. November 2005


Der verratene Umsturz

Aserbaidschans Opposition darf sich keine großen Hoffnungen auf westliche Unterstützung machen. Parlamentswahlen am Sonntag

Von Werner Pirker

In der transkaukasischen Republik Aserbaidschan wird am Sonntag [6. November 2005] ein neues Parlament gewählt. Rund 2000 Kandidaten bewerben sich um die 125 Sitze im Einkammerparlament (Milli Meclisi), das von der Regierungspartei »Neues Aserbaidschan« um Präsident Ilham Alijew dominiert wird. Die im Wahlkampf vereinigte Opposition hat die Hauptstadt Baku schon seit Monaten in einen permanenten Kundgebungszustand versetzt. Davon erhofft sie sich die Entwicklung eines Szenarios nach dem Muster »bunter Revolutionen«. Schon vor den Wahlen wirft sie dem Regierungslager Wahlfälschungen vor und hat die Proteste danach bereits eingeplant.

Bündnis gegen Baku

Das Oppositionsbündnis »Azadliq« (Freiheit) wird von drei Parteien getragen: Der Volksfront, der Musawat-Partei und der Demokratischen Partei. Die Volksfront entstand in der Endphase der Gorbatschow-Perestroika als antisowjetische Unabhängigkeitsbewegung und war ursprünglich gegen armenische Bestrebungen gerichtet, die sich im territorialen Bestand Aserbaidschans befindliche, aber überwiegend von Armeniern besiedelte autonome Republik Nagorny Karabach an Armenien anzuschließen. Die Musawat-Partei hat ihre traditionellen Wurzeln im nationalistischen – pantürkisch orientierten – Widerstand zu Beginn der Sowjetmacht. Die Demokratische Partei entwickelte sich aus dem neureichen Business. Ihr Vorsitzender, Rasul Gulijew, dem die Unterschlagung von Staatsgeldern vorgeworfen wird, lebte zehn Jahre im westlichen Exil. Nachdem seinem Flugzeug am 17. Oktober 2005 die Landeerlaubnis in Baku verweigert worden war, schnappte die Interpol-Falle im ukrainischen Simferopol zu.

Die Oppositionseliten sind keine Newcomer. Sie hatten zu Beginn der 90er Jahre Gelegenheit, die Macht auszukosten – mit für das Land verheerenden Folgen. Die marktwirtschaftliche Transformation zerstörte das traditionelle Sozialgefüge, Wirtschaftskriminelle bemächtigten sich der ökonomischen Schalthebel, und zu allem Überdruß ging auch noch Karabach an Armenien verloren. Die geschlagenen Truppen rebellierten im Juni 1993 gegen die Regierung des Volksfront-Chefs Albufaz Eltschibey. In dieser Situation erschien Gaidar Alijew, früher Parteichef der Republik und Mitglied des Politbüros der KPdSU, als Retter in höchster Not. Er verfügte über das machttechnologische know how, das von Clanstrukturen beherrschte Land politisch zu stabilisieren und eine autoritäre, die eigene Umgebung begünstigende kapitalistische Modernisierung einzuleiten. Dazu kam ihm auch noch sein Sowjetbonus als sozial gerechter, fürsorglicher Landesvater zugute.

»Retter« Alijew

Unter seiner Präsidentschaft wurde Aserbaidschan zu einem bevorzugten Platz für ausländische Investoren. Es wurden Verträge mit internationalen Erdölkonsortien über die Erschließung von Offshore-Lagerstätten abgeschlossen, Auslandskapital floß ins Land, und der Investitionsschutz ist bestens garantiert.

Gaidar Alijews Sohn Ilham sorgt inzwischen für Kontinuität. Deshalb hat die Opposition auch keine besonders guten Karten. Im Westen, vor allem in den USA, besteht wenig Bereitschaft, sich auf das Risiko eines Regimewechsels einzulassen. Darauf aber, daß die USA in Baku ein noch stärker auf ihre Interessen ausgerichtetes Regime an der Macht sehen wollen, ruhen alle Hoffnungen der Opposition. Diese weiß ganz genau, daß die Erfolgsgarantie einer »friedlichen Revolution« nicht in der eigenen Kraft liegt, sondern in der massiven Einflußnahme Washingtons und Brüssels zugunsten der Umsturzkräfte. Isa Gambar, Führer der Musawat-Partei und des Oppositionsblocks, klammert sich verzweifelt an eine Aussage von US-Präsident Bush, auch in Aserbaidschan »auf der Seite der Menschenrechte« zu stehen. Ginge es wirklich um die Menschenrechte und nicht um den Zugriff der USA auf die Ölressourcen an der Kaspischen See, dann müßten die Freunde Amerikas in Baku amerikanische Unterstützung für ihre Machtambitionen ohnedies gleich abschreiben.

Aus: junge Welt, 4. November 2005


Keine bunte Revolution

Am kommenden Sonntag [6. November 2005] wird in Aserbaidschan gewählt. Im Gegensatz zu den Umstürzen in Georgien oder der Ukraine setzt der Westen hier auf Stabilität – und Ölprofite

Von Hermann Werle


Während die oppositionellen Gruppierungen in anderen ehemaligen Sowjetrepubliken auf die massive Unterstützung westlicher Regierungen und finanzstarker Stiftungen zählen konnten, halten sich diese in Aserbaidschan auffallend zurück. Selbst die Festnahme Rasul Gulijews in der Ukraine, der als Führer der oppositionellen Demokratischen Partei aus dem Exil zu den Wahlen nach Aserbaidschan reisen wollte, wurde international kaum registriert.

Ein Grund für die Zurückhaltung könnte das scheinbar gute Investitionsklima in der Kaukasusrepublik sein, wie es in einer kürzlich erschienenen Studie der Heirich-Böll-Stiftung anklingt. Die Opposition repräsentiere lediglich »einen begrenzten Teil des gesellschaftlichen Spektrums«, heißt es in dem Papier. Zahlreiche Wahlkampfäußerungen von Führungsfiguren der Opposition wären »nicht dazu angetan, bei westlichen Partnern und vor allem Ölinvestoren Hoffnungen auszulösen, daß durch eine Machtübernahme der Opposition eine berechenbare, kompromißbereite und Stabilität garantierende Regierung gebildet werden könnte.« Auch in Washington scheint Skepsis gegenüber der Opposition vorherrschend zu sein. Derzeit unterstützen »vielleicht die meisten Aserbaidschaner Präsident Ilham Alijew«, erklärte kürzlich der ehemalige Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski: »Deshalb haben wir es hier mit einer Situation zu tun, die man nicht mit der in jenen Ländern (gemeint sind Georgien, Ukraine, Kirgistan, H.W.) vergleichen kann.«

Garant für Profite

Deutsche Wirtschaftskreise sehen in der gegenwärtigen Regierung offensichtlich den Garanten für Stabilität. Siemens vermeldete im August einen Großauftrag für den Bau eines Gas- und Dampfturbinenkraftwerks des Staatsbetriebs Azernerji JSC mit einem Volumen von rund 260 Millionen Euro. Damit sei dem Konzern nach eigenem Bekunden der »Einstieg in der dynamischsten Ölförderregion am Kaspischen Meer« gelungen. Erst am 31. Mai hatte »mit freundlicher Unterstützung der Siemens AG« eine »Deutsch-Aserbaidschanische Wirtschaftskonferenz« in Berlin stattgefunden, die vom Bundeswirtschaftsministerium und dem Ostausschuß der Deutschen Wirtschaft veranstaltet worden war. Karl-Ernst Brauner, Ministerialdirektor im Bundeswirtschaftsministerium und Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), lobte bei dieser Gelegenheit »die vollzogenen Verwaltungs- und Landwirtschaftsreformen«. Der Spitzenbeamte betonte während der Konferenz gegenüber dem am 19. Oktober aus seinem Amt entfernten aserbaidschanischen Wirtschaftsminister Farhad Aliev, »daß Deutschland nachhaltig den Beitritt Aserbaidschans zur WTO fördert«.

Auch der Finanzsektor Aserbaidschans lockt deutsche Interessenten: So stiegen in diesem Jahr BRD-Sparkassen und die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG), eine Tochtergesellschaft der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), in das Bankgeschäft ein. Sie übernahmen 25,1 Prozent der Bank Respublika und ließen sich diese Investition inzwischen von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) versilbern. Die EBWE gewährte für »die Entwicklung des Unternehmertums« Aserbaidschans kürzlich einen Kredit von 3,5 Millionen US-Dollar – zwei Millionen davon gingen an die DEG-Partnerbank Respublika.

Geld für Öl

Insgesamt belaufen sich die Investitionen der EBWE in Aserbaidschan auf über 570 Millionen Euro. Ein Großteil davon floß und fließt in die Erdöl- und Gaswirtschaft. Laut dem Jahresbericht 2004 der Entwicklungsbank sei es Ziel der Initiative, im Kaukasus »die Armut in diesen Ländern auf nachhaltiger Grundlage anzugehen, und zwar durch Vermehrung der Investitionen und durch die Unterstützung der laufenden Reformen. Die Initiative schaffe die Grundlage für eine rechenschaftspflichtige Regierung und ziele darauf ab, daß die gesamte Bevölkerung Aserbaidschans von den gewaltigen Bodenschätzen des Landes profitieren könne.

Von solch guten Vorsätzen ist in der Realität nicht viel zu bemerken. Bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 8,5 Millionen Menschen sind weit über eine Million Aseris als Arbeitsmigranten in Rußland tätig. Das Ausbleiben einer dramatischen sozialen Krise in Aserbaidschan ist bislang lediglich dem Umstand zu danken, daß die regelmäßigen Überweisungen der Arbeitsmigranten das Überleben ihrer Familien ermöglicht.

Gesichert allerdings sind hingegen die Profite von Konzernen wie BP oder Siemens, sowie des Clans von Präsident Alijew. Öleinnahmen und vielfältige Investitionsanreize tragen dazu bei, daß deren Geschäfte boomen. Gegen diese Konstellation hat die zerstrittene Opposition wenig vorzuweisen. Es gibt weder einen charismatischen Präsidentschaftskandidaten noch ein glaubwürdiges Programm, das den internationalen Investoren oder der in Armut lebenden Bevölkerung etwas bieten könnte.

Aus: junge Welt, 2. November 2005


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