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Islamisten machen Fergana-Tal unsicher

Aus Überfällen könnte regionaler Krieg werden

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Neue Überfälle islamischer Extremisten im Fergana-Tal, wo Usbekistan, Kirgistan und Tadshikistan aneinandergrenzen, sprechen für eine instabile Lage in der zentralasiatischen Region.

Die Grenze zwischen Usbekistan und Kirgistan ist geschlossen, beide Staaten haben ihre dort stationierten Truppen in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Bewohner grenznaher Gebiete Usbekistans beklagen sich, dass ihre Mobiltelefone nicht funktionieren oder der Empfang gestört ist. »Verdächtige« Internet-Seiten sind seit Dienstag ebenfalls nicht zugänglich. Der Grund sind eine Reihe von Anschlägen seit Wochenbeginn.

Im usbekischen Andishan, traditionell eine der Hochburgen islamischer Fundamentalisten, war es bereits im Mai 2005 zu schweren religiös motivierten Unruhen mit vielen Toten gekommen. Am Montag zündete ein Selbstmordattentäter einen Sprengsatz. Mindestens ein Polizist wurde getötet, mehrere Passanten wurden schwer verletzt. In der Nacht zu Dienstag detonierten weitere Sprengsätze im 70 Kilometer entfernten Chanabad. Straßen- und Grenzposten, eine Polizeistation und der örtliche Sitz des usbekischen Sicherheitsdienstes wurden überfallen und beschossen. Anwohner berichten von einem mehrstündigen nächtlichen Schusswechsel. Tags darauf setzte die Regierung in Taschkent Sondereinheiten in Marsch. Sogar Panzerfahrzeuge rückten aus.

Nachrichtenagenturen berichten, die Angreifer seien entkommen. Bisher hat sich niemand zu den Anschlägen bekannt. Nach Meinung von Experten gehen sie auf das Konto der verbotenen Islamischen Bewegung Usbekistans (IMU). Während der Perestroika gegründet, kooperiert die IMU seit dem Ende der Sowjetunion 1991 eng mit islamischen Extremisten in Afghanistan und sorgte zwischen 1998 und 2000 mit dreisten Überfällen im Fergana-Tal für Angst und Schrecken. Nach dem militärischen Scheinsieg der westlichen Antiterrorkoalition über die Taliban Ende 2001 verschwand auch die IMU von der Bildfläche. Deren Führer waren angeblich bei einer Sonderoperation getötet worden. Seit die Taliban erneut auf dem Vormarsch sind, tritt auch die IMU wieder auf den Plan, nicht nur in Usbekistan, sondern auch in Tad-shikistan und Kirgistan.

Die Bezeichnung IMU ist ohnehin irreführend. Der harte Kern der Truppe, die zu ihren Glanzzeiten um die 5000 Mann unter Waffen gehabt haben soll, von denen die Mehrheit zusammen mit den Taliban im Nordwesten Pakistans »überwinterten«, sind nicht Usbeken sondern Tadshiken. Ethnisch den Iranern verwandt, fühlen sie sich als Träger eines reinen und strengen Islam, als die eigentliche Kulturnation Zentralasiens, das im übrigen von Turkvölkern besiedelt ist. Ethnische Tadshiken stellen auch die Bevölkerungsmehrheit im usbekischen und im kirgisischen Teil des Fergana-Tals. Bei Volkszählungen bezeichnen sie sich freilich so, wie es ihnen gerade vorteilhaft erscheint. Und die Regierungen in Taschkent und Bischkek schlugen und schlagen sie gerne der jeweiligen Titularnation zu, in der Hoffnung, damit Forderungen der Nachbarn nach Gebietsaustausch abschmettern zu können.

Das Fergana-Tal gehört zu den wenigen Oasen im wüstentrockenen Zentralasien, ist daher dicht bevölkert und ethnisch so bunt, dass jeder Versuch einer Nationalität, ihren Vorherrschaftsanspruch durchzusetzen, Konflikte auslöst. Solche Konflikte oder Provokationen, warnt Andrej Grosin, der die Zentralasien-Abteilung beim Institut für GUS-Studien in Moskau leitet, können leicht zu einem regionalen Krieg ausufern. Zumal alle drei Staaten stets die jeweils anderen beschuldigen, ihr Territorium diene den Islamisten als Aufmarschbasis.

Böses ahnend hatte die von Russland und China dominierte Shanghai-Organisation für Zusammenarbeit (SCO) schon im Februar die Aufstellung einer gemeinsamen schnellen Eingreiftruppe für Zentralasien beschlossen. Vor allem, um den Drogenschmuggel an der Nordgrenze Afghanistans zu unterbinden. Experten wie Grosin schließen nicht aus, dass die Truppe ihre Feuertaufe im Fergana-Tal bekommt.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Mai 2009


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