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Pulverfaß Ostasien

Zunehmende Spannungen zwischen Philippinen, Brunei, Malaysia, Vietnam und Japan auf der einen und China und Taiwan auf der anderen Seite

Von Rainer Rupp *

Nachdem am 9. Mai. ein Schiff der philippinischen Küstenwache einen unbewaffneten taiwanesischen Fischkutter angeblich zur »Selbstverteidigung« in den umstrittenen Seegebieten unter Maschinengewehrfeuer genommen und dabei einen Fischer getötet hatte, hat sich die Situation rasant entwickelt. Jetzt droht sogar die Ausweitung des Konflikts in eine offene Konfrontation.

Da die Regierung in Manila sich nicht innerhalb des von Taiwan gesetzten Ultimatums von 72 Stunden in zufriedenstellender Form »offiziell entschuldigt«, den Hinterblieben des Fischers Entschädigung gezahlt und die Täter zur Verantwortung gezogen hat, will nun die Regierung in Taipeh die Lage eskalieren und mehrere Kriegsschiffe zu Manövern in das Gebiet schicken. Zugleich werden wirtschaftliche Sanktionen erwogen. Dies findet vor dem Hintergrund zunehmender Spannungen zwischen den Staaten der Region statt. Dabei finden sich die Philippinen, Brunei, Malaysia, Vietnam und Japan auf einer Seite wieder, und die Volksrepublik China und Taiwan, – obwohl ideologisch miteinander verfeindet, – stehen als Verteidiger uralter chinesischer Besitzansprüche auf der anderen.

Der schon lange währende Disput um die Kontrolle der umstrittenen Seegebiete und der sie durchziehenden bedeutenden Schifffahrtswege und etlicher Inselgruppen und den darunter vermuteten Öl- und Gasreserven war in den letzten zwei Jahrzehnten fast nur noch auf diplomatischem Parkett zur Sprache gekommen, denn die aufsteigende Wirtschaftsgroßmacht China bemühte sich intensiv um eine friedliche, für alle Seiten vorteilhafte wirtschaftliche Lösung der Probleme. Das änderte sich erst, als die USA ihre wegen der Kriege in Irak und Afghanistan vernachlässigte Vorherrschaft in Asien wieder voll zurückgewinnen wollten. US-Präsident Obama erklärte im November 2011 die strategische Umorientierung der USA auf Asien, was unter dem Begriff »Asiatischer Pivot« bekannt wurde. Dieser »Pivot« beinhaltet u.a. eine massive Aufrüstung der ganzen Region sowie eine Ausrichtung von 60 Prozent der US-Streitkräfte auf Asien, wo die USA inzwischen alte Stützpunkte reaktiviert und andere weiter ausgebaut haben.

Sinn und Zweck des Pivot ist – wie seinerzeit bei der Sowjetunion – die »Eindämmung« Chinas und die Sicherung der US-Vorherrschaft in der Region. Zu Washingtons ersten diplomatischen Schritten in diese Richtung gehörte auch, daß US-Außenministerin Hilary Clinton im Herbst 2012 beim ASEAN-Gipfel in Hanoi allen Staaten mit territorialen Ansprüchen in den Seegebieten die Unterstützung der USA versprach und die Regierungen dieser Länder zugleich ermutigte, ihre Forderungen gegen China robuster als bisher zu vertreten. Seither haben sich die Vorfälle mit zunehmend gefährlichen Konfrontationen zwischen Schiffen und Flugzeugen der Kontrahenten multipliziert.

Ein unbeabsichtigter Nebeneffekt bereitet jedoch Washington zunehmend Kopfzerbrechen: Das Zusammenrücken von Taipeh und Peking auf der Grundlage der Verteidigung der uralten chinesischen Ansprüche. Derweil wird in chinesischen Medien in Taiwan und in der Volksrepublik bereits von einer Arbeitsteilung und gemeinsamen militärischen Überwachung der von »ganz« China beanspruchten Seegebiete geträumt.

* Aus: junge Welt, Freitag, 17. Mai 2013


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