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Ressourcenfresser

Die asiatisch-pazifische Boomregion steigert ihre Wirtschaftsleistung weiter zu stark über Materialeinsatz. UNEP-Bericht warnt vor gravierenden Folgen

Von Wolfgang Pomrehn *

China wird hierzulande als großer Exporteur wahrgenommen. Weniger bewußt ist den meisten, daß das Land auch im großen Umfang Waren einführt. Es kauft nicht nur Luxusgüter für die neuen Reichen und Produktionsmittel, zum Beispiel deutsche Fertigungsanlagen für seine vielgescholtene Solarindustrie. Vor allem importiert es Rohmaterialien. Das streicht ein neuer Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (United Nation Environmental Programme – UNEP) heraus. Dieser kommt zu dem Schluß, daß der Rohstoffverbrauch der sogenannten Asien-Pazifik-Region, also Asien östlich des Irans zuzüglich Australien sowie Neuseeland, inzwischen den des Rests der Welt übersteigt. Über 60 Prozent dieses Verbrauchs gehen allein auf das Konto der Volksrepublik und weitere 14 Prozent werden in Indien verbaut und verarbeitet.

Die Region könne sich nicht mehr selbst versorgen und werde zunehmend von Exporten abhängig, so der Bericht. Und das, obwohl zu ihr auch große Rohstoffexporteure wie Indonesien und vor allem Australien gehörten. Von 1970 bis 2008 habe beispielsweise der Verbrauch von Baumaterialien um das 13,4fache zugenommen. Der von Erzen und anderen mineralischen Produkten legte um das 8,6fache, der fossiler Brennstoffe (Gas, Öl und Kohle) um das 5,4fache und selbst der von Biomasse um das 2,7fache zu.

Das bleibt nicht ohne Folgen für die Umwelt, ist aber auch ökonomisch bedenklich, denn die mineralischen Rohstoffe sind nicht unerschöpflich. Insbesondere beim Öl zeichnet sich jetzt ab, daß die Förderung nicht mehr zu steigern ist und das Angebot schon bald zurückgehen wird. Auch Kohle könnte sich im nächsten Jahrzehnt verknappen. Entsprechend besorgt zeigen sich die Autoren des Berichts darüber, daß sich der Anteil der Ressourcen an der generierten Wirtschaftsleistung in der Region in den letzten Jahren sogar noch erhöht hat. »Für jeden US-Dollar Bruttosozialprodukt wird eine zunehmende Menge an Materialien eingesetzt«, meint Park Young-Woo, der bei der UNEP die Abteilung für den Asien-Pazifik-Raum leitet. Zur Zeit sei die Ressourcenintensität der Region dreimal so hoch wie im Rest der Welt. Die »Ressourceneffizienz muß schnell verbessert werden, damit der Materialverbrauch in der Region nicht weiter wächst«, so Park. Notwendig seien innovative Systeme in den Städten, im Verkehr, der Energieversorgung und in den ökonomischen Strukturen.

Auch hier ragt China unter den Ländern des Wirtschaftsraumes heraus. Allein zwischen 2005 und 2008 nahm der Materialverbrauch pro Einwohner um 25 Prozent zu. Bei vielen Rohstoffen, insbesondere beim Öl, ist das Land inzwischen ein Nettoimporteur. In jüngster Zeit trifft das sogar auf Kohle zu, obwohl die Volksrepublik einer der größten Förderstaaten ist. Zwar hat das Land in den 1980er und 1990er große Fortschritte bei der Effizienz gemacht. So große, daß zum Beispiel sein Ausstoß an Treibhausgasen bis in die frühen Jahre des Jahrtausends über 20 Jahre lang annähernd konstant geblieben war. In dem anhaltenden Boom ist aber das Tempo der Effizienzsteigerung seitdem erheblich verlangsamt worden, so daß der Verbrauch an Energie- und anderen Rohstoffen besonders rasch wuchs. Noch hinkt die Volksrepublik auf diesem Gebiet trotz der enormen Modernisierung seiner Industrie weit hinter dem Durchschnitt in der Region hinterher und damit insbesondere auch hinter dem in den alten Industrieländern erreichten Niveau.

Im Vergleich zu China ist der Rohstoffverbrauch in Indien noch gering. Allerdings zeigt der erhebliche Anstieg des Einsatzes von Erzen und anderen Industriemineralien, daß sich die Wirtschaft des Subkontinents in einer Phase des raschen Übergangs befindet – weg von der Dominanz der Landwirtschaft. Auch in Indien hat es laut UNEP-Bericht bis 2004 mehrere Jahrzehnte mit erheblichen Fortschritten in der Steigerung der Effizienz gegeben. Ebenso wie in China sei diese Entwicklung dann ab etwa diesem Zeitpunkt mehr oder weniger eine Stagnation übergegangen.

Auf den Weltrohstoffbedarf, die entsprechenden Preise und die Umwelt hat dies einen spürbaren Einfluß. Das zeigt sich unter anderem daran, daß die Preise der meisten Rohmaterialien trotz Krise im Großteil der alten Industriestaaten auf hohem Niveau verharren. In den vorhergehenden Krisen seit mindestens Mitte der 1970er Jahre sind diese dem Bericht zufolge jeweils deutlich eingebrochen. Viele Entwicklungsländer haben lange darunter gelitten, daß ihre mineralischen und agrarischen Rohstoffausfuhren seit Anfang der 1970er immer schlechtere Einnahmen erzielten. Erst in den letzten Jahren wurde dieser Trend gebrochen.

Für die Exporteure kann das ein Segen sein, sofern die Einnahmen weitgehend im Land verbleiben und der Abbau nicht mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Letztlich ist das aber nur in den wenigsten Fällen garantiert, und insofern ist die Prognose der UNEP, der Bedarf zum Beispiel an Metallen könne sich ausgehend vom derzeitigen Niveau noch verzehnfachen, nicht gerade beruhigend. »Da die Bevölkerungen in den Schwellenländern ähnliche Technologien und Lebensstile wie jene der OECD-Länder (die Industriestaaten) annehmen, wird der Bedarf an Metallen drei- bis neunmal so hoch wie der aller derzeit auf der Welt verwendeten Metalle sein«, prognostiziert UNEP-Chef Achim Steiner.

Für die UN-Organisation folgt daraus, daß ein wesentlich größeres Gewicht auf Recycling gelegt werden müsse. Fraglich bleibt, ob das ausreicht. Insbesondere der materialintensive Autoverkehr wird in Frage gestellt werden – aber das könnte vielleicht schon die nächste Ölkrise besorgen. Und natürlich wird auch vermehrt über Substitution nachgedacht werden. So lassen beispielsweise Versuche der Firma Timbertower in Hannover hoffen, daß die Türme von Windkraftanlagen künftig aus Holz statt aus Stahl und Beton gebaut werden könnten.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 2. Mai 2013


Hier geht es zum UNEP-Jahrbuch 2013:

UNEP: Yearbook 2013

(veröffentlicht im Februar 2013; englisch; pdf-Datei, lange Ladezeit)
Die Besorgnis erregenden Daten über Rohstoffverbraiuch und Umwelgefährdung befinden sich im Kapitel: Key Environmental Indicators: Tracking progress towards environmental sustainability (S. 53 ff)




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