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Konflikt entschärft? Japans Eliten und die Nachkriegsordnung

Chinas Präsident sprach in Jakarta mit Japans Regierungschef - Entschuldigung aus taktischen Erwägungen? Eiichi Kido, Professor für Politikwissenschaft an der Staatlichen Universität Osaka, im Gespräch



Konflikt entschärft

Von Wolfgang Pomrehn*

Chinas Präsident Hu Jintao traf sich am Samstag am Rande des Asien-Afrika-Gipfels in Indonesiens Hauptstadt Jakarta mit Japans Premierminister Junichiro Koizumi. Das Gespräch war auf Initiative der japanischen Seite zustandegekommen, nachdem sich in den letzten Wochen zunehmend Spannungen zwischen den beiden ostasiatischen Nachbarn aufgebaut hatten. Bei der Begegnung warf Hu Koizumi vor, Japan halte sich nicht an seine Verpflichtungen, die es mit dem chinesisch-japanischen Friedensvertrag und den beiden bilateralen Erklärungen eingegangen sei, berichtet die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua. Die Aggression des militaristischen Japans habe in den 30er und 40er Jahren dem chinesischen Volk enormes Leid und enorme Verluste gebracht. Japan solle daher das Bedauern, daß Koizumi am Vortag zum ersten Mal seit zehn Jahren öffentlich ausgedrückt hatte, in konkrete Aktionen umsetzen und alle Schritte unterlassen, die die Gefühle der Chinesen und anderer asiatischer Völker verletzen.

Japan hatte während des Zweiten Weltkrieges ganz Ost- und Südostasien besetzt und sich zahlreiche Kriegsverbrechen zu Schulden kommen lassen, darunter den Einsatz biologischer Kampfstoffe, Menschenexperimente an Gefangenen und die Versklavung Hunderttausender Frauen für Bordelle der kaiserlichen Armee. In Nanjing (Nanking) wurden 1937 bis zu 300000 Zivilisten durch japanische Truppen massakriert. Der jüngste Konflikt hatte sich an der Zulassung eines Schulbuchs durch das Tokioter Kultusministerium entzündet, das diese Greueltaten verharmlost und größtenteils verschweigt. In verschiedenen chinesischen Großstädten kam es daraufhin in den letzten Wochen zu größeren Demonstrationen.

Koizumi und Hu gaben nach ihrem Gespräch getrennte Pressekonferenzen. Hu wiederholte vor der Presse seine Vorwürfe, während sich Koizumi sehr bedeckt hielt. »Japan und China haben sich niemals so sehr benötigt wie derzeit«, zitierte ihn die Jakarta Post. »Wir wollen die Beziehungen fördern ... anstatt feindliche Gefühle zu nähren.« Allerdings vermied Koizumi jeden Hinweis auf konkrete Maßnahmen oder eine Änderung seiner Politik. Insbesondere unterließ er eine klare Aussage zu seinen umstrittenen jährlichen Besuchen des Yasukuni-Schreins, in dem unter anderem einige von Japans Hauptkriegsverbrechern geehrt werden. Aufgrund dieser Huldigungen verweigert die chinesische Seite seit vier Jahren der Tokioter Regierung gegenseitige Staatsbesuche.

Hu hatte offenbar vermieden, diese besonders sensible Frage direkt anzusprechen, um Koizumi eine kleine Brücke zu bauen. Der verkniff sich seinerseits zumindest weitere Provokationen. Insofern scheinen beide Seiten bemüht, den Konflikt zu entschärfen, ohne daß allerdings konkrete Maßnahmen beschlossen worden wären.

* Aus: junge Welt, 25. 04.2005


Die Worte von Premier Koizumi klingen hohl

Ein Gespräch mit Eiichi Kido, Professor für Politikwissenschaft an der Staatlichen Universität Osaka, Japan. Interview: Jürgen Elsässer*

F: Auf dem Asien-Afrika-Gipfel, der von Freitag bis Sonntag in Jakarta stattfand, hat die Pekinger Regierung Tokio zum wiederholten Male eine Verdrängung der japanischen Greueltaten im Zweiten Weltkrieg vorgeworfen. Was war der konkrete Anlaß?

Zu allererst sollte man zur Kenntnis nehmen, daß Japan ein Land ist, in dem die Kräfte, die die unangenehme Vergangenheit verdecken wollen, äußerst stark sind. Das ist auf die personelle und ideologische Kontinuität nach 1945 zurückzuführen. Der konkrete Anlaß war ein geschichtsrevisionistisches Schulbuch, das das japanische Erziehungsministerium wieder zugelassen hat. Dies ist aber nur ein Phänomen. Ministerpräsident Junichiro Koizumi hat immer wieder den Yasukuni-Schrein, den Hort des japanischen Militarismus, offiziell besucht. Die Regierung hat vor, das Erziehungsrahmengesetz und die Verfassung zu ändern, um Japaner heranzuziehen, die ihr Leben willig für den Staat opfern würden. Damit soll Japan als Militärmacht etabliert werden, die im Zeitalter der Globalisierung auf der Seite des »Imperiums« weltweit eingreifen kann. All das schürt in den Nachbarländern Mißtrauen und Antipathie und reißt tiefe innere Wunden wieder auf.

F: Sind die japanischen Schulbücher nicht in den 90er Jahren etwas selbstkritischer auf den Zweiten Weltkrieg eingegangen?

Seit den 60ern haben japanische Historiker und Geschichtspädagogen gegen die Schulbuchkontrolle des Erziehungsministerium gekämpft, um sich wahrheitsgemäß mit der Vergangenheit auseinandersetzen zu können. In den 80er Jahren gab es im In- und Ausland heftige Proteste, als die Obrigkeit in Japan die negative Darstellung japanischer Kriegsverbrechen »neutralisieren« wollte. Mit dem Ende des Kalten Krieges sind verschiedene Probleme der unbewältigten Vergangenheit aufgebrochen. Die Problematik der Sexsklavinnen der kaiserlich-japanischen Armee, der sogenannten Trostfrauen, ist ein Beispiel. In der ersten Hälfte der 90er Jahre schien Japan den Forderungen der ehemaligen Opfer entgegenzukommen. Das hat sich auch in der Darstellung in den Schulbüchern gezeigt.

Dann kam ein heftiger Rückschlag. 1996 haben die Nationalisten einen Verband gegründet, um ein geschichtsrevisionistisches Schulbuch zu publizieren und zu verbreiten. 2001 hat das Erziehungsministerium diesem irrational-nationalistischen Schulbuch die Genehmigung erteilt. Jetzt findet sich auch in anderen Schulbüchern wieder fast keine Darstellungen über die »Trostfrauen« mehr.

F: Wie bewerten Sie, daß Premier Koizumi auf dem Jakarta-Gipfel gegenüber den Nachbarstaaten seine »tiefe Reue« wegen der Vergangenheit bekundet hat?

Schon einige Ministerpräsidenten vor ihm haben so etwas geäußert. Das Problem ist, daß die Japaner davon ausgehen, daß die ehemaligen Opfer die japanischen Kriegsverbrechen nicht nur verzeihen, sondern auch vergessen werden, wenn sie sich entschuldigen. Außerdem entspringt die Entschuldigung vermutlich nur taktischen Überlegungen: Gleichzeitig zu Koizumis Erklärung haben 80 Parlamentsabgeordnete den Yasukuni-Schrein besucht, darunter ein Mitglied von Koizumis Kabinett. Vor diesem Hintergrund klingen die Worte des Premiers hohl.

F: Wie reagieren in Japan Politik und Öffentlichkeit auf die chinesischen Attacken?

Der politische Mainstream Japans besteht aus den sogenannten Erbpolitikern. Sie haben expansionistisch-imperialistische Denkweisen von der alten Generation übernommen und ein Ressentiment gegen die staatliche Ordnung der Nachkriegszeit bewahrt. Diese Politiker fühlen sich in ihrer Verachtung gegen die Nachbarländer durch die aktuellen antijapanische Gewalttaten dort bestätigt. Die Öffentlichkeit teilt mehr oder weniger diese Haß- und Rachegefühle. Die ethnozentristisch-nationalistische Stimmung wirkt auch als Ablenkung von der Frustration, die seit mehr als zehn Jahren durch die wirtschaftliche Flaute gewachsen ist.

* Aus: junge Welt, 25. 04.2005


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