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Birmanischer Selbstmord der Freunde von Sanktionen

Von Dmitri Kossyrew *


Beim alljährlichen Gipfel der zehn ASEAN-Länder stand, wie auch erwartet, das antidemokratische Birma (Myanmar) im Mittelpunkt.

Würde Birma nicht zu diesen zehn südostasiatischen Ländern gehören, so würde der regionale Gipfel an eine Stanzerei erinnern, die eine abermalige Portion von Dokumenten zur Wirtschaftsintegration in diesem wichtigen Teil der Welt herstellt. Der Konflikt innerhalb der zehn Länder wegen dieses Landes zeigt aber, dass in allen Regionen unserer Welt die Integration, der Freihandel usw. viel zu eng mit Veränderungen in der Ideologie und sonstigen globalen Politik verbunden sind, als dass alles ganz glatt, ohne Vorkommnisse verläuft.

Es ereignete sich Folgendes. Der "am weitesten Rande gelegene", den übrigen ASEAN-Ländern fremdeste Staat, die Philippinen, warnte die übrigen Mitglieder der Gruppierung: Wenn alle Länder der Region Birma nicht zwingen, ein demokratischeres Regime zu errichten, werde der Senat der Philippinen eventuell die ASEAN-Satzung nicht bestätigen. Dabei war diese Satzung von Anfang an als Schlüsselereignis des gesamten Gipfeltreffens in Singapur gedacht. Sie wird nicht in Kraft treten, wenn sie auch nur eines der ASEAN-Länder nicht ratifiziert.

Die Satzung ist ein höchst interessantes Dokument, um welches in der Organisation unauffällig, aber sehr hart gestritten wurde. Eine volle Analogie dazu liefert das Sujet mit der EU-Verfassung und den Streitereien um diese. Doch in Asien ist das Wesen der Streite denen in der EU genau entgegengesetzt. Die Europäer versuchen, durch die Mechanismen der nationalen Referenden (oder andere Mechanismen) Prinzipien durchzudrücken, die die Souveränität der europäischen Länder beschneiden und das Abgeschnittene auf die Eurostrukturen in Brüssel übertragen. Die ASEAN strebt gerade das Gegenteil davon an: Niemand darf sich in die inneren Angelegenheiten jedes der zehn Länder je einmischen. Selbst wenn dieses Land Birma mit seinem militärischen Regime ist, das seine Nation in den 60er Jahren gleichsam auf Eis gelegt hat. Was im Endergebnis in die Satzung aufgenommen wurde.

Man könnte sogar sagen: Die EU wurde gegründet, damit die Einmischung in die inneren Angelegenheiten ihrer Mitglieder (zumindest in der Wirtschaft) möglich wurde, die ASEAN aber verfolgt genau entgegengesetzte Ziele.

Doch Eintracht gibt es weder in der einen noch in der anderen regionalen Gruppierung. Der Störenfried in Europa ist Polen, das unter dem Regime der Brüder Kaczynski verdächtigt wurde, das Trojanische Pferd Amerikas in der EU zu sein und die Aufgabe zu haben, die EU an einer zu schnellen Entwicklung zu hindern. In Südostasien wird diese Rolle im gegebenen Fall den Philippinen zugeschrieben, obwohl es auch Singapur hätte sein können (aber auf diesem Treffen ist es die empfangende Seite).

Was den besonderen und unbestreitbar undemokratischen Charakter Birmas angeht, so könnte an seiner Stelle jedes der ASEAN-Länder sein, beispielsweise Thailand (wo es vor kurzem zu einem Militärumsturz kam) oder Vietnam oder auch einige weitere Kandidaten. Nicht von ungefähr also versucht ein Großteil der Mitgliedsländer, Birma vor einer äußeren Einmischung zu bewahren: Sie schützen sich und ihr Recht, die Demokratie in einem für ihre Gesellschaften organischen Tempo und nicht in der importierten "rasch lösbaren" Variante zu entwickeln.

Und das schaffen sie ganz gut. Denn ohne die Satzung existierte die ASEAN 40 Jahre lang und kann auch weiter existieren. Aber eine sich erfolgreich entwickelnde Wirtschaft ihrer Mitgliedsländer ist etwas Wichtigeres. Deshalb stand als zweiter Punkt im Programm des Gipfels in Singapur die Erörterung der Freihandelsabkommen mit einigen pazifischen Mächten. Das geschah insbesondere in den Sitzungen nach der Formel "ASEAN+6". Die sechs sind China, Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland und Indien.

Es ergab sich hierbei folgendes Bild: Das Freihandelsabkommen mit Japan kann bereits in einigen Wochen unterzeichnet werden, ihm folgt ein eben solches Abkommen mit China. Was die USA und die EU, die an dieser Sitzung nicht teilnahmen, sowie Australien betrifft, so wirken bei ihnen Sanktionen gegen Birma, und es ist begreiflich, dass es keinen Freihandel mit den zehn Ländern geben kann, solange über eines davon Sanktionen verhängt sind.

Ergebnis: Die zehn ASEAN-Länder, deren Waren zu den Märkten Chinas, aber nicht der USA frei zugelassen werden sollen, bekommen noch mehr Gründe, China zu respektieren. Unter anderem seine Meinung über besagtes Birma - sie fällt mit den Überzeugungen des größeren Teils der ASEAN zusammen. Die übrigen äußeren Mächte dagegen verlieren ihren Einfluss in der Region. Das "prowestliche" Japan ist freilich bemüht, den Fehler zu vermeiden: Für dieses Land ist Asien, insbesondere China, die wichtigste Quelle für das wirtschaftliche Überleben. Indien aber sitzt sicher und fest auf zwei Stühlen und verzögert die Verhandlungen, weil es mit den Agrartarifen nicht einverstanden ist.

Schwer zu sagen, wie oft noch die Anhänger von Sanktionen als Instrument einer beschleunigten Einführung der Demokratie - die USA oder die EU-Länder - solche Mini-Selbstmorde bald in einem, bald in einem anderen Teil der Welt begehen werden. Wahrscheinlich so lange, bis die demokratische Ideologie für sie aufhört, eine Art versteinerte und mit der Realität nicht verbundene Religion zu sein, die man gerne abschaffen würde, wenn das absolut risikolos wäre.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 23. November 2007;
http://de.rian.ru



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