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Asien vor neuer Krise

Explodierende Treibstoffpreise, schlechtere Handelsbedingungen und knappe Nahrungsmittel - Länder der Region leiden unter wachsender Inflation

Von Thomas Berger *

Die Inflation in den asiatischen Ländern ist in den vergangenen Monaten in alarmierendem Ausmaß gestiegen. Zu dieser aktuellen Einschätzung kommt auch die Asian Development Bank (ADB), die ihre Erwartungen zum durchschnittlichen Wirtschaftswachstum in der Weltregion für dieses Jahr nach unten korrigieren will. Obwohl ein Vergleich mit der Asienkrise 1997/98 um einiges zu hoch gegriffen ist, deuten doch auch die jüngsten Verlautbarungen aus der einflußreichen Finanzinstitution auf Krisensymptome hin. Schon im April hatte die ADB für 2008 eine durchschnittliche Inflationsrate von 5,1 Prozent vorausgesagt. Dies ist längst von der Realität überholt worden. Mit einer neuen, höheren Zahl trauen sich aber selbst die Experten noch nicht an die Öffentlichkeit.

Besorgniserregend sind die Trends vor allem in mehreren ASEAN-Staaten, allen voran Vietnam, wo die Inflationsrate längst die 25-Prozent-Marke überschritten hat. Gleichfalls teils zweistellig fallen die Wertverluste der nationalen Währungen durch gestiegene Lebenshaltungskosten auch in mehreren benachbarten Ländern aus. Explodierende Preise für Nahrungsmittel und Kraftstoffe sind Auslöser dafür. Gerade hatte Malaysias Regierung den schrittweisen Abbau der Subventionen für Kraftstoffe verkündet. Im Vergleich zum Jahresbeginn hatte sich Benzin um mehr als 40 Prozent verteuert, so daß die prozentuale Stützung der Preise für den Staat zu teuer wurde. Bei einem Wegfall dieser staatlichen Beihilfe droht nun ein zusätzlicher Preisanstieg. Das führte zu wütenden Protesten der Bevölkerung. Das Nachbarland Indonesien hatte ähnliches bereits ein paar Wochen vorher erlebt. Auch in Nepal und Indien machen Bürger und politische Gruppen ihrem Unmut wegen der Kraftstoffverteuerung auf diese Weise Luft.

Im Falle der indischen Volkswirtschaft, bislang neben China der zweite Wachstumsmotor auf dem Kontinent, wirkt die Inflation ebenfalls als Konjunkturbremse. Um wenigstens etwas gegenzusteuern, hatte die Zentralbank vergangene Woche einen der Leitzinssätze angehoben. Kurzfristige Kredite der Geldinstitute untereinander werden nun mit 8,0 Prozent verzinst. Selbst den Währungshütern ist jedoch bewußt, daß dies eher Kosmetik ist.

ADB-Geschäftsführer Rajat Nag sieht nicht nur das solide Wirtschaftswachstum der letzten paar Jahre in Gefahr. Auch der Kampf gegen die Armut, bei dem es immerhin einige Erfolge gab, drohe ins Stocken zu geraten, warnte er. Zwei Drittel der Menschen, die unterhalb des von der UN berechneten Existenzminimums leben, sind in Asien zu Hause. Mit zusätzlichen Krediten will die ADB versuchen, vor allem die Nahrungsmittelversorgung in verschiedenen Ländern stabil zu halten. Geschäftsführer Nag sagte kürzlich bei einem Wirtschaftsforum in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur, eine Milliarde Menschen sei in besonderer Weise von den steigenden Preisen betroffen. Die ADB zeigt Verständnis für die Länder, die ihre Subventionen zurückfahren, mahnt jedoch wenigstens eine teilweise Kompensation für die Ärmsten angesichts höherer finanzieller Lasten an.

Vom 8,7-prozentigen Rekordwachstum im Vorjahr, ein Spitzenwert zweier Jahrzehnte, kann sich Asien jedenfalls verabschieden. Schon im April hatte die Prognose für 2008 nur noch bei 7,6 Prozent für die gesamte Region ohne Japan gelegen. Derzeit wartet alles darauf, wie weit die ADB-Experten sie nach unten korrigieren werden.

* Aus: junge Welt, 18. Juni 2008


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