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Opposition wagt sich geeint zur Wahl

In Aserbaidshan fordert Oscar-Preisträger Ibrahimbekow den autoritären Präsidenten Alijew heraus

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Kultfilmemacher Rustam Ibrahimbekow will bei den Präsidentenwahlen in Aserbaidshan gegen Amtsinhaber Ilham Alijew antreten.

So etwas gab es noch nicht auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion: Die aserbaidshanische Opposition rafft sich auf, all ihre Rivalitäten hintanzustellen, sich auf ein gemeinsames Führungsgremium – den Nationalrat – zu verständigen und einen gemeinsamen Kandidaten für die Präsidentenwahlen am 16. Oktober zu nominieren

Zwar gilt als sicher, dass Amtsinhaber Ilham Alijew auch diesmal das Rennen macht. Er regiert die öl- und gasreiche Neun-Millionen-Republik im Südostkaukasus seit 2003 mit ähnlich autoritären Methoden wie sein Vater Haydar.

Dieser war langjähriger Partei- und Geheimdienstchef der Sowjetrepublik Aserbaidshan, danach Politbüromitglied in Moskau und beendete 1993 Wirren und bürgerkriegsähnliche Zustände in seiner Heimat. Er wird dort seither als Übervater der Nation verehrt. Ein Bonus, von dem auch Sohn Ilham zehrt, der vom Vater neben dem Präsidentenamt auch den Vorsitz in der Regierungspartei Yeni Azebaican (Neues Aserbaidshan) erbte.

Ob er bei fairen und freien Wahlen – Standards, die bei bisherigen Abstimmungen stets verfehlt wurden – sein Amt bereits im ersten Wahlgang verteidigen kann, ist jedoch so sicher nicht. Der Name seines Herausforderers: Rustam Ibrahimbekow (auch: Rüstem Ibrahimbeyew). Der heute 74-jährige Oppositionsführer und Filmproduzent hatte 1970 das Drehbuch für »Die weiße Sonne der Wüste« geschrieben. Der Streifen hat bis heute Kultstatus in den UdSSR-Nachfolgestaaten. Für das Drehbuch zu »Die Sonne, die uns täuscht«, eine Abrechnung mit dem Stalinismus, bekam er 1995 sogar einen Oscar. Den ersten und bisher einzigen für einen Aseri.

Der Film wurde in Russland produziert, dessen Staatsbürgerschaft Ibrahimbekow neben der aserbaidshanischen hat. Daran und an der Tatsache, dass er im Ausland lebt – in Moskau und im georgischen Tbilissi – wäre seine Nominierung um ein Haar gescheitert. Bewerber müssen sich spätestens 35 Tage vor dem Wahltermin von der Zentralen Wahlkommission registrieren lassen. Die Entlassung aus der russischen Staatsbürgerschaft dauert viel länger. Der Kult-Filmemacher bekam die Entlassungsurkunde aber wenige Tage nach Eingang seines Gesuchs. Präsident Wladimir Putin soll den Fall per Erlass beschleunigt haben, heißt es.

Damit vergeigte Moskau ganz sicher die Chance, die strategisch wichtige öl- und gasreiche Republik im Südostkaukasus in das pro-russische Lager zu ziehen. Derzeit ist Aserbaidshan weder Mitglied der Organisation des Vertrags für kollektive Sicherheit – dem Verteidigungsbündnis der UdSSR-Nachfolge-Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) – noch der von Moskau dominierten Strukturen zur wirtschaftlichen Reintegration der UdSSR-Spaltprodukte. Seit die Alijews an der Macht sind, betreibt Baku auch eine mehr oder minder neutrale Außenpolitik. Und nichts deutet auf einen Machtwechsel dort hin. Dass der prorussische Ibrahimbekow die Wahlen gewinnt, glaubt nicht einmal er selbst. Wenn er denn überhaupt als Kandidat zugelassen werden sollte.

Schon bei der Sammlung der dazu nötigen Unterschriften, werde er massiv behindert, klagte er bei kritischen Medien. Faktisch dürfe er die Hauptstadt nicht verlassen. Und dann ist da noch das Verfahren wegen Steuerhinterziehung, das gegen den Verband der Filmschaffenden Aserbaidshans läuft. Rustam Ibrahimbekow ist dessen Vorsitzender.

* Aus: neues deutschland, Montag, 2. September 2013


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